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Paradoxe Intervention im Kultum

Joseph Marsteurer, Konzeptkünstler und studierter Philosoph und Violonist. Foto: Johannes Rauchenberger

Die Schau von Joseph Marsteurer „Bilder ohne Kunst! Radikale Grenzverschiebung und Zwischenräume“ ist eine Ausstellung, die sich selbst in Frage stellt und dabei ein Feuerwerk an philosophischen Experimenten entzündet.

Text: Lydia Bißmann

Das Kultum zeigt ab 11. Jänner eine Ausstellung des niederösterreichischen Malers Joseph Marsteurer. Der Titel alleine ist vielversprechend und verwirrend zugleich. Keine Kunst! Radikale Grenzverschiebung und Zwischenräume bietet Bilder, die laut dem Erschaffer „Abmalerei”, aber keine Kunst im herkömmlichen Sinne sind. Die ausgestellten Bilder sind fotorealistische Malereien von völlig profanen Aufnahmen kulturell höchst aufgeladener Orte wie der Pariser Notre-Dame vor dem Feuer oder des Bahnhofs von Venedig. Möglichst „schön”, möglichst „kunstfern” sollen sie laut Erschaffer sein. Die aus dem möglichst genauen malerischen Kopieren von Urlaubsschnappschüssen entstandenen „Wohnzimmerschinken” inszenieren handwerkliches Können und noch viel mehr. Der Preis der Bilder ergibt sich aus den dafür verwendeten Stunden. Basis der Berechnungen, die in Protokollen fein säuberlich aufgelistet sind, ist der handelsübliche Stundenlohn für Maler und Anstreicher. Pro Bild sind nicht mehr als 200 Arbeitsstunden erlaubt – 500 Arbeitsstunden gestattet sich der Künstler pro Jahr. Je weniger Stunden er braucht, desto besser. Je realistischer die Kopie, die Abmalung, desto gelungener die Nichtkunst.

Resultate der „Abmalerei“ mit möglichst kunstfernen Motiven

Antworten, die Fragen erzwingen

Joseph Marsteurers Intervention, die zum ersten Mal im Kultum gezeigt wird, ist umwerfend komisch, absurd und schaurig zugleich. Sie nimmt den manifestierten Kunstbegriff als solchen aufs Korn und zugleich den Künstler als „Genie” aus der Schusslinie. Sie serviert exaktes Agieren nach Plan, bietet ungefragt Antworten und schickt die Betrachter so auf eine mehr philosophische als ästhetische Entdeckungsreise. „Garantiert keine Kunst, aber dafür möglichst schön”, lautet seine Prämisse beim Erstellen der Arbeiten. Dieser Umkehrschluss setzt unentrinnbar einen Denkprozess in Gang. Der Betrachter hat gar keine andere Möglichkeit, als sich seine eigenen Gedanken zu machen. Der unfreiwillige Künstler nimmt den berüchtigten Elefanten, der sonst oft im Raum steht, her und stellt ihn einfach als Attraktion aus. Die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit des Künstlers, nach seinem Können, nach der nicht zuletzt finanziellen Entlohnung seiner Arbeit ist vorne weggenommen und damit doppelt so wichtig. „Es hat mich fasziniert, Malerei im Kontext Kunst zu betreiben, das heißt eine Malerei entstehen zu lassen, ohne sie im Kontext Kunst messen zu lassen“, so ­Marsteurer über sein jüngstes Projekt. Wo ist also die Kunst? Verfolgt Malerei von vornherein die Absicht, Kunst zu sein? Genau an dieser Stelle schleicht sich der Kunstbegriff ein – was ist Kunst, wo hört sie auf, wo fängt Kunst an? Muss man sich dabei was denken oder darf man sich treiben lassen? Muss ich etwas wissen oder kann ich reimen? Kapitalismuskritik trifft auf eine sehr pragmatische und konsequente Form des Dadaismus für Erwachsene. Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll, angesichts der Stundentabellen, der unerträglich funktionalen Daunenjacken der Menschen auf seinen Darstellungen, der realsozialistisch anmutenden Darstellungsform ohne Ideologie.

