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„Ein gutes Foto bleibt in Erinnerung“

Ausstellungsansicht Foto: Christian Jungwirth

Die Sensations-Ausstellung „Colors“ zeigt Werke von Steve McCurry in der Messehalle A in Graz. Wir sprachen mit dem weltberühmten Fotografen über seine Arbeit, die Fotografie und das Reisen.

Text: Stefan Zavernik

Mit „Colors“ läuft in Graz die vermutlich größte Steve-McCurry-Ausstellung, die weltweit jemals realisiert wurde. Was für ein Gefühl ist das?

Es ist eine Ehre für mich, meine Werke in Graz ausgestellt zu sehen. Die Stadt zählt zu den schönsten in ganz Europa. Die Installation in der Messehalle A ist unglaublich geworden und ich freue mich schon sehr, die Ausstellung in den kommenden Wochen persönlich zu besuchen.

Die Ausstellung trägt den Titel „Colors“. Spielen Farben eine übergeordnete Rolle für Ihre Fotografie?

Wenn ich meine Fotos mache, stehen die Farben eigentlich nie im Fokus. Ich bin viel mehr an Inhalten interessiert, an Bildern, die eine Geschichte erzählen. Aber natürlich sind Farben etwas, dem man Beachtung schenken muss. Ein Foto sollte immer eine gewisse Harmonie in sich tragen. Aber Fotos, die nur über ihre Farben wirken, interessieren mich niemals in jenem Ausmaß wie Fotos, die von Menschen handeln.

Steve McCurry
Foto: Bruno Barbey

Menschen standen schon immer im Mittelpunkt Ihrer Arbeiten – nach welchen Kriterien entscheiden Sie sich für eine gewisse Person, die Sie fotografieren wollen?

Die Entscheidung für ein Foto hängt immer mit der Geschichte zusammen, die ich erzählen will. Die meisten meiner Bilder entstehen im Zusammenhang mit Menschen und Geschichten. Ich suche nach unbedachten Momenten und versuche, ein Stück der abgebildeten Person festzuhalten. Im weitesten Sinne: Ihre Existenz in Verbindung mit der menschlichen Existenz als Ganzes zu setzen.

Mit „The Afghan Girl“ ist in der Ausstellung auch Ihr berühmtestes Foto zu sehen. Haben Sie sich jemals gedacht, dass dieses Bild so dermaßen populär werden würde?

Ich wusste, dass das Bild Potenzial hat, schon während ich es geschossen habe. Aber ich konnte weder vorhersagen oder mir jemals vorstellen, welche nachhaltige, weltweite Wirkung es über Jahrzehnte haben würde.

Wissen Sie, was aus dem Mädchen geworden ist? Hat sie den Erfolg ihres Bildes jemals mitbekommen?

Im Jahr 2002 reisten wir erneut nach Afghanistan und versuchten, sie zu finden. Ich habe mir niemals erträumt, dass wir sie wirklich wiederfinden würden – aber es ist gelungen. Sie war verheiratet und hatte drei Kinder. Es war großartig, dass wir die Möglichkeit bekamen, ihr etwas zurückzugeben, für all den Erfolg, den wir mit ihrem Foto erfahren durften.

Foto: Christian Jungwirth

Neben Ihren Portraitaufnahmen sind Sie für Ihre Reisefotoarbeiten berühmt – wie schwierig waren die letzten Monate, in denen Reisen so gut wie unmöglich waren?

Ich reise seit mehr als vierzig Jahren, aber ich bezeichne mich selbst nicht als Reise-Fotograf. Während Corona habe ich viel Zeit damit verbracht, mein Archiv aufzuarbeiten, und es ist mir gelungen, zwei Bücher fertigzustellen. In Search of Elsewhere erschien im November und ich begann, an einem Buch über Kinder zu arbeiten, das in diesem Herbst erscheinen wird. Ich war also sehr beschäftigt. Der einzige Trip, den ich den letzten 14 Monaten unternommen habe, war nach Italien. Man braucht seine Zeit, um sein Leben und seine Arbeit zu ordnen. Ich habe eine vier Jahre alte Tochter. Zu Hause zu arbeiten hat mir erlaubt, mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen.

