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Literaturhaus Graz – Out of Joint

Clemens J. Setz Foto: Max Zerrahn

Das Beste der heimischen Literatur und ein Symposium im steirischen herbst erwartet das Publikum im Literaturhaus Graz.

Text: Wolfgang Pauker

Coronabedingt holt das Literaturhaus Graz einige Veranstaltungen aus dem Frühlingsprogramm nach und legt den Schwerpunkt in der neuen Saison auf österreichische Autoren und Neuerscheinungen. Mit dem Symposium „Out of Joint“, einem Literaturfestival im steirischen herbst, dessen hochkarätige Besetzung von Clemens J. Setz angeführt wird, folgt Anfang Oktober ein besonderes Highlight.

Hubert Achleitner, besser bekannt als Hubert von Goisern
Foto: Konrad Fersterer

Debüts von Eckhart und von Goisern

Den Auftakt macht die Begrüßung der neuen Stadtschreiberin in Come together (10.9.), gefolgt von der in Graz aufgewachsenen Kabarettistin Lisa Eckhart (15.9.), die in der Reihe druckfrisch (moderiert von Daniela Strigl) ihren tabulosen und geschliffenen Debütroman Omama – einen wilden Ritt durch die Nachkriegsgeschichte – präsentiert. Nur zwei Tage später liest in der Reihe Premiere die Bachmannpreis-Gewinnerin 2019 Birgit Birnbacher aus ihrem Roman Ich an meiner Seite, der von dem jungen Außenseiter Arthur handelt und der Frage nachgeht, was ein „nützliches“ Leben ausmacht. Die Präsentation des literarischen Debüts von Hubert Achleitner, besser bekannt als Hubert von Goisern, folgt am 21.9. im AK-Saal, moderiert von Nora Schmid, Intendantin der Oper Graz: flüchtig ist ein musikalischer Roman über Liebe, Sehnsucht und Glück, in dem Achleitner auf eine abenteuerliche Reise von den österreichischen Bergen quer durch Europa bis nach Griechenland mitnimmt.

Lisa Eckhart
Foto: Troebinger

Helena Adler und Stefanie Sargnagel

Ebenfalls in der Reihe Debüts gastiert Helena Adler mit ihrem medial vielbeachteten Erstlingswerk Die Infantin trägt den Scheitel links (20.10.), in dem die Salzburgerin über Heuboden- und Heimatidylle mitsamt dem Abfackeln eines Bauernhofes – nicht nur aus Versehen, sondern aus Notwehr – schreibt. Moderiert von Agnes Altziebler wird an diesem Abend auch der DF-Preisträger 2019 des Bachmann-Wettbewerbs Leander Fischer aus seinem Roman Die Forelle lesen. Tags darauf gastiert Stefanie Sargnagel in der Reihe druckfrisch und wird, moderiert von Zita Bereuter, ihr neues Buch Dicht vorstellen. Es ist ein (beinahe klassischer) Coming-of-Age-Roman: lustig und brutal, eigensinnig und populär.

Stefanie Sargnagel
Foto: Apollonia Theresa Bitzan

Josef Winkler und Clemens J. Setz

Ende Oktober sind Josef Winkler und Xaver Bayer in der Reihe Premiere (28.10., Moderation Christine Scheucher) im Literaturhaus zu Gast. Winkler wird aus seinem neuen Buch Begib dich auf die Reise lesen; seine Sprachlust entzündet sich darin an Leben und Sterben im heimatlichen Kamering, am Gewimmel italienischer Märkte oder an der Turbulenz zwischen den Scheiterhaufen im indischen Varanasi. Tags darauf liest Clemens J. Setz aus Die Bienen und das Unsichtbare und kommt mit Bernhard Tuider (Plansprachensammlung und Esperanto­museum, Österreichische National­bibliothek) ins Gespräch. Setz widmet sich in seinem neuem Buch Plansprachen wie Esperanto oder Volapük, und es ist die eigenartige Vermengung von tiefer existenzieller Krise und Sprachenerfindung, die er aufspürt und die ihn in ihren Bann schlägt, was dieses Buch auch zur persönlichen Geschichte des Sprachkünstlers macht.