Urbbild und Abbild bei der Ausstellungsvorbereitung: Im gleichen Format erkennt man keinen Unterschied

Vermessene Kunst

Es ist ein weiterer Schritt im Werk von Joseph Marsteurer, der 1963 im niederösterreichischen Miesenbach zur Welt kam, an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien studierte und aktuell dort lebt und arbeitet. Die sehr angewandte theoretische Auseinandersetzung mit Malerei an sich war immer schon Gegenstand seiner Arbeiten. Er sezierte die Kunst in ihre Einzelteile. Seit 14 Jahren malt er täglich fünf Meter lange Pinselstriche auf ein Trägermedium, nimmt sie ab, um sie anschließend einzuscannen, abzuwiegen und akribisch in seinem Archiv abzulegen. Der Käufer darf sich dann ein bis zwei von diesen unzähligen Strichen aussuchen und auch ein wenig mitreden. Aus den einzelnen Strichen fertigt der Maler dann eine Wandskulptur oder ein Bild an. Ein Objekt, das von jeder Seite betrachtet um beliebig viele Grad gedreht werden darf. Auch hier drängen sich die Fragen auf, wo denn nun die Kunst entsteht, wann ein Bild zum Bild wird und wer das schlussendlich bestimmt. Joseph Marsteurer hat auch Violine, Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Atelierstipendien führten ihn nach Krakau (1996), Paris (1999), Rom (2002) und Budapest (2016). Er ist Träger mehrerer Kunstpreise. 2007 zeigte das Kultum eine Personale, in der seine Strichskulpturen und Bilder sich auch einmal über drei Räume ausbreiteten. Jeden Tag begibt er sich um 9 Uhr morgens in sein Atelier und absolviert sein Arbeitspensum an Abmalerei. Die Archivierung und Protokollierung seiner Ergebnisse findet immer am Nachmittag statt. Auch diese konsequente Regelmäßigkeit ist untrennbar mit seinem Werk verbunden. Seine stetige Beschäftigung mit dem fassbaren unmittelbaren Medium der Kunst, mit dem sichtbaren fühlbaren Körper der Bilder, dem Pinsel, dem Strich, der Farbe macht Platz frei für die „Zwischenräume”. Es sind die Räume im Kopf, die die Kunst entstehen lassen, die Gedanken, die er den Betrachtern aufzwingt, indem er die Fragen, die so manchen Ausstellungsbesuchern auf der Zunge liegen, von dort wegnimmt und beantwortet. „Die Kunst“, so Marsteurer, „ist etwas Luftiges, etwas, das eigentlich nur Spuren hinterlässt und kaum greifbar wird. Wenn man glaubt, die Kunst zu haben, ist sie auch schon wieder weg. Weil man sie nur für das persönlich Erlebte für Momente erreichen kann. Kurz darauf ist sie auch schon wieder verschwunden: Das ist für mich der Kunstbegriff schlechthin.“

Entstehungsprozess einer „Nichtkunst”

Hoffnungsvolle Zonen

Kunst ist also für Joseph Marsteurer etwas Dynamisches, etwas, das ständig in Bewegung ist. Man kann sie seiner Meinung nach weder in einer materiellen noch sprachlichen Form „einfangen”. Sonst könnte man die Kunst auf rationale Fakten herunterbrechen, womit sie womöglich sogar ersetzbar wäre. Aber das ist sie nicht. Er unterstreicht, was die Kunst nicht ist, also körperlich (in einem Bild) fixierbar, und gibt damit Hoffnung. Hoffnung auf ein Verstehen, auf ein Begreifen-Können. Mit seiner ostentativen Rationalität, seinem konzentrierten Pragmatismus feiert er nichts anderes als die Sehnsucht, die Romantik, die Phantasie und nicht zuletzt den Glauben. „Zwischen-Realitäten sind größer als die im Vergleich dazu winzigen Stabilitäten der Realität, sie besetzen die Leichtigkeit und das Gewicht der Abwesenheit, des Noch-Nicht und des Nicht-Mehr.“ Das macht die Ausstellung, die bis 15. Februar zu sehen ist, zu einem sinnlich-amüsanten Pflichtprogramm für Kunstliebhaber und Kunstfeinde, Gedankenspieler und Wissbegierige, Ästheten und Zweifler gleichermaßen.

Sa. 11.1.2020, 11 Uhr

Eröffnung mit Kurator Johannes Rauchenberger

Do., 13.2.2020, 18 Uhr

Künstler- und Kuratorengespