Start Interviews Dirk Stermann: „Die Wiener hatten Angst, sich zu waschen“

Dirk Stermann: „Die Wiener hatten Angst, sich zu waschen“

Dirk Stermann Foto: Gerald von Foris

Dirk Stermann, legendärer Komiker und Autor, über sein neues Buch, unsympathische Typen, ein stinkendes Wien und wieso er eigentlich der deutsche Botschafter in Österreich sein müsste.

Text: Wolfgang Pauker

Ihr neuestes Buch widmet sich Joseph Hammer-Purgstall, einem unermüdlichen Vermittler zwischen Orient und Okzident im 19. Jahrhundert. Warum gerade ein Buch über einen außergewöhnlichen, aber eher unbekannten Österreicher?

Dieser Mann war auch mir tatsächlich unbekannt. Eine Freundin – übrigens eine Steirerin, um gleich den Steiermarkbezug herzustellen –, die in der Akademie der Wissenschaften arbeitet, gab mir eine spektakuläre Führung durch ihren Arbeitsplatz. Irgendwann standen wir vor der Büste von Hammer-Purgstall, dem ersten Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, und sie erzählte mir, dass er Orientalist war, 1.001 Nacht übersetzt hat, ein Schloss in der Steiermark hatte und im Kuhstall vor jede Kuh einen arabischen Spruch an die Wand schreiben hat lassen, damit sie mehr Milch gibt. Da war ich angefixt und habe mir die Lebenserinnerungen von ihm besorgt. Das war der Startschuss, um mich die nächsten drei Jahre mit diesem Mann zu beschäftigen.

Es ist Ihr erster Roman basierend auf einer realen Biografie. Wie aufwendig war die Recherche angesichts des Aufrollens eines ganzen Lebens und seiner Zeit?

Nachdem ich seine Erinnerungen gelesen hatte, habe ich begonnen, mich in seine Zeit einzulesen. Das war dann noch spektakulärer, denn hierfür war es notwendig zu wissen, wie lange etwa eine Kutschenfahrt von A nach B dauerte oder was man bei Zahnschmerzen machte. Ich habe mir also eine ganze Welt erlesen und das war unglaublich spannend. Irgendwann hat dann aber mein Lektor angerufen und gesagt: „Weißt du, das Problem ist, wenn Autoren lesen und nicht schreiben!“ Dann habe ich mit dem Buch begonnen, weil mir klar wurde, dass ich nicht alles werde lesen können, was ich hierzu lesen möchte.

Ihr Protagonist ist ein ziemlich unsympathischer und eitler Typ. Dichten Sie ihm diese Charaktereigenschaften an oder basiert das auf der Realität?

Soweit ich das beurteilen kann, wird das schon stimmen. Er war ein unglaublich gelehrter Mann, der wahnsinnig viel gelesen und geschrieben hat. Aber er war gleichzeitig auch sehr eitel und undiplomatisch und auch kein Charmeur. Die Chefin der Orientalistik an der Akademie der Wissenschaften bestätigte mir aber, dass ich ihn charakterlich ganz gut getroffen hätte. Er wird also schon ungefähr so gewesen sein. Trotzdem hatte ich beim Schreiben ab und an ein schlechtes Gewissen, und als das Buch fertig war, habe ich nochmals die Büste besucht und kurz das Gefühl gehabt, dass ich mich vielleicht entschuldigen sollte. Habe ich dann aber doch nicht getan.

Und doch trifft er Kaiser und Könige, Napoleon und Metternich, Haydn und Beethoven und korrespondiert mit Goethe und Balzac. Er kam also trotz seiner Charaktereigenschaften ganz nach oben.

Er ist nicht ganz nach oben gekommen in den Bereichen, in denen er nach oben kommen wollte. Er wollte eigentlich immer Botschafter werden, aber das haben die Entscheidungsträger damals verhindert. Aber er hat sich auf jeden Fall komplett eingelassen auf das, was ihn interessierte und unendlich viel, ja schon fast grotesk viel gearbeitet sein ganzes Leben lang. Was wohl auch der Grund war, warum er so wichtig werden konnte – in seinem Bereich. Wenn man sich sein Leben anschaut, dann ist das ein bisschen, wie wenn man heute das Seitenblicke-Magazin durchblättert, nur eben mit klugen Leuten statt mit Lugner. Er kannte so viele Menschen persönlich, die man selbst nur aus der Schule kennt. Ein regelrechtes Namedropping. Und irgendwas muss an ihm auch faszinierend gewesen sein, denn er hatte beispielsweise mit Balzac eine lange Brieffreundschaft – und der war ein cooler Lebemann. Wenn der mit Hammer-Purg­stall gut befreundet war, dann muss an Hammer-Purgstall auch etwas dran gewesen sein.

