Start Featureshome „Die Jazzpolizei wird aussterben“

„Die Jazzpolizei wird aussterben“

Otmar Klammer Foto: Fulgler

StockwerkJazz ist vor wenigen Wochen in das umfangreichste Herbstprogramm seiner Geschichte gestartet. Und das, obwohl es schwer abzuschätzen bleibt, wohin sich die Lage für Kulturveranstaltungen entwickeln wird. Betreiber Otmar Klammer über die ungebrochene Lust am Jazz, veraltete Vorstellungen und junges Publikum.

Text: Stefan Zavernik

Ist die Lust auf Jazz beim Grazer Publikum trotz Pandemie ungebrochen?

Ja, absolut. Das haben wir gleich im Juni gemerkt, als wir nach der Lockdown-Zeit und einer damit einhergehenden siebenmonatigen Konzertpause mit unserem ersten Konzert zurückkamen. Ich kenne das Grazer Publikum wirklich gut und behaupte, dass ich jeden Applaus definieren kann. Als ich das Publikum gehört habe, wusste ich sofort: die eine Hälfte seines Applauses gehörte der Band, die andere war pure Euphorie darüber, dass man wieder eine echte Band live auf der Bühne erleben durfte. Der Applaus hatte etwas tief Solidarisches.

Wie homogen ist das Grazer Publikum?

Die sogenannte Jazzpolizei ist im Aussterben begriffen. Sie salutiert kaum mehr bei verdächtigen Konzerten auf. Mit ihnen meine ich wirkliche Jazz-Puristen, die nur ganz bestimmte, traditionelle Jazzkonzerte besuchen. Das restliche Publikum in Graz ist und war immer sehr aufgeschlossen, mehr als in jeder anderen österreichischen Stadt. Das ist nicht zuletzt auch dem alten Ruf der Stadt der Avantgarde zu verdanken, ausgehend vom steirischen herbst. Und das Kulturhauptstadtjahr 2003, für das wir ein großes ganzjähriges Programm gemacht haben und uns die riesige Werbemaschinerie des Unternehmens auch ein großes Publikum in die Clubs spülte, konnte vor allem junges Publikum in Bewegung setzen, wovon uns vieles bis heute geblieben ist. Junge Menschen sind auf den Geschmack gekommen, nach dem Motto „Das ist auch Jazz? Wenn wir das gewusst hätten, wären wir schon viel früher gekommen.“

Lässt sich der zeitgenössische Jazz eigentlich definieren? Wo beginnt er, wo hört er auf?

Jazz abseits der akademischen Lager lässt sich heute nicht mehr nur nach musikalischen Parametern definieren. 2017 wurde der Jazz ja offiziell 100 Jahre alt, keine andere Musikrichtung in der Geschichte hat sich so schnell verändert wie er. Das, was heute unter Jazz firmiert, ist natürlich etwas anderes als vor 100, 70 oder 50 Jahren. Man muss Jazz heute in einer Kontinuität mit dem Unmittelbaren und den parallelen Entwicklungen sehen, nicht mit dem, was im Bebop oder Cool Jazz war. Was gleich geblieben ist, ist die Haltung, der Freiheitsdrang und die Urbanität.

Welchen Stellenwert hat der Jazz beim jüngeren Publikum?

Der Begriff Jazz ist für das junge Publikum eine große Hemmschwelle, weil es damit eben all diese Dinge assoziiert, die eigentlich schon längst Vergangenheit sind. Ich meine damit etwa die Hardbop-Ära aus den 50er Jahren. Konfrontiert man aber das junge Publikum mit all dem, was Jazz heute sein kann, was alles möglich ist, ist es in der Regel begeistert. Das bedeutet im Umkehrschluss: Der Begriff Jazz steht der Musik Jazz heute im Weg. Wenn etwa Lukas König seine Live-Performance im Stockwerk macht, rennt uns das junge Publikum die Türen ein. Obwohl das auch in einer dringenden Kausalität zum Jazz steht.

