Start Interviews Fiston Mwanza: „Tram 83“

Fiston Mwanza: „Tram 83“

Fiston Mwanza

„Achtzig“ sprach mit dem kongolesischen und in Graz lebenden Autor über seinen international gefeierten Roman „Tram 83“, seine Heimat Kongo und darüber, warum die Sprache wie ein Saxophon ist.

Sie haben beim FreiSchreiben-Festival im Kulturzentrum bei den Minoriten gelesen. Was bedeutet frei schreiben für Sie persönlich?

Schreiben hat für mich immer etwas mit Freiheit zu tun. Ich komme aus dem Kongo, wo Menschenrechte wenig geachtet werden und die Freiheit daher stark eingeschränkt ist. Als Schriftsteller bist du privilegiert. Du hast die Chance, deine Freiheit zu nutzen. Beim Schreiben überquerst du Grenzen – sowohl unsichtbare als auch reale, indem du überallhin reisen kannst, um dein Buch zu präsentieren.

Ihr Romandebüt „Tram 83“ beschreibt eine von Gewalt, Überlebenswillen, Gier und neoliberaler Willkür geprägte zentralafrikanische Gesellschaft. In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass die Handlung für Sie nicht im Vordergrund steht?

Schreiben ist eine Kunst. Musik ist auch eine Kunst, aber Musik kann man ohne Handlung hören. In der Lyrik brauchst du auch keine Handlung – im Roman allerdings schon. In Tram 83 gibt es eine Handlung, aber die Handlung war mir nicht wichtig. Für mich war es zentral, etwas mit Gefühl zu schreiben und Emotionen zu transportieren. In Tram 83 ist eigentlich die Sprache die Handlung.

Sprache ist also für Sie mehr als bloßes Ausdrucksmittel?

Als Literat habe ich Lust, eine neue Form beim Schreiben zu gebären. Ich versuche immer, mit der Sprache zu kämpfen und sie zu domestizieren. Manche Realitäten sind unbeschreibbar. In Kinshasa z. B., der Hauptstadt im Kongo, gibt es überall Musik, laute Geräusche, viele Menschen. Dort herrscht eine unglaubliche Energie. Als Schriftsteller fragt man sich, mit welchen Worten man diese Energie beschreiben kann. Was ist die wertschätzendste Entsprechung dafür? Man muss dann versuchen, eine neue Sprache zu erfinden, eine neue Sprache in der Sprache.

Der Autor zu Gast in der Redaktion der Kulturzeitung 80.
Der Autor zu Gast in der Redaktion der Kulturzeitung 80.

Ihr Roman zeichnet sich durch eine musikalische Energie aus und ist durchgehend in rhythmisierter Sprache verfasst. Welchen Stellenwert hat die Musik als Gestaltungsprinzip für Ihr Schreiben?

Musik ist sehr wichtig für mich. In all meinen Texten gibt es etwas Musikalisches. Ich benutze die Sprache wie ein Instrument. Die Sprache ist wie ein Saxofon, wie eine Trompete oder wie eine Bassklarinette. Ich glaube, wir brauchen Musik, um manche Realitäten beschreiben zu können. Für Tram 83 habe ich zum Beispiel Jazz benutzt. Jazz war in der Nazi-Zeit verboten und galt als entartete Kunst. In Südafrika war Jazz ein wichtiges Sprachrohr gegen die Apartheid. Jazz ist eine Musik der Freiheit. Ich habe diese Freiheit benutzt, um meinen Roman zu komponieren.

Sie leben seit einigen Jahren in Graz. Was hat Sie in die Stadt geführt?

Ich bin ein Mensch, der immer eine neue Herausforderung braucht. Ich war viel unterwegs und habe in vielen großen Städten gelebt. Ich bin als Stadtschreiber nach Graz gekommen und mittlerweile ist Graz für mich zu meiner zweiten Heimatstadt geworden. Ich habe hier meinen Erinnerungsort – um einen Begriff von
Pierre Nora aufzugreifen – geschaffen. Was bedeutet z. B. der Tummelplatz für mich? Was verbinde ich mit Jakomini? Diese Erinnerungsorte geben mir die Möglichkeit, mich in Graz zu Hause zu fühlen.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann wieder im Kongo zu leben?

