Start Interviews Hermann Nitsch: Kunst als reales Geschehnis

Hermann Nitsch: Kunst als reales Geschehnis

Foto: Niki Pommer

Zwei Ausstellungen in Graz würdigen aktuell den Künstler Hermann Nitsch und geben Einblicke in dessen Lebenswerk anlässlich seines 80. Geburtstages. „Achtzig“ traf den Kunst-Star für seine Leser.

Text: Stefan Zavernik

Irgendwie wirkt es wie ein Heimspiel – mit gleich zwei schönen Ausstellungen feiert Graz Ihren 80. Geburtstag. Was verbindet Sie mit dieser Stadt?

In erster Linie meine Kunst. Mit Graz verbindet mich eine jahrelange Zusammenarbeit mit Galeristen, wie etwa mit Gerhard Sommer oder Philipp Konzett. Und mit Sammlern wie mit Reinhard Diethardt. In Graz habe ich auch einmal eine große Aktion gemacht, damals auf den Kasematten. Und einer meiner ehemals engsten Freunde stammt aus Graz: Günter Brus. Es war eine innige, herzliche Freundschaft. Aber unterschiedliche Biografien und Karrieren haben uns auseinandergebracht. Es hat mich sehr gefreut, dass ich ihn bei der Eröffnung meiner Ausstellung in der Galerie Kunst & Handel wiedergesehen habe.

Foto: Niki Pommer

Theater, Musik, Malerei – Ihre Kunst überschreitet seit jeher spartenspezifische Grenzen und nutzt unterschiedlichste Ausdrucksformen. Als was sehen Sie sich letzten Endes selbst? Als Maler, Theatermacher, Komponist, Dichter?

Ich bin ja eitel genug, um zu sagen, dass alle Kunstgattungen, sogar der Tanz, Bestandteil meiner Kunst sind. Aber wie ich mich selbst bezeichnen würde? Das ist eine gute Frage … eigentlich als Theatermann.

Gibt es für Sie als Theatermann so ­etwas wie eine höchste Form des Theaters?

Ich habe immer versucht, mein Theater als Gesamtkunstwerk anzulegen, und bin mir heute ziemlich sicher, dass die höchste Form des Theaters schon immer im Kult gelegen ist. Meine Vorstellung von Theater läuft auf gewisse Weise in jene Richtung, wie auch eine katholische Messe funktioniert: als Gesamtkunstwerk. Die Kirche als oftmals wunderbares Bauwerk ist voll mit Bildern und Skulpturen, zugleich passiert in ihr ein Geschehnis, das zelebriert wird. Es ist riechbar, es ist schmeckbar, es spricht alle unsere Sinne an, vor allem jener Menschen, die an die katholische Kirche glauben. Das nun bitte aber nicht als Bekenntnis zum katholischen Glauben zu verstehen.

Foto: Niki Pommer

Die Anfänge Ihres Orgien-Mysterien-­Theaters liegen im Literarischen und Sprachlichen. Wann wurde Ihnen klar, dass die Dichtung als Kunstform Ihrer Idee nicht gerecht werden konnte?

Dichtung beschäftigt sich immer ­damit, sinnlich-intensive Vorgänge zu beschreiben. Ich wollte aber solche sinnlich-­intensiven Vorgänge nicht mehr beschreiben, sondern wollte, dass die Rezipienten sie tatsächlich erleben. Es wurde mir klar, dass Kunst, so wie ich sie in den Sinn bekam, zu einem realen Geschehnis werden musste, zu einem Gesamtkunstwerk, dass alle Sinne anzusprechen vermag. In diesem Zusammenhang hat mir der Komponist Alexander Skrjabin sehr imponiert. Er hat sich zum Ziel gesetzt, seine Musik sichtbar zu machen, hat mit Farbprojektionen gearbeitet und ein eigenes Instrument erschaffen, das sogenannte Duftklavier. Er wollte ein Kunstwerk erschaffen, das alle fünf Sinne anspricht. Diese Idee hat mich nicht mehr losgelassen. Meine Kunst sollte nicht für passive Rezipienten bestimmt sein, sondern in der Lage sein, die Menschen in einen ekstatischen Zustand zu versetzen. Kurzum: Ich habe also damit begonnen, reale Geschehnisse zu inszenieren.

Der Name Hermann Nitsch steht heute in der bildenden Kunst für die von Ihnen entwickelte Technik der Schüttmalerei. Endstand auch sie als Folge des Thea­ters, als Teil des Gesamtkunstwerkes? Was führte Sie zu dieser Technik?

Noch vor dem Spritzen mit der Farbe habe ich mich mit alten Kultformen auseinandergesetzt. Mit dem Einsatz von Blut. Das hat mich intensiv beschäftigt. Ich wollte in meinem Theater, noch bevor ich mich der Aktionsmalerei verschrieben habe, Flüssigkeiten verschütten. Benzin, Öl, Fruchtsäfte, Blut, Eidotterschleim. Flüssigkeiten, die auch über ihren Geruch wahrnehmbar waren. Zum Auslöser für die darauf folgende Malerei war eine Ausstellung Ende der 50er Jahre, bei der ich erstmals informeller Malerei begegnet bin. Ich sah dort Arbeiten von de Kooning, ­Pollock, Mattieu, Reiner. Dabei erkannte ich, dass diese Maler eigentlich das Gleiche tun wie ich am Theater. Und habe dann sofort damit begonnen, meine Malerei zu entwickeln – aber immer im Hinblick auf mein Theater. Ohne meine Grundidee des Theaters als Gesamtkunstwerk würde es auch keine Schüttbilder geben. Meine Aktionsmalerei war und ist die erste Stufe der Realisationsmöglichkeit meines Theaters. Die nächste Stufe wäre dann die Tierkadaverausweidung, die Auseinandersetzung mit den Innereien, dem Schleim und dem Blut.

