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Hubert Scheibl: Die Kraft der Abstraktion

„Der Zufall ist der wahre Meister der Kunst“ Hubert Scheibl

Hubert Scheibl gilt als Star der Neuen Malerei. Anlässlich seiner aktuellen Ausstellung im Greith-Haus sprach er mit „Achtzig“ über die Erfahrungswelt der abstrakten Malerei und das Innenleben eines Künstlers.

Text: Pia Moser / Stefan Zavernik

Ihre Werke sind in zahlreichen nationalen und internationalen Sammlungen und Galerien vertreten, neben Bildern und Skulpturen machen Sie auch Musik. Erleben Sie manchmal Zeiten des Stillstands, in denen die Kreativität nicht aus Ihnen heraussprudelt?

Dauernd. Es gibt Tage, an denen ich gleich nach dem Aufstehen eine gewisse blitzartige Kraft zu malen spüre. Bei anstehenden Ausstellungen nutze ich den Druck und die Spannung für meine Arbeit, was gut funktioniert. Gleichzeitig spüre ich es aber auch dann ganz deutlich, wenn zu wenig Energie für einen großen Wurf vorhanden ist. Die Arbeit ist sehr unberechenbar. Ich arbeite jedoch nicht kontinuierlich, denn als Künstler ist man natürlich nicht immer gleich drauf, man hat nicht immer etwas zu sagen. Mit dieser Tatsache muss man umzugehen lernen. Ich finde es jedenfalls besser, in solchen Momenten nichts zu tun und so auch wieder in eine andere Form des Lebens, in ein alternatives System einzutauchen.

Welcher Impuls steht für Sie zu Beginn einer abstrakten Malerei?

Ich beginne meine Werke nicht mit einer konkreten Idee. Der Prozess verhält sich ähnlich wie beim Tischtennis: Einer gibt an, dann folgt ein Return und erst mit der Zeit entsteht ein Dialog. Ich beginne gerne blank und lasse mich von dem leiten, was kommt. Für mich als Künstler ist genau das der interessanteste Zugang.

Ausstellungsansicht Tubara

Wie entscheiden Sie, dass ein Bild fertig ist?

Das weiß man einfach, aber der Entschluss ist nicht leicht. Es ist ein sehr individueller Prozess, herauszufinden, wann man als Künstler zufrieden ist. Oft male ich ein Bild in einem Guss. An anderen Tagen ist man wiederum sehr streng mit sich selbst. Manchmal kann es passieren, dass man interessante Aspekte in einem Werk erst sehr spät erkennt. Und an anderen Tagen verspüre ich den Impuls, Kratzer in die Ölbilder zu machen, weil es mir gefällt, dass man dann nichts mehr daran ändern kann. Was liegt, das pickt.

Welche Rolle spielt Zufall in der Kunst?

Künstlerische Arbeit lenkt man ja immer instinktiv, auch wenn man nicht genau weiß, wohin es gehen soll. Oft weiß man vielleicht eher, wohin man nicht will. Das ist eine Gratwanderung. Der Zufall ist für mich der wahre Meister der Kunst. Wenn man es schafft, ihn zu integrieren und zu nutzen, kann etwas sehr Lebendiges daraus entstehen. Dann spürt man auch: Da hat man sich jetzt nicht einfach etwas ausgedacht.

Foto: Ulrike Rauch

Ihre abstrakten Bilder erzählen keine Geschichte, sie stehen für sich selbst. Wie würden Sie Ihre Werke beschreiben?

Ich würde sie gar nicht beschreiben, das überlasse ich anderen. Denn jedes Bild ist eine Projektion deiner emotionalen Verfassung. Jeder Mensch hat einen Speicher von inneren Bildern, die zum Teil mit Erinnerungen zusammenhängen. In der Malerei geht es sehr oft um Erinnerungsreste. Deshalb entlehne ich auch die Titel meiner Werke gerne Filmen, denn so entsteht für mich das Gefühl eines größeren, kollektiven Bewusstseins. Für mich sind diese Titel Einstiegsfallen und -hilfen zugleich.

