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Theater für die Jüngsten: Die Königsdisziplin

Next Liberty Intendant Michael Schilhan Foto: Lupi Spuma

Michael Schilhan machte das Next Liberty zu einem der bedeutendsten Kinder- und Jugendtheater im deutschsprachigen Raum. Im Interview mit „Achtzig“ spricht er über kommende Produktionen und die Faszination und das Ziel, Kindern Lust auf Kultur zu machen.

Text: Julia Braunecker

Mitte Jänner startete das Next Liberty mit Ihrer Inszenierung „Der Schüler Gerber“ in die zweite Spielzeithälfte. Worum geht es in dem Stück und was bedeutet Schule als Institution für Sie?

Friedrich Torbergs Der Schüler Gerber spielt in den 1930er Jahren, im Zeitalter der „schwarzen Pädagogik“. Unter diesem Begriff versteht man Erziehungsmethoden, die Gewalt und Einschüchterung als Mittel enthalten. Der Protagonist des Stückes, Kurt Gerber, droht an ebendieser Gewaltspirale zu zerbrechen. Felix Mitterers eindringliche, sensible Bühnenfassung feierte 1999 unter meiner Regie ihre Uraufführung in Graz und kehrt nun ins Next ­Liberty zurück. Meiner Meinung nach funktioniert Schule nicht nur als „Lernfabrik“, sondern übernimmt auch die Rolle einer Sozialisationsinstanz: Im Klassenzimmer treffen Schüler unterschiedlichster sozialer Schichten und politischer Ansichten aufeinander.

Sie sind seit 2001 künstlerischer und seit 2004 auch geschäftsführender Intendant des Next Liberty. Die Zuschauerzahlen haben sich seit 2001 verdoppelt und Ihre Produktionen stoßen auch überregional in Deutschland, in der Schweiz, in Südtirol auf Anerkennung. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Meine eigenen Regiearbeiten für Kinder und Erwachsene erreichen in Deutschland und Österreich heuer an die 40.000 Besucher. Manchmal wacht man auf und denkt sich: „Das ist ein ganzes Fußballstadion voll Menschen!“ Kindern ist der Name des Leading Teams nicht wichtig. Das ist gut so. Unsere Aufführungen berühren Kinder und Erwachsene auf ihren Erfahrungsebenen. Das macht einen perfekten Theaterbesuch aus. Er wirkt nach. Meine Arbeit bringt aber auch eine enorme Verantwortung mit sich, denn schließlich sammeln die Kleinsten bei uns ihre ersten Theatererfahrungen. Theatermachen bedeutet für mich, Interesse an der Welt zu zeigen. Wir möchten Offenheit vermitteln. Trifft man als Kind auf die unterschiedlichsten Kulturen, Lebens- und Weltentwürfe, werden Kompetenzen wie Aufgeschlossenheit schon in jungen Jahren trainiert. Aus diesem Grunde war das Next Liberty immer schon ein sehr offenes Haus.

Michael Schilhan
Foto: Lupi Spuma

Worauf gründet sich Ihr Interesse an anderen Menschen und Kulturen?

In meiner Kindheit war das Verhältnis zwischen Osten und Westen aufgrund des Eisernen Vorhangs im Alltag sehr präsent. Als kleiner Junge wuchs ich auf einer Tankstelle an der B17 im Mürztal auf. Als 10-Jähriger habe ich mit Begeisterung große Trucks aufgetankt und kam mit Erwachsenen in Kontakt. Zu uns kamen Lkw-Fahrer aus Bulgarien, Sowjetunion DDR, CSSR usw., aber auch der eine oder andere berühmte österreichische Künstler, Sportler, Politiker. Alle vereinte, dass sie Treibstoff brauchten. Unsere Tankstelle war wie eine kleine Insel, ein Tor zur Welt. Ähnliche Erfahrungen machte ich auch in unserem Gasthaus, wo die unterschiedlichsten Parteimeinungen gemeinsam an den Tischen saßen, miteinander Schach spielten oder fernsahen, stritten und feierten.

Soziales Engagement wird im Next ­Liberty großgeschrieben. Was ist Ihre Motivation?

Engagement ist keine Einbahnstraße, ich bekomme von den Menschen, die ich unterstütze, sehr viel zurück. Im Rahmen eines Mentorenprogramms der KUG helfe ich Studierenden aus Osteuropa. Jeden Dienstag probt der Skating Amadeus Chor in unserem Haus. In dieser Theatergruppe treffen sich Jugendliche aus verschiedensten Kulturen und Religionsgruppen, um zusammen ein Projekt auf die Bühne zu bringen. Wenn Menschen durch ein niederschwelliges Mitwirken in unserem Chor einen Platz in der Gesellschaft finden, ist das für mich der schönste Erfolg.

Welchen Stellenwert hat die Theater­pädagogik an Ihrem Haus?

