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Der Versuch, über die volle Distanz zu gehen

Foto: Petro Teibinger

„Sir“ Oliver Mally ist Bluesmusiker, Songwriter und Veranstalter. Wir sprachen mit ihm im Vorfeld der diesjährigen Blues-Tage Leibnitz über den Blues, Musik als Energieform und den Nährboden seiner Songs.

Interview: Stefan Zavernik

„Sir“ Oliver, Sie gelten in der Steiermark als Blues-Ikone. Wie sind Sie zu diesem Genre eigentlich gekommen?

Diese Musik und Artverwandtes lief bei uns zu Hause so gut wie ständig. Und auch im Auto meines Vaters. Ray Charles, Randy Newman, Fats Domino, Ike&Tina Turner … Dann kam die erste Muddy-Waters-Platte Hard Again und ich war erschüttert vor Begeisterung. Und das hat sich nie geändert.

Blues ist ein weites Feld – wie definieren Sie ihn persönlich?

Blues lag für mich immer am Puls der Zeit, eines Moments, einer unmittelbaren Emotion! Der Blues tut das nach wie vor bzw. sollte das tun. Und es ist der Versuch, über die volle Distanz zu gehen.

Welche Künstler oder Bands haben Sie in Ihrer musikalischen Karriere am meisten beeinflusst, und wie haben sie Ihre eigene Musik geprägt?

Musikalisch waren es Muddy Waters, John Lee Hooker, Lightning’ Hopkins, The Rolling Stones etc. Ansonsten z. B. Miles Davis, John Coltrane, Bob Dylan, Townes Van Zandt, Motörhead und Ripoff Raskolnikov …

Welche Herausforderungen haben Sie auf Ihrem Weg als Bluesmusiker am meisten geprägt?

Ich bin ja kein „Bluesman“, sondern ein „Bluesfan“! Ist zwar nur ein Buchstabe, macht aber einen gewaltigen Unterschied. Ich versuche immer noch, mich dieser Musik mit dem größten Respekt anzunähern. Die Stimmung dieser Musik aufzunehmen. So gut es geht. Und alles, was ich in dem Prozess herausfinde, zu personalisieren. Denn wer nur kopiert, hat nix kapiert!

Können Sie uns etwas über Ihren kreativen Prozess beim Songwriting erzählen und was Sie dazu inspiriert? Welche Rolle spielt das persönliche Erleben in Ihrer Musik?

Es gibt kein Muster. Ich bleib halt immer am Instrument. Lese sehr viel. Und es kommt dann manchmal was durchs Fenster geflogen. Aber das mag oft Monate dauern. Es ist effektiv eine Wellenbewegung bei mir. Nach beinahe 40 Jahren kann ich das für mich bestätigen. Dadurch kommt auch keine Panik auf. Durch diese dürren Phasen muss man halt durch. Aber trotzdem dranbleiben. Nur dann kommen die feinen und beglückenden Momente der Inspiration. Ich bin viel unterwegs und dabei sehr wachsam. Und ich observiere, was um mich herum geschieht. Das ist der Nährboden für meine Songs. Denn Eindrücke sorgen nunmal dafür, dass man was auszudrücken hat. In der Küche zu sitzen und auf Wunder zu warten, wird auf lange Sicht zu wenig sein.

Bluesmusik wird oft als eine Form der „Therapie“ beschrieben, die Menschen durch schwierige Zeiten begleitet. Wie erleben Sie diese Verbindung zwischen Musik und emotionaler Heilung?

Musik ist eine großartige Energieform. Du kannst dich selbst und auch Menschen völlig aus etwas rausholen. Und ihnen für ein paar Stunden sogar Abstand zu belastenden Lebensumständen verschaffen. Du kannst deren Probleme natürlich nicht lösen, diese Menschen aber eventuell zum Durchatmen bringen.

Sie gelten als bekennender Workaholic und haben bereits unzählige Alben veröffentlicht. Was braucht es, damit Sie für ein Projekt zu brennen beginnen?

Ich liebe Musik. Und ich bin sehr obsessiv, wenn mich etwas ganz tief berührt. Das gilt auch für Literatur, Film, Kunst, Spirituosen etc. haha! Und die Neugierde, was herauszufinden, war immer größer als jedes Hindernis, das sich mir in den Weg gestellt hat. Das ist Antrieb genug. Ich hab da auch kaum Toleranz für „Mitschwimmer“ und „Trittbrettfahrer“. Die verzerren das Bild dessen, was z. B. Musik tatsächlich sein und bewirken kann.

Sie haben mit vielen renommierten Musikern zusammengearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht und was haben Sie von diesen Kollaborationen gelernt?

Die Großen der Branche beherrschen das musikalische Alphabet perfekt, haben aber ihre eigene Sprache entwickelt. Das ist das Ziel. Sei du selbst und werde identifizierbar. Nur wenn du bei dir bist, kannst du berühren. Und wenn du mit Doug McLeod, Sugar Blue, Louisiana Red, Steve James etc. spielst, wollen die auch dich sehen. Nicht die tausendste blasse Kopie einer Kopie! Punkt.

Seit mehreren Jahrzehnten sind Sie auch als Veranstalter tätig. Ihr Herzensprojekt sind die „Blues-Tage Leibnitz“, die jährlich im April stattfinden. Wie kam es zu dieser Initiative und wie hat sich das kleine Festival über die Jahre entwickelt?

Sigi Feigl und ich begannen 1996 mit THE STORY OF THE BLUES. From scratch! Daraus wurde das AUSTRIAN BLUES MASTERS und daraus die LEIBNITZER BLUESTAGE! Es ist enorm viel Arbeit, das beinahe dreißig Jahre durchzuziehen. Speziell wenn du das 25 Jahre ohne öffentliche finanzielle Unterstützung tust. Die Musik hatte es nie einfach. Das hat sich über die Jahre nicht verändert. Dafür durfte sie überleben, was andere Trends am Musiksektor nicht geschafft haben. Als Aktiver und als Veranstalter kann ich nur sagen: Nix für Ängstliche und Kurzstreckenläufer.

Abschließend, was sind Ihre Pläne und Ziele für die Zukunft Ihrer Musikkarriere? Gibt es Projekte, auf die wir uns freuen können?

Im April dieses Jahres erscheint ein gemeinsames Album mit dem großartigen Gitarristen und Harp-Spieler Peter Schneider als CD und auch auf Vinyl. Almost There ist der Titel der Scheibe. Ich hab dankenswerterweise viele Konzerte im Kalender und außerdem zwei Jubiläen vor mir. 40-jähriges Bühnenjubiläum 2025. Und mein 60er im Jahr 2026. Ist ja förmlich um die Ecke. Und da bin ich bereits dran, was zu planen. Ansonsten freu ich mich auf jede Menge weiterer Begegnungen mit großartigen Menschen und auf Kollaborationen mit umwerfenden und langjährigen Kollegen und Weggefährten (und da gibt es noch einige davon). Organisches Zusammenarbeiten: eines der größten Geschenke in dieser Profession. Und ein weiterer Preis für das Durchhalten ist, dass man immer mehr feststellt, wer bleiben darf und wer gehen soll! Manche Menschen lassen ja das Firmament durch ihr Erscheinen erstrahlen. Andere eben durch ihr Verschwinden.