Foto: Niki Pommer

Die Ausstellungseröffnung bei Zimmermann & Kratochwill bot den Rahmen für die Präsentation des neu erschienenen Buches „Hermann Nitsch – Leben und Arbeiten“ von Danielle Spera. Wie viel erfährt man darin über den Künstler Hermann Nitsch?

Das Buch wurde ja bereits zum dritten Mal ergänzt und neu aufgelegt, nun ist es aktuell bis zur Stunde null. Ich bin mit Frau Spera befreundet und dadurch hat das Buch einen sehr persönlichen Charakter bekommen. Ich denke schon, dass es einen guten Einblick in meine Gedankenwelt gibt.

Im darin abgedruckten Gespräch über Ihr Leben und Ihr Werk sagen Sie, dass Sie die Grundidee Ihres Gesamtwerkes bereits als junger Künstler im Kopf hatten. Sie bezeichnen Ihr künstlerisches Schaffen als Jugendwerk, das Sie bis heute verwalten und weiterentwickeln.

Ich war als junger Künstler weder technisch noch finanziell noch künstlerisch in der Lage, diese Vision zu realisieren. Im Zuge meines Lebens bin ich dieser Fähigkeit aber immer nähergekommen. Damit bin ich aber keine Ausnahme in der Kunstgeschichte. In ihr gibt es viele Künstler, die ihr ganzes Leben an ihrem Jugendwerk gearbeitet haben. Zum Beispiel Goethe mit seinem Faust, der ihn von früh an sein ganzes Leben lang beschäftigt hat. Oder nehmen Sie Wagner. Er hatte bereits als junger Mensch die Vision des Rings und sich sein ganzes Leben mit diesem Werk beschäftigt. Er verwirklichte seine Jugendvisionen bis zum Ende seines Lebens. Ebenso Schopenhauer, dieser verwaltete und ergänzte lebenslang „Welt und Vorstellung“. Ähnlich ist es bei mir. Aus der Tradition des Hanges zum Gesamtkunstwerk ist meine Arbeit entwachsen.

Foto: Niki Pommer

Für 2020 haben Sie sich eine erneute Aufführung des 6-Tage-Spiels, des zentralen Werks des Orgien-Mysterien-­Thea­ters, zum Ziel gesetzt. Es soll für Ihr Lebenswerk ein besonders wichtiges Projekt werden. Wie lautet die Zielsetzung?

Mein Theater entwickelt sich ständig weiter. Nach dem Motto: work in progress. Ziel ist es, das 6-Tage-Spiel zu vertiefen und zu verfeinern. Wobei es aber wahrscheinlich schlanker angelegt sein wird, als die vorherige Aufführung. Eine besonders wichtige Rolle wird die Musik darin spielen. Ursprünglich wollte ich das Stück ja schon längst aufführen, aber dann hat man mich mit dieser Steueraffäre gequält. Andere werden subventioniert und mich haben sie als Bauernopfer hingerichtet. Das hat mir viel Zeit und Finanzkraft gekostet.

Heute zählen Sie zu den größten Kunst-Stars Österreichs, sind international in den bedeutendsten Museen vertreten und bereits zu Lebzeiten eine Legende. Tragen Sie als Künstler ein Erfolgsgeheimnis in sich?

Ich habe mein ganzes Leben lang gute Mitarbeiter gehabt, angefangen von meinen Künstlerfreunden, die mich am Anfang unterstützt haben und kaum ein Geld dafür bekommen haben. Nur saufen sind wir dann am Abend gegangen. Wir waren eine fruchtbringende Gemeinschaft. Heute habe ich auch ein fantastisches Team und mit Josef Smutný einen genialen Assistenten. Alleine würde ich das alles nie schaffen.

Foto: Niki Pommer

 

„Der Blick ins Innere“

 

Galerie „Kunst & Handel“, Bürgergasse 5, 8010 Graz

Grafiken, Zeichnungen, Partituren, Aktionsentwürfe, Fotografien, Schüttbilder und umfangreiches Archivmaterial geben Einblicke in das Werden des grafischen ­Daseinsdramas von Hermann Nitsch. Zu ­sehen bis zum 15.12.2018.

V.r.: Galerist Gerhard Sommer, Hermann Nitsch, Kulturstadtrat Günter Riegler, Roman Grabner (UMJ).
Foto: Niki Pommer

Galerie Zimmermann Kratochwill, Opernring 7, 8010 Graz

Die Ausstellung spannt den Bogen vom frühen Schaffen des Künstlers bis heute. Zu sehen sind Bilder und Objekte. Ausstellung läuft bis zum 15.12.2018.

Galerist Karl Zimmermann zeigt in der Galerie Zimmermann Kratochwill Bilder und Objekte von Hermann Nitsch.