Auch die Stadt Wien, von der aus er die Welt bereiste, ist in Ihrem Buch nicht gerade einladend.

Nein, und das hat mich selbst verwundert. Für mich war ganz früh klar, dass ich für das Buch wissen wollte, wie etwa Wien roch. Ich war selbst ganz schockiert, dass Wien damals so verstunken war. Alle Reisenden aus der ganzen Welt, die Wien besucht haben, sagten auch, es sei die mit Abstand stinkendste Großstadt Europas. Das hat mich sogar ein bisschen gekränkt. Ich habe da auch nichts dazu erfunden – so wie ich Wien beschreibe, so war Wien damals auch. Es war kein guter Ort.

Verhielt es sich mit Konstantinopel da anders?

Der Unterschied war scheinbar der, dass die Menschen im Orient zumindest reinlicher waren als die Menschen in Wien. Die Wiener hatten ja auch Angst, sich zu waschen, weil sie dachten, Wasser überträgt die Pest. Im Orient scheinen sie sich aber tatsächlich gewaschen zu haben. Ich fand das auch sehr interessant, weil zu der Zeit, als ich begonnen habe, das Buch zu schreiben, sich gerade die sogenannte „Flüchtlingskrise“ entwickelt hat. Wo sich dann die Leute in Österreich negativ über die Leute im Orient geäußert haben und da war das für mich sehr bemerkenswert zu lesen, dass sich damals, vor nicht einmal 200 Jahren, die Orientalen geekelt haben vor den Mitteleuropäern, weil die schlecht rochen und schmutzig waren.

Der Orient war damals ein Sehnsuchtsort, den er für die Zuhausegebliebenen portraitierte. Heute ist es eher umgekehrt, das Morgenland dient Medien und Politik, um Angst zu verbreiten.

Als Hammer-Purgstall lebte, hat sich die Wahrnehmung auch gerade ein bisschen gedreht. Die Türken hatten den letzten Türkenkrieg verloren und die Österreicher hatten nicht mehr so große Angst vor den Osmanen und dadurch fing man an, sich mit ihnen zu beschäftigen. Und da war Hammer-Purgstall einer der Ersten, die sich der Kultur des Orients widmeten. Schnell kamen die Österreicher dann drauf, dass das ja extrem hochstehende Kulturen waren. Es gab beispielsweise Bibliotheken, wo eine einzige größer war als alle mitteleuropäischen zusammen. Und dass diese Faszination für den Orient aufkam, dafür war Hammer-Purgstall ganz entscheidend mitverantwortlich.

Hammer-Purgstall wurde in Graz geboren. Würdigen Sie auch seine Heimatstadt?

Gleich zu Beginn, weil er ja, wie Sie sagen, hier geboren wurde und weil ich eine Bürgerliste gefunden habe, die ich sehr interessant fand. Da standen nicht nur Name und Adresse, sondern auch Berufe, und diese Berufe – wie Landschaftsmaler, Wochenmelbler oder Kapaunhändler – gibt es heute alle nicht mehr. Das war wieder so ein Faszinosum, dass innerhalb weniger Generationen ganze Berufsstände ausgestorben sind, die damals aber ganz normal waren.

Joseph Hammer-Purgstall

War Graz auch so widerlich wie Wien?

Das Grazer Leben habe ich nicht als widerlich beschrieben, nein. Ich beschreibe etwa, wie Hammer-Purgstall einmal mit seinem Vater von Graz nach Kärnten fährt, und da gehen ihnen junge Frauen in Trachten zu und überall hängen Kirschen. Als sie aber dann nach Kärnten kommen, ist es grauenvoll. Da habe ich auch eine Reisebeschreibung von jemandem gefunden, der durch Kärnten gereist ist, und das muss schrecklich gewesen sein. Aber Graz kommt eigentlich sehr gut weg. Und Hammer-Purgstall war für Graz auch sehr entscheidend: Denn es gab immer die Frage, ob es nun Graz oder Grätz heißt. Und bei einem Kongress von führenden Wissenschaftlern und Sprachgelehrten zu dem Thema hat Hammer-Purgstall eine flammende Rede für Graz und gegen Grätz gehalten. Diese Rede war dann auch die Entscheidende, warum Graz heute Graz heißt.

Sie sagten Hammer-Purgstall war akribischer Arbeiter. Wie verhält es sich da bei Ihnen, wenn Sie schreiben? Sind Sie ein harter Arbeiter?