Helena Adler
Foto: Eva trifft.Fotografie

Literaturfestival im steirischen herbst

Eine zentrale Rolle wird Setz auch als einer der Protagonisten des Literaturfestivals „Out of Joint“ (6. bis 9. Oktober) spielen, welches das Literaturhaus Graz in den nächsten drei Jahren mit dem steirischen herbst auf Basis gemeinsamer inhaltlicher Intentionen veranstalten wird. Der Titel ist angelehnt an Hamlets berühmte Verse: „The time is out of joint; O cursed spite! That ever I was born to set it right!“ Denn sowie eine ganz perfide Strategie in dem vermeintlichen Wahnsinn des Prinz von Dänemark steckt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, lebt auch die Literatur in dieser Ambivalenz. Inszeniert sie den Ausnahmezustand oder ist er ihr von außen vorgegeben? Wie greift das Literarische ins Politische ein? Wer formt und durchschaut hier wen? Fragen dieser Art werden von promintenten Teilnehmern behandelt und den Eröffnungsvortrag wird Clemens J. Setz zum Thema „Wie man zu Lebzeiten fiktiv wird“ halten, in dem er das Buch Time out of Joint des Autors Philip K. Dick präsentiert. Danach wird Jonathan Coe, Gewinner des European Book Price 2019, der Frage „Brexit – Farce oder Tragödie“ nachgehen. An Tag zwei steht das Virus Covid-19 im Mittelpunkt: Margarethe Tiesel und Franz Solar lesen aus den Corona-Tagebüchern, gefolgt von einer Podiumsdiskussion unter der Leitung von Klaus Kastberger mit Lisz Hirn, Konrad Paul Liessmann, Robert Pfaller, Kathrin Röggla und Martin Sprenger zum Thema „Was wurde aus der Welt von gestern? Ausnahmezustand vs. Normalität“.

Klaus Kastberger, Professor für Gegenwartsliteratur, Leiter des Literaturhauses Graz und Juror beim Ingeborg-Bachmann-Preis. Foto: Friesinger

Tag drei steht im Zeichen des Themas „Climate change“: Kathrin Röggla, Tanja Busse, Cécile Wajsbrot und Monika Rinck werden Klimawandel und Ressourcenknappheit thematisieren und der Frage nachgehen, wie Literatur in Zeiten der „großen Verblendung“ (Amitav Gosh) darauf reagieren kann. Den Abschluss bildet die Literaturshow „Roboter mit Senf“ in ihrer sechsten Ausgabe: Wie lustig ist der Ausnahmezustand? Ist uns das Lachen jetzt vergangen? Wie geht es mit der Menschheit weiter? Zur Beantwortung wurden der Dokumentarfilmer Michel Reisecker (Reiseckers Reisen) sowie die Autoren Judith Schalansky und Tomer Gardi eingeladen.      

Das genaue Programm für September/Oktober sowie aktuelle Informationen zu den Corona-Maßnahmen finden sich unter: www.literaturhaus-graz.at.

Clemens J. Setz über die Zeit aus den Fugen

Sie werden „Out of Joint“, das Literaturfestival im steirischen herbst, mit einem Vortrag eröffnen. Was behandeln Sie darin?

Ich werde versuchen, die verblüffenden Parallelen zwischen einer Künstlerexistenz und einem von Verschwörungstheorien gesteuerten Leben nachzuzeichnen.

Sie widmen sich dem Buch „Time out of Joint (Zeit aus den Fugen)“ aus dem Jahr 1959, in dem sich die scheinbare Wirklichkeit als eine von bösartigen Mächten erzeugte Täuschung erweist. Wieso fiel die Wahl auf dieses Werk?

Das Literaturhaus Graz hat dieses Werk ausgewählt und mich gefragt, ob ich dazu einen Vortrag machen möchte.

Inwiefern deckt sich die Handlung mit Ihrem eigenen Selbstverständnis?

Das Gefühl, „eigentlich in einer ganz anderen Welt zu leben“, ist ein auffallender Faktor.

Clemens J. Setz

Gerade in Krisenzeiten boomen Verschwörungstheorien. Woher kommt das?

Aus religiösem Hunger, als Schutzzauber gegen Kontrollverlust und oft auch aus einer Präferenz für die poetischere, romanhaftere Sicht auf die Welt.

Ende Oktober werden Sie abermals im Literaturhaus zu Gast sein und Ihr neues Buch, in dem es um künstlich erzeugte Sprachen geht, vorstellen. Woher rührt die Faszination für Plansprachen?

Die primäre Faszination ist, dass es in diesen Plansprachen Literatur gibt, in einigen Fällen sogar sehr umfangreiche.

Sie gelten als Sprachkünstler. Sprechen Sie eine Plansprache oder haben Sie gar selbst einmal eine Sprache erfunden?

Ich habe einmal versucht, eine zu erfinden, aber damit kam ich nicht sehr weit. Ich spreche Esperanto noch sehr stockend, kann es aber inzwischen flüssig lesen. Volapük habe ich ein wenig erlernt, aber rasch wieder vergessen. Und Blissymbolics – auch hier tritt leider, sobald man aufhört zu üben, ein starkes Nachlassen der Beherrschung ein.

Ihr neues Buch erzählt Anekdoten getreu dem Motto: „Erzähl die beste Geschichte, die du kennst, so wahr wie möglich“. Fühlen Sie sich der Wahrheit verpflichtet?

Für meine bisherigen Bücher galt eher: Wahrheit im Sinne menschlicher Erfahrung, nicht unbedingt im Sinne von Faktentreue. Bei dem neuen habe ich mich auch um absolute Faktentreue bemüht, sodass alles unabhängig verifiziert werden kann.