Sie zählen mittlerweile zu den wichtigsten zeitgenössischen Malern Österreichs. Wie hat sich Ihre Kunst über die Jahre verändert?

Wenn man so lange dabei ist, entwickelt sich irgendwann ein gedanklicher, spiritueller Kosmos, in dem man Dinge umkreist, einengt und fokussiert. Ich hoffe jedenfalls, dass sich meine Kunst über die Jahre verfeinert hat. Heute betreibe ich mit meinen Arbeiten eine seltsame Art von Grundlagenforschung, wenn auch nicht auf wissenschaftlicher Basis. Es sind immer mehr die grundsätzlichen Fragen, die mich interessieren: Woher kommen wir? Wie funktionieren wir? Und wohin soll es gehen? Ich hege großes Interesse für die Natur und Lebensprozesse im Allgemeinen. In letzter Konsequenz enthält dieser Fokus auch eine politische Ausrichtung.

Gerhard Roth im Gespräch mit Hubert Scheibl.
Foto: Ulrike Rauch

Neben zahlreichen Ausstellungen haben Sie an den Biennalen in São Paulo und Venedig teilgenommen. Was bedeutet Ihnen Erfolg in der Malerei?

Ich denke, dass alle Künstler – oder alle Menschen – gegenseitig spiegelnde Gehirne sind. Ohne Sie und dieses Gespräch hier würde ich zum Beispiel nicht existieren. Ich meine also: Jeder braucht ein Feedback. Es wird immer Zeiten geben, in denen man länger kein oder zumindest kein positives Feedback bekommt. Dann muss man sich als Künstler warm anziehen. Aber Erfolg ist natürlich nicht alles. Diese intime Freude, wenn dir etwas gelingt, wiegt schwerer. Es ist dann eine andere Form der Freude als jene öffentliche Freude über den messbaren Erfolg.

Foto: Ulrike Rauch

Wie schätzen Sie die Situation für aufstrebende Malerinnen und Maler in Österreich ein: Sollte man im Laufe eines Künstlerlebens irgendwann in die große, weite Welt hinaus?

Ich habe selbst einige Jahre in New York gelebt und gearbeitet. Doch zu meiner Zeit war es anders als heute, es gab etwa noch kein Internet. Wegzugehen kann immer gut sein. Denn jeder Ort macht etwas anderes mit dir. Ich arbeite gern an fremden Orten, da ich mich dort anders verhalte und die Koordinaten und Prägungen meiner Heimat für eine gewisse Zeit ausklammere. Rauszugehen bedeutet dann, neue Menschen kennenzulernen und die Chance zu bekommen, sich selbst neu zu erfinden. Auch wenn das eine Gratwanderung zwischen Widerstand und Anpassung sein kann.

Foto: Ulrike Rauch

Was bedeutet es vor diesem Hintergrund, Ihre Kunst nun in der „steirischen Provinz“ hängen zu sehen?

Ich finde beide Seiten interessant. Ehrlich gesagt konnte ich mir die Realisierung der Ausstellung in der spezifischen Architektur des Greith-Hauses zuvor nur schwer vorstellen. Aber es hat funktioniert. ­Günther Holler-Schuster hat als Kurator der Ausstellung eine großartige Arbeit geleistet. Die Konzeption der Schau war für mich ein Prozess, bei dem ich viel gelernt habe. Vor allem, mit einem komplizierten Ort umzugehen, der nicht für bildende Kunst geschaffen ist. So gesehen habe ich durch diesen Prozess wieder ein bisschen mehr aufgemacht. Generell bin ich der Ansicht, dass abstrakte Arbeiten mehr Ruhe brauchen als gegenständliche Werke. Ein erzählerischer Hinweis funktioniert schneller im Kopf, hier hört es aber auch früher wieder auf. Das ist auch die Idee meiner Werk­serie Psychonautiker, nämlich der Versuch eines alternativen Umgangs mit der Realität. Im Beuys‘schen Sinne: Auch wenn die Augen das am höchsten entwickelte Sehorgan sind – man sieht auch mit den Knien oder mit dem Bauch, man sieht mit dem ganzen Körper.

Kurator Günther Holler-Schuster und Hubert Scheibl.
Foto: Ulrike Rauch