Ja, sicher. Meine Eltern leben dort und ich bin dort geboren und aufgewachsen. Aber jetzt gerade habe ich als Schriftsteller die große Freiheit, im Ausland zu schreiben.

Ein Problem ist auch, dass der Kongo so groß ist und die Infrastruktur schlecht ausgebaut ist. Wenn ich von Lubumbashi, wo ich geboren bin, in die nächste große Stadt nach Mbuji-Mayi will, muss ich fliegen. Ohne Flugzeug würde die Anreise zwei, drei Monate dauern. Lubumbashi liegt in der Nähe von Sambia und ich habe mit jemandem aus Sambia vielleicht eher zu tun als mit jemandem aus Mbuji-Mayi. Zudem ist es in einem so großen Land auch viel schwieriger, dass die Leute dein Buch finden und lesen.

Welche Bedeutung hat Literatur im Kongo?

Wenn du Kinderbücher schreibst, dann hast du kein Problem mit der kongolesischen Regierung. Ansonsten hat man im Kongo nicht immer die Freiheit, das zu schreiben, was man möchte. In Europa ist das anders. Noch ein großer Unterschied ist das Rezeptionsverhalten. Hier lesen die Leute einen Text wie einen literarischen Text. Im Kongo wissen die Leute manchmal nicht zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Sie fragen dich dann, warum du in deinem Roman nicht über sie oder über ihre Straße geschrieben hast. Dabei geht es immer um die Frage der Freiheit. Als Schriftsteller im Kongo schreibst du nicht nur für dich selbst. Du schreibst auch für deine Gesellschaft. Viele Menschen haben nicht die Chance zu schreiben und hoffen, dass du so ihre Stimme weitergeben kannst.

Ist „Tram 83“ geschrieben, um Europäern die Welt im Kongo näherzubringen, oder ist es ein Buch für die Menschen im Kongo?

Mein Roman ist keine Dissertation oder Diplomarbeit. Er ist Fiktion. Ich glaube, diese Realität, die in Tram 83 beschrieben wird, ist universell. Aber ich habe den Roman aus zwei Perspektiven geschrieben: als jemand, der in Afrika geboren ist, und als jemand, der im Ausland lebt – mit einem europäisch exotischen Blick. Für mich war es wichtig, diese beiden Sichtweisen zu verbinden und bestimmte Klischees zu konstruieren und zu dekonstruieren.

Glauben Sie, dass man als Europäer eine falsche Vorstellung von Afrika hat?

Ja. Wenn man über Afrika spricht, geht es immer nur um Kindersoldaten, um Kriege, um Korruption, um Diktatur. Das existiert natürlich. Aber Afrika hat 54 Länder und von diesen 54 Ländern gibt es vielleicht acht Länder, auf die das alles zutrifft. In den anderen Ländern kann man normal leben. Als Schriftsteller ist es daher immer besser, wenn man versucht, ein neues Licht auf den Kongo zu werfen.

In rhythmisierter Sprache thematisieren die Gedichte, Prosa-Arbeiten und Theaterstücke des aus der demokratischen Republik Kongo stammenden Autors Fiston Mwanza Willkür, Verrohung, den Zynismus der Macht – und Überlebenswillen. Im Besonderen gilt das für sein Romandebüt „Tram 83“, das mit etlichen Preisen ausgezeichnet wurde und im Rahmen der Lesung am 17. Oktober in Graz erstpräsentiert wurde. Drei Orte verdichten die gesellschaftliche Paralyse: der Titel gebende Nachtclub Tram 83, eine brodelnde Bordellbar und Mikrokosmos einer heruntergekommenen afrikanischen Stadt (inspiriert wohl von Lumbumbashi, wo Fiston Mwanza aufgewachsen ist und studiert hat), die Minen, und der Bahnhof, ein halbfertiges, von Granateneinschlägen zerschundenes Metallgerüst.

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FreiSchreiben. Literatur und Widerstand

Exit: Europa. Ausweg: Europa.