Ja, und das muss ich auch sein. Weil ich ja andere Sachen auch mache und die Zeit, die mir zum Schreiben bleibt, muss ich immer sehr gut nutzen. Da bin ich ziemlich fleißig, glaube ich. Beim Schreiben ist es ja das Großartige, dass man sich hinsetzt, arbeitet, auf die Uhr sieht und es sind sechs Stunden vergangen. Man kann darin so herrlich eintauchen.

Wo sind Sie eigentlich eher zu Hause? Beim Schreiben oder als Komiker auf der Bühne?

Sowohl als auch. In den letzten 12 Jahren ist das Schreiben aber immer wichtiger geworden und macht mir enorm Spaß. Vor allem auch als Antwort auf das Arbeiten im Duo. Man hat beim Schreiben auch keinen Witzzwang und kann seriös schreiben, was meine Leser sicherlich auch manchmal irritiert.

Hammer-Purgstall war Brückenbauer zwischen zwei Welten. Fühlen Sie sich auch so, als in Österreich lebender Deutscher?

Ja, irgendwie schon. Es gibt beispielsweise einen neuen deutschen Botschafter in Wien und ich habe bei einem Radiointerview kürzlich gesagt, dass ich nicht verstehe, warum andere sich Botschafter nennen, obwohl die nur ein paar Jahre bleiben. Schließlich bin ich der Deutsche, der bleibt und immer Deutschland repräsentiert. Daraufhin hat mir der Botschafter geschrieben, er hat das Interview gehört, und hat nun Angst, dass ich auf seinem Schreibtisch sitze, wenn er wieder nach Wien kommt. Das fand ich schon ganz lustig, dass ich so ein Vermittler bin, weil ich ja in Deutschland immer zu Österreich befragt werde und umgekehrt. Obwohl ich meist nichts zu Deutschland sagen kann, weil ich ja mittlerweile hier heimisch geworden bin. Das ist scheinbar mein Schicksal, dass ich immer ein Deutscher in Österreich bin, obwohl Wien meine gewählte Heimat ist.

Foto: Gerald von Foris

Wo, denken Sie, rührt dieser Bruderzwist her?

Wir sind Nachbarländer, die wahnsinnig viel gemeinsame Geschichte verbindet, wobei den Österreichern in der Vergangenheit schon immer klar war, dass sie die Wichtigeren, die Bestimmer sind. Meine Theorie war immer, dass Österreich gegenüber Deutschland sowohl einen Minderwertigkeitskomplex als auch eine gewisse Arroganz hat. Und beides zusammen ist halt schnell pathologisch. Entweder das eine oder das andere ist, glaube ich, kein Problem, aber beides gleichzeitig ist kompliziert. Aber dieses Verhältnis macht es ja auch spannend.

Wie hat sich Wien verändert, seitdem Sie hierhergekommen sind?

Als ich hier ankam, war Wien tatsächlich noch Ostblock. Menschen sind kurz davor noch nach München gefahren, um sich anzusehen, wie es im Westen aussieht. Wien war Sackgasse, hat im eigenen Saft geschmort. Jetzt ist es restauriert und schick. Als ich kam, konnte man sonntags um 14 Uhr nicht einmal mehr irgendwo mittagessen. Weil es nichts gab. Aber das hat sich nun alles verändert. Wien ist herausgeputzt und total weltoffen.

Wir sprachen bereits über die „Flüchtlingskrise“. Ist diese Weltoffenheit in Gefahr?

Ich denke nicht, denn dazu ist es einfach viel zu spät. Die Leute wären vielleicht nicht so weltoffen, können aber gar nicht anders, weil die Welt einfach hierhergekommen ist. Ich finde an Wien auch immer etwas verwirrend, dass die FPÖ hier so viele Stimmen hatte. Was doch bizarr ist, weil Wien ja immer schon ein Melting Pot war. Und es ist dumm zu glauben, dass das mal aufhören könnte. H. C. Strache hat ja beispielsweise tschechische Vorfahren und Strache ist ein tschechisches Wort, dass auf Deutsch Angst bedeutet. Das finde ich interessant, dass gerade solche Leute Angst schüren, die eigentlich das Gleiche sind, wie die Menschen, vor denen sie Angst machen wollen. Ich wiederum glaube, dass Wien gerade deshalb so eine coole Stadt ist, weil es so viele verschiedene Einflüsse hat. Und dass das in irgendwelchen Tälern in Tirol beispielsweise nicht so war, das sieht man dann ja auch an den Leuten.

Das nächste Mal in Graz zu sehen ist Dirk Stermann als Gast der Literatur-Show „Roboter mit Senf“ am 7. Februar (20 Uhr) im Literaturhaus Graz.

Am 13. Februar (20 Uhr) liest Dirk Stermann liest aus „Der Hammer“ in der Neuen Mittelschule Lebring.