Ihnen eilt der Ruf voraus, dass Sie das Publikum gerne fordern. Wie anstrengend muss ein Jazzkonzert Ihrer Meinung nach sein, um nicht zum Unterhaltungsevent zu verkommen?

Es muss überhaupt nicht anstrengend werden. Ich mache im Wesentlichen dieselbe Musik, die bei mir zu Hause im Wohnzimmer spielt. Ich sehe es so: Das Publikum zu fordern, bedeutet auch immer, es auf den Geschmack für Neues zu bringen. Mit wachsendem Interesse steigen dann natürlich auch die Bedürfnisse und schlussendlich auch der Anspruch. Das Stockwerk erhält öffentliche Subventionen und ist kein kommerzieller Spielbetrieb, es hat damit auch einem Bildungsauftrag nachzukommen. Darüber hinaus liegt mir viel daran, das Profil des Clubs zu schärfen. Nur so kann es gelingen, das Publikum auch zu Konzerten mit noch unbekannten Bands zu bringen. Die Leute müssen einem vertrauen und sich auf ihren Club verlassen können.

Foto: Fulgler

Auf welche Konzerte freuen Sie sich besonders in den kommenden Wochen?

Auf alle! Ich freue mich generell auf so innovative Konzerte, wie sie zurzeit immer wieder Bands aus Berlin oder London bieten können. Wie zum Beispiel Ronny Graupe’s Spoom am 4. Dezember. Das ist genau das, was zeitgenössischen Jazz heute ausmacht. Ein Konzert, das so gut wie alles, was heute möglich ist, zusammenfasst. Eine Musik, die ständig im Prozess ist.

Sie sind seit einigen Jahren künstlerischer Leiter des Jazzfestivals in Leibnitz. Braucht auch Graz wieder ein ­eigenes Jazz-Festival?

Ich habe ja schon in Graz viele Jahre an einem Festival als Kurator gewirkt, gemeinsam mit gamsbART als Veranstalter und Karlheinz Miklin als Patron. Das war das Festival GrazMeeting, das sich dann aber irgendwie erschöpft hat. Wie in den meisten großen Städten kann man heute nur beschränkt ein Jazzfestival machen, bei dem sich der Festival-Charakter kontinuierlich aufrecht hält. Man geht schnell im allgemeinen Kulturtrubel unter. Der Festivalgedanke hat mit einem Festivalpublikum zu tun, das man weniger gut an große Städte als an kleine mit einem bestimmten Ambiente binden kann.

StockwerkJazz gibt es seit mittlerweile fast drei Jahrzehnten. Wie lange werden Sie den Jazzclub noch führen? Gibt es noch Visionen?

Visionen habe ich immer, an die Pension denke ich nicht. Nach wie vor würde ich mir ein Jazzclub-Modell wie etwa jenes eines Porgy & Bess in Wien für Graz wünschen. Und ein solches auch gerne umsetzen. In dieser Größe wird das in Graz nicht funktionieren, aber vom Konzept her, etwas kleiner dimensioniert, sollte es machbar sein. Zurzeit arbeite ich aber einmal mit den beiden Filmemachern Markus Mörth und Norbert Prettenthaler an dem experimentellen Kunstfilm Graz – City of Jazz, den wir nächstes Jahr in Graz und Bremen präsentieren wollen. 

StockwerkJazz
Jakominiplatz 18, 8010 Graz
Tickets unter 0676 315 955

www.stockwerkjazz.mur.at

Termine:

Kuzu
Dave Rempis – sax, Tashi Dorji – guitar, Tyler Damon – drums
Donnerstag, 11.11., 20 Uhr

Foto: Julia Dratel

Karl Ratzer Trio
Donnerstag, 2.12., 20 Uhr

Foto: Lennart Horst

Ronny Graupe’s Spoom
Samstag, 4.12., 20 Uhr