Sie haben so gut wie alle Länder der Welt bereist. Gibt es Länder, in denen Sie besonders gerne arbeiten?

Ich fahre immer wieder sehr gerne nach Tibet und Italien.

Gibt es Länder, die Sie gerne noch besuchen würden, um zu fotografieren?

Iran. Ich habe eine Dauerausstellung in Kashan, im Zentrum des Landes. Dieser Ort, La Maison de Steve, wurde auf Initiative von Hossein Farmani gegründet, einem außergewöhnlichen, vielseitigen Typen, der Fotograf und Kurator ist. Mehrere hundert meiner Arbeiten sind in einem alten, restaurierten Gebäude präsentiert. Zu meinem großen Bedauern konnte ich die Ausstellung noch nicht besuchen.

Foto: Christian Jungwirth

Was macht für Sie ein gutes Foto aus?

Ein gutes Foto bleibt in Erinnerung. Es bleibt dir erhalten, bewegt dich. Und es verändert dich auf gewisse Art und Weise. Es löst Emotionen aus und den Wunsch, etwas lernen zu wollen.

Wann wird aus Fotografie Kunst?

Es gibt Unterschiede und Überschneidungen zwischen der Fotografie und der Kunst. Aber es ist schwierig, hier zu generalisieren. Die Arbeiten von André Kertész, Henri Cartier-Bresson oder Walker Evans haben mich immer stark beeinflusst. Ihre Arbeiten stehen für eine Art des Geschichtenerzählens, die einer Kunstform gleichkommt. Es geht dabei um die Stimmung eines Ortes und Emotionen. Aber das ist nur meine persönliche Sichtweise.

Sie fotografieren seit über vierzig Jahren – wie hat sich Ihr Arbeitsprozess über die Jahrzehnte verändert?

Ich fotografiere heute nicht viel anderes als vor vierzig Jahren. Ich reise an einen Ort, arbeite mit Einheimischen und sehe, was sich entwickelt. Das ist über die Jahre ziemlich gleich geblieben. Wenn ich an Orte zurückkehre, kann die Vertrautheit mit den Menschen ein Vorteil sein, aber ich kann überall arbeiten. Was meine Technik beim Fotografieren betrifft, hoffe ich, heute mehr Perspektive bekommen zu haben. Ich hoffe, dass ich gewisse Bereiche, in denen Dinge sich konstant verändern – wie Lichtverhältnisse, Formen und Design –, besser wahrnehme als in der Vergangenheit. Für mich geht es beim Fotografieren darum, zu beobachten und Geschichten zu erzählen, egal ob es dabei um ein Portrait, ein menschliches Verhalten oder das Leben auf unserem Planeten geht.

Foto: Christian Jungwirth

Wie stehen Sie zu Smartphone-Fotos?

Das Medium oder die Technologie, die du benutzt – Instagram, digital oder analog, egal welche Kamera –, ist nicht wichtig. Eine erfolgreiche Fotografie muss eine Geschichte erzählen und kreativ sein – sie steht für eine eigene Interpretation in sich und erzählt mit eigener Sprache, was zum Ausdruck kommen soll.

Welchen Ratschlag hätten Sie für junge Fotografinnen und Fotografen?

Fotografiert, was euch persönlich interessiert. Die Fotografie verlangt dasselbe wie andere Disziplinen. Wie die Architektur, die Medizin, die Musik. Es braucht Geduld, Disziplin, harte Arbeit und Übung.         

„Colors“ by Steve McCurry

Zu sehen bis 19. September 2021 in der Messehalle A, Fröhlichgasse 35, 8010 Graz

www.mcg.at