Start Interviews Wolfgang Beltracchi: „Meine Bilder sollen vor allem schön sein!“

Wolfgang Beltracchi: „Meine Bilder sollen vor allem schön sein!“

Wolfgang Beltracchi Foto: Alberto Venzago

Wolfgang Beltracchi hat als Meisterfälscher Kunstgeschichte geschrieben. Mehr als 300 seiner Fälschungen fanden ihren Weg in internationale Museen, knackten Auktionsrekorde und landeten in renommierten Kunstsammlungen. Der Großteil ist bis heute unentdeckt. Nach seiner Verurteilung im Jahre 2011 startete er seine zweite Karriere als Maler. Im Rahmen der Ausstellung „Kairos“ wird seine Kunst nun erstmals in Österreich zu sehen sein. „Achtzig“ sprach mit ihm im Vorfeld der Schau in Wien über seine Malerei, moderne Kunst und den internationalen Kunstmarkt.

Text: Stefan Zavernik

Die großen Museen und Galerien stehen Ihrer Kunst nach wie vor kritisch gegenüber. Trotzdem sind Sie mit Ihrer Malerei wirtschaftlich extrem erfolgreich. Die 20 Millionen Euro an Schulden, die Ihnen Ihre Verurteilung auferlegte, konnten Sie bereits zurückzahlen. Was kostet ein echter Beltracchi?

Wolfgang Beltracchi: Meine großen Bilder liegen im sechsstelligen Bereich – relativ weit oben sogar. Das ist wunderbar. Wir verdienen noch nicht ganz so viel wie zu meiner Zeit als Fälscher, aber es geht uns mittlerweile wieder ganz gut. Wir sind schuldenfrei und im Grunde ständig ausverkauft. Es passiert hin und wieder sogar, dass Kunden für Bilder bezahlen, die noch gar nicht gemalt wurden – so groß ist die Nachfrage.

Fühlen Sie sich im Kunstbetrieb mittlerweile integriert?

Überhaupt nicht. Ich bin aber einer der ganz wenigen Künstler, der parallel zum Kunstmarkt marschiert und der trotzdem großen Erfolg hat. Normal ist das gar nicht möglich, wenn du nicht auf den großen Auktionen bist und nicht von den großen Macher-Galerien vertreten wirst. Bei mir schon, weil ich sehr potente Sammler habe, die meine Kunst toll finden und sich sicher sind, dass meine Kunstwerke am Ende des Tages riesig wertvoll sein werden. Meine Kunst ist ja sehr rar, wenn ich jetzt noch 10 Jahre male, hinterlasse ich vielleicht an die 300 Bilder. Mehr wird es nie geben. Bei den meisten Künstlern heutzutage, die seit 20, 30 Jahren im Geschäft sind, gibt es 20.000 Werke – oder mehr.

Der neue „Alte Meister“ mit seiner Frau Helene in seinem Atelier in Luzern
Foto: Alberto Venzago

Nach Ihrer Haftentlassung wurde mit Ihnen vom Fernsehsender 3sat eine sehr erfolgreiche Doku-Reihe produziert, in der Sie berühmte Persönlichkeiten portraitierten, etwa den Schriftsteller Daniel Kehlmann, den Filmstar Christoph Waltz oder den Bergsteiger Reinhold Messner. Als Portrait-Maler sind Sie nun selbst eine Berühmtheit – wann nehmen Sie heute einen Auftrag an?

Erstmal muss derjenige, der sich von mir portraitieren lassen möchte, genügend Geld haben – sonst geht es natürlich nicht, das ist klar. Unter 100.000 mache ich gar nichts mehr. Ich male sowieso nur vier Portraits im Jahr. Denn nur Portraits zu malen, wäre mir zu langweilig. Ich brauche ja auch Zeit für meine eigenen Projekte. Der Kunde muss mir auch sympathisch sein, ich habe keine Lust, mich tagelang vor einen Menschen mit 70 cm Abstand zu setzen, der mich eigentlich anödet, mit dem keine guten Gespräche entstehen können. Und ich male niemanden so, wie er das gerne haben möchte, sondern so, wie ich es will.

Ab Herbst sind Werke von Ihnen im Bank Austria Kunstforum in Wien zu sehen. Sie widmen sich dabei 2.000 Jahren europäischer Kunstgeschichte. Welche Idee verfolgt die Schau?

Kairos fokussiert jene im Nachhinein wichtigen Momente der Geschichte, die nie gemalt wurden, aber die es sich aus meiner Sicht verdient hätten, gemalt worden zu sein. Und zwar von den ganz Großen der Kunstgeschichte. Entstanden sind gewissermaßen historische Bilder, die es nie gegeben hat. Es war eine ähnliche Herangehensweise, wie ich sie in meiner Fälscherkarriere perfektioniert habe. Das Thema war einfach auf mich zugeschnitten. Wenn du in diese Ausstellung gehst und vor den Bildern stehst – spätestens nach dem dritten oder vierten – hast du plötzlich vergessen, dass ich die gemacht habe. Dann ist das für dich ein Van Gogh, dann ist das für dich ein Monet. Die Rezeption lässt gar keine andere Aufnahme zu – die Bilder sehen einfach so echt aus.

Wolfgang Beltracchi, Der grausame Komet 2, 2018

Nach welchen Kriterien haben Sie die Momente ausgewählt?

Es hat hier viel kunstgeschichtlichen Sachverstand gebraucht. Nicht nur von mir selbst und meiner Frau – mitgearbeitet haben auch Wissenschaftler und Historiker. Mir ging es um Momente, die die Welt verändert haben. Für jeden von ihnen habe ich der Epoche entsprechend, in dem er sich zugetragen hat, eine künstlerische Handschrift gewählt, mit der ich das Bild dann gemalt habe. Das Bild Der grausame Komet etwa erzählt von einem Moment im Jahre 1618. Es geht hier um eine Szene in Kampen. Man sah damals einen riesigen Kometen am Tageshimmel. Ich hab die Szene in der Handschrift von Hendrick Averkamp gemalt. Er malte in einer ganz speziellen Technik; hat das Holz für seine Bilder mit Smalte grundiert, als unterste Schicht, noch unter dem Bleiweiß, um diesen eisigen Effekt in die Arbeiten zu kriegen. Averkamp war taubstumm, viele seine Bilder widmen sich Szenen am Eis. Ich kann mich noch erinnern als ich das erste Mal – ich war damals ein Kind – ein Bild von ihm sah. Ich dachte, ich könnte die Eisläufer am Bild hören, die Kufen am Eis, so hineingezogen hat mich seine Malerei. Die Leute am Bild Der grausame Komet sehen einen leuchtenden Kometen und haben Angst. Man muss hierzu wissen, dass dieser Moment zu einer Zeit stattfand, in der es sehr kalt war, es gab Hungersnöte und die Pest wütete. Bald würde der Dreißigjährige Krieg losgehen. In Ulm gab es eine Debatte der Kirche, in der darüber diskutiert wurde, ob dieser Komet ein Himmelszeichen sei oder nur ein Naturereignis. Man kam zu dem Schluss – unter den Diskutierenden war auch Johannes Kepler –, dass es sich um ein Himmelszeichen handeln müsse. Man erwartete die Apokalypse. Durch den Dreißigjährigen Krieg fühlten sich die Leute in ihrer Meinung auch bestätigt.

Foto: Franziska Beltracchi

Helene Beltracchi: Was einfach schön ist: Man kann mit dieser Ausstellung 2.000 Jahre europäische Kunstgeschichte erleben, ohne dass es jemals langweilig wird. Als Kairos in Hamburg zu sehen war, nutzten viele Schulen die Ausstellung, um sie mit ihren Klassen zu besuchen. Die Ausstellung kommt gerade bei einem jungen Publikum sehr gut an. Es gibt auch eine eigene App, mit der die Besucher alle Infos zu jedem Bild direkt aufs Smartphone bekommen.

Wolfgang Beltracchi: Ein anderes Bild versetzt die Besucher ins Jahr 1831, Die HMS Beagle verlässt den Hafen von Davenport, gemalt in der Handschrift von William Turner. Die Beagle ist fünf Jahre lang um die Welt gesegelt, für Vermessungen und um Pflanzen und Tiere zu sammeln. An Bord war Charles Darwin. Es war die erste große Reise von ihm. Turner war zu dieser Zeit in Davenport, aber er konnte noch nicht wissen, wie wichtig diese Ausfahrt für die gesamte Menschheit werden sollte. Ansonsten hätte er das Bild wohl selbst gemacht.

Eines der Bilder wirkt, als wäre es eigens für die Ausstellung in Wien gemalt worden: das Selbstbildnis von Gustav Klimt.