Fiston Mwanza, Ghayath Almadhoun, Najem Wali, Alina Khajtlina und Sergej Lebedew verließen ihre Ursprungsländer, um in Mittel- bzw. Nordeuropa zu leben. Sie schreiben Gedichte, Dramen, Romane, Blogs in ihrer Muttersprache und setzen sich mit Themen auseinander, die in ihren Ursprungsländern virulent (was oft gleichbedeutend mit tabuisiert) sind, ohne sich der Gesellschaft, in der sie aktuell leben, anzudienen. Widerständigkeit, Wachheit und poetischer Anspruch zeichnen ihre Arbeiten aus.

Der palästinensische Dichter und Filmemacher Ghayath Almadhoun wuchs in einem Flüchtlingscamp in Damaskus auf, bevor er 2008 nach Schweden emigrierte, wo er heute lebt. In lakonischen, unter die Haut gehenden Bildern setzt er sich mit Krieg, Vertreibung, Flucht, Traumatisierung, Asyl auseinander, immer wieder auf Damaskus, die nun verheerte Stadt seiner Kindheit, Bezug nehmend. Mit „Asylansökan“ (Asylansuchen) betitelt er den ersten in schwedischer Übersetzung erschienenen Lyrikband, in dem er nicht nur die Situation von Asylsuchenden beschreibt, sondern auch einen Blick auf die Länder wirft, in die sie fliehen.

Was Damaskus für Ghayath Almadhoun bedeutet, ist Bagdad für den irakischen Autor und Kulturkorrespondenten Najem Wali, der in Basra geboren wurde, in Bagdad studierte und in Berlin lebt. Gekonnt arbeitet er mit den Möglichkeiten des Erzählens und beschreibt, erinnert, erfindet Bagdad, die Stadt seiner Kindheit. Es sind subtile – gewitzte – Formen des Widerstands, in denen Najem Wali sich übt, angedeutet  in der vom Vater angestoßenen Sehnsucht nach Bagdad, die Imagination als Lebensmotor anspringen lässt und deutlicher in der Schilderung der Schönheit und der aufflackernden Freiheitsmöglichkeiten dieser Stadt.

Sergej Lebedew deckt in seinem ersten Roman Der Himmel auf ihren Schultern Räume der Gewalt auf: die Reste der sowjetischen Lager im russischen Norden, Massengräber von erfrorenen und verhungerten Häftlingen im Permafrostboden der Tundra. In sprachkräftigen Bildern führt Lebedew die Tradition Solschenizyns und Schalamows weiter. Dies tut er allerdings aus der für die russische GULAG-Literatur neuen Perspektive der „dritten Generation“, aus der Sicht eines nach seiner Rolle und seiner Verantwortung fragenden Enkels der Täter.

Alina Khajtlina wurde im Internet bekannt – mit 20 hatte sie mit ihrem Blog unter dem Spitznamen izubr bereits mehr als 5000 Followers. Ihre längeren, in der Tradition Joseph Brodkys stehenden Gedichte verbinden die Kleinigkeiten des Alltags mit existentiellen Erfahrungen. Sie faszinieren durch eine Mischung aus alltäglichem Sprachstil, gefühlstiefen und stimmungsvollen Bildern und einem wiederholenden metrischen Raster. Alina Khajtlina emigrierte 2012 – vor dem Ukraine-Konflikt – aus Sankt-Petersburg und zeigt ihre nonkonforme Position auch im Westen.

Termine

Mo. 24.10.2016, 20 Uhr

Freischreiben. Literatur und Widerstand

ImCUBUS, Graz

LESUNG: Ghayath ALMADHOUN und Najem WALI
MODERATION: Alexandra MARICS
LESUNG der ÜBERSETZUNG: Ninja REICHERT

Do. 03.11.2016, 2o Uhr

Freischreiben. Literatur und Widerstand

ImCUBUS, Graz

LESUNG: Sergej LEBEDEW und Alina KHAJTLINA
MODERATION:  Mariya DONSKA
LESUNG der ÜBERSETZUNG: Ninja REICHERT