Einen sehr großen. Unsere drei Theaterpädagoginnen gestalten jedes Stück mit und bieten dem Publikum in Form von Workshops, Publikumsgesprächen und Spielclubs die Gelegenheit, sich über die Vorstellung hinaus mit dem Bühnengeschehen zu beschäftigten, mitzuspielen und den eigenen Platz im Theater zu finden. Im Haus selbst betreuen wir derzeit sieben Spielclubs mit 150 Kindern, in denen sie jedes Jahr ein eigenes Stück erarbeiten und es im Juni auf die Bühne bringen. An die 4.000 Kulturkontakte stiften wir mit unseren Rahmenprogrammen. Die Politik unterstützt dies im Gegensatz zu anderen Bundesländern und Städten ungemein. Da möchte ich nicht tauschen. Wir beraten auch Schulen, wie man das Theaterspiel in allgemeinen Unterricht einbauen kann. Die NMS St. Lambrecht wird ab dem nächsten Herbst zu einer vom Ministerium genehmigten Schule mit thea­terpädagogischem Schwerpunkt. Das ist doch was.

Der Schüler Gerber
Foto: Lupi Spuma

Was unterscheidet das Kindertheater vom Erwachsenentheater?

Die Kinderstücke drehen sich um dieselben Konflikte und philosophischen Fragen wie jene der Erwachsenen. Der Unterschied liegt in der Sprache, die auch für Vierjährige verständlich sein muss. Kindertheater ist die Königsdisziplin. Wir gaukeln dem Publikum keine Welt vor, sondern holen es in ihren Themen ab. Unsere Stücke machen Sinn und sind unterhaltend, deshalb kommen auch immer mehr Erwachsene zu uns.

Wie hat sich das Theatermachen seit Anbeginn Ihrer Tätigkeit verändert?

Nun, Theater sollte sich immer verändern, weil auch die Welt niemals stehen bleibt und immer neue Themen im Vordergrund stehen. Das ist gut so. Als Intendant muss man ein Seismograph für Stimmungen sein. Meine Aufgabe ist es, gute Teams zu bilden.

Welche Stücke sind in der zweiten Spielzeithälfte im Next Liberty zu sehen?

Nach dem Schüler Gerber zeigen wir Die tollkühnen Abenteuer des Baron Münchhausen, die der renommierte Kinderbuchautor Heinz Janisch neu erzählt hat. Wir bieten wieder drei Vorstellungen für Gehörlose an. Roel Adams Die Tanten ist eine schräge Verwechslungskomödie für die ganze Familie. Es geht um einen alleinstehenden Jugendlichen, der sich plötzlich mit seiner verrückten Verwandtschaft auseinandersetzen muss, die ihm das Erbe abluchsen möchten. Aberwitzig.

Wie viel Kind steckt eigentlich in Ihnen selbst?

Zum Inszenieren brauche ich Unvoreingenommenheit. Das bedeutet, dass ich nicht alle Figuren eines Stücks lieben oder gutheißen muss. Ich muss vielmehr verstehen, woher ihr Verhalten rührt. Beim Entwickeln der Figuren steckt viel von meiner eigenen Kindheit drin.

Was wollen Sie den kleinen Zuschauern mitgeben?

Den Kindern will ich zweierlei mitgeben: Dass man bei allen Unübersichtlichkeiten ein Mensch bleiben muss und dass es immer Hoffnung und Alternativen gibt. Und: Kinder sollen sich spielerisch für Kultur interessieren. Nicht nur fürs Theater, sondern auch für die bildende Kunst und die Literatur, Musik und anderes mehr.

Foto: Lupi Spuma

Neue Stücke in der zweiten Spielzeithälfte

Der Schüler Gerber nach dem Roman von Friedrich Torberg, Bühnenfassung von Felix Mitterer, Inszenierung von Michael Schilhan, ab 14 Jahren

Vorstellungen: um 19 Uhr: 6., 7. , 17. und 26. April

um 10.30 Uhr: 6.,10., 11., 18. ,25., 26. und 27. April

Die tollkühnen Abenteuer des Baron Münchhausen

Kinderstück mit Musik, neu erzählt von Heinz Janisch, ab 6 Jahren

Premiere: 8. März; 17 Uhr, weitere Vorstellungen: um 10.30 Uhr: 4., 5., 19., 20. ,24., April, 2., 3. und 25. Mai, 5. und 14. Juni

um 16 Uhr: 17. März, 4. ,20. ,21., 28., April, 25. und 26. Mai, 1. und 2. Juni

Die Tanten von Roel Adam, aus dem Niederländischen von Sarit Streicher und Matthias Grön, ab 10 Jahren

Premiere: 17. Mai: 18 Uhr, weitere Vorstellungen: Um 10.30 Uhr: 23. , 24. und 30. Mai, 6., 7., 13., 15. Juni

Um 18 Uhr: 23., 29. und 30. Mai, 8., 9., 15. und 16. Juni

 

Next Liberty / Kaiser-Josef-Platz 10, 8010 Graz

Tickets: Ticketzentrum Kaiser-Josef-Platz 10, Tel. 0316 8000, tickets@ticketzentrum.at

www.nextliberty.com