Ich wählte einen Moment im Jahr 1918, in dem Klimt vor dem Spiegel sitzt, ein Selbstbildnis malt – was er nie gemacht hat – und seinen Schlaganfall kriegt. Im Hintergrund sieht man das letzte Bild, das er nicht mehr fertig gemalt hat. Als ich das Bild gemalt habe, habe ich mir überlegt, was er in diesem letzten Moment gesehen haben könnte. Ich habe also den Charon reingemalt, den Fährmann als Todessymbol, und ein paar Babys. Vielleicht hat er kurz vor seinem Tod doch noch an seine Kinder gedacht, die er in die Wüste geschickt hat. Er war ein ziemlich großer Schweinehund, aber ein großer Maler. In der Kunstgeschichte gibt es extrem viele Beispiele von guten Künstlern, die richtig üble Menschen waren.

Wolfgang Beltracchi, Ausfahrt der HMS Beagle Devonport 1831, 2017, Handschrift: William Turner, 1835
Foto: Franziska Beltracchi

„Kairos“ wurde bereits in München, Hamburg und Venedig gezeigt. In Wien wird die Ausstellung jedoch erstmals in vollem Umfang präsentiert. Zu sehen sein werden zusätzliche Bilder, die Ihre persönliche Handschrift tragen.

Kairos wird wahrscheinlich auch nur dieses eine Mal komplett gezeigt werden. Neben der Grundausstellung mit ihren 28 Bildern, die für mich in gewisser Hinsicht Fingerübungen waren, werden auch zehn großformatige Arbeiten zu sehen sein, die mir persönlich besonders wichtig sind. Kairos ist konzeptionelle Kunst, die Idee hinter den Zusatzbildern reicht darüber hinaus. Mit ihnen habe ich einige dieser Momente zeitgenössisch umgesetzt, indem ich verschiedene Handschriften miteinander kombiniert, eigene hinzugefügt und so das ursprüngliche Konzept der Ausstellung verlassen habe. Ganze zwei Jahre habe ich an diesen Werken gearbeitet.

Jungen Künstlern wird nahegelegt, ihren eigenen Stil zu entwickeln, um erfolgreich werden zu können. Ist das nach 2.000 Jahren Kunstgeschichte in der Malerei überhaupt noch möglich?

Eigentlich kriege ich eine Gänsehaut, wenn ich das Wort Stil höre. Das ist das, was sie den Studenten auf der Uni erzählen: Ihr müsst euren eigenen Stil finden. Von hunderten bleibt dann einer übrig, der erfolgreich wird. Aber nicht, weil er so was Tolles macht, sondern weil er einen guten Vermarkter gefunden hat. Nach 2.000 Jahren europäischer Kunstgeschichte ist natürlich alles schon gemacht worden.

Wolfgang Beltracchi, Charon, 2017, Handschrift: Gustav Klimt, 1918

Helene Beltracchi: Man sieht heute auch bei erfolgreichen Künstlern sofort, welche vergangenen Künstler und Ideen sie geprägt haben. Alles ist eine Collage aus dem, was vorher war.

Wolfgang Beltracchi: Das ist auch okay. Jeder nutzt das, was er gerade braucht, und versucht das Beste daraus zu machen.

Wenn alles in der Malerei schon erfunden wurde – welches Ziel verfolgen Sie dann mit Ihrer eigenen Kunst?

Was ich betreibe – mit der Hand zu malen, mit Ölfarben auf Leinwand –, ist ja eigentlich schon ein Anachronismus. Das ist eine aussterbende Geschichte. Es kann auch so gut wie niemand mehr. Was ich damit verfolge? Ich will schöne Bilder malen – Kunst soll auch schön sein. Aber nichts Kitschiges. Man kann auch grässliche Themen schön malen.

Wie würden Sie Ihre Malerei einordnen?

Ich habe nun mal diese Fähigkeit, dass ich in jeder Handschrift malen kann. Diese Fähigkeit benutze ich. Ich habe aber auch 10, 12 eigene Handschriften entwickelt. Ich bin halt sehr multipel – ich bin ja nicht nur einer. Durch mein Leben und meinen Job bin ich zu vielen geworden.

Wolfgang Beltracchi, Desaster, 2018, Handschrift: Max Ernst, 1947

Was macht für Sie wirkliche Kunst aus?

Dass man Vermögen, Können hat, aus dem man schöpft. Dass man über Wissen verfügt und über Intuition. Und daraus macht man dann etwas – vermeidet es aber, sich zu reproduzieren. Ich lehne es ab, immer und immer wieder das Gleiche zu machen. Jedes der zehn Bilder zu Kairos etwa ist komplett anders. Ich möchte mit jedem Bild bei null anfangen. Immer das gleiche Muster zu stricken, leicht verändert, wäre mir zu wenig. Und das sollte auch nicht das Ziel junger Künstler sein, nur weil es ihr Galerist so gerne hätte. Galeristen wollen Kunstlabels kreieren, setzen auf Wiedererkennbarkeit. Mit Kunst hat das aber nichts mehr zu tun, hier fehlt es an Kreativität. Kunst muss kreativ sein, Reproduktion ist es nicht. Kunst-Factories wie jene von Jeff Koons bringen keine Kunstwerke hervor. Hier handelt es sich um modische Luxusprodukte wie teuren Schmuck oder hochstilisierte Handtaschen.

Helene Beltracchi: Ich denke, der Kunstmarkt steht vor einem großen Umbruch. Diese ganze Vermarktung von global agierenden Kunst-Factories nimmt solch absurde Formen an, dass es zu einem Wandel kommen muss. Nicht aus purem Zufall gibt es mittlerweile viele Sammler, die zur Art Basel gar nicht mehr hinfahren.

Wolfgang Beltracchi, Madmoiselle Lange, 2019

Halten Sie generell wenig von moderner Kunst?

Wolfgang Beltracchi: Manche unterstellen mir, weil ich so viel Wert aufs Handwerk, aufs Können lege, dass ich gegen die moderne Kunst bin, aber das stimmt überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich finde moderne Kunst toll. Wir schauen uns sehr viele Ausstellungen an, und es gibt heutzutage wirklich großartige Installationskunst oder Videokunst. Voraussetzung aber bleibt, wie auch in der Malerei, dass etwas gut gemacht sein muss ist. Ideen alleine reichen nicht, man muss sie auch umsetzen können. Nehmen wir eine einfache Aufgabe: einen einzelnen Menschen zu malen. Ihn so zu malen, wie man ihn sich vorstellt – und hier sollte man sich dann fragen, kann ich das? Kann ich das wirklich? Auch wenn einer bereits an der Akademie ist oder schon seit vielen Jahren freischaffend tätig ist. Bei 90 % der Künstler kann man sich sicher sein, dass sie es nicht können. Sie können ihre Ideen nicht so umsetzen, wie sie es möchten. Sie sind am falschen Weg. Sie reduzieren das, was sie wollen, aufgrund ihres Nichtvermögens. Sie machen ein Bild aus Unvermögen. Sie machen ein Bild, das sie gerade noch hinkriegen, aber nicht das, was sie wollten. Da würde ich als Künstler davorsitzen und zu heulen beginnen. Sie haben den falschen Job.

Was Kunst ist, bestimmen große Galerien und Museen. Haben die Künstler die Kunst an den Markt verloren?

Als Künstler kommst du ganz schnell in die Situation, dass du letzten Endes nur mehr der bist, der die Kunst macht. Wenn du dir die Weltrangliste der Kunstschaffenden ansiehst: Die ersten 40 sind keine Künstler, sondern Kunstmacher. Es gibt heute auch Sammler, die wichtiger sind als die Kunstwerke in ihrer Sammlung. Für mich ist das gruselig. Was mich nun natürlich nervt, ist, dass mir, der den Kunstbetrieb immer so verurteilt hat, am Ende des Tages nun das Gleiche passiert. Ich kann in Wien nicht einmal bestimmen, wie meine Arbeiten aufgehängt werden. Aber das passiert einem halt, wenn man hier mitspielt.

Wolfgang Beltracchi, Visite dans le café de nuit, 2018
Handschrift: Vincent van Gogh, 1888
Foto: Franziska Beltracchi

Was erwarten Sie von Wien? Denken Sie, dass man Ihnen offen gegenübersteht?

Das Publikum vielleicht. Der österreichische Kunstbetrieb und die meisten Medien wohl kaum. Ich denke, Wien wird sehr kontrovers werden und es wird wohl einige Angriffe geben. Ich kann mit so etwas aber gut umgehen.

Denken Sie, dass es eine Zeit geben wird, in der Sie der internationale Museumsbetrieb als großen Künstler akzeptieren wird?

Vor allem in Deutschland, aber auch in anderen Ländern gibt es viele Leute aus dem Kunstbetrieb, die mich extrem anfeinden. Das bin ich mittlerweile gewohnt. Viele von ihnen sind noch sehr verletzt, in ihrer Eitelkeit, in ihrem Können. Mit meinen Fälschungen habe ich sie vorgeführt. Das kann ich auch verstehen, und mir ist bewusst, dass hier kein Gras drüberwachsen kann. Das wächst erst dann, wenn diese Leute ausgestorben sind. Dann wird auch meine Kunst anders gesehen werden als heute.

Foto: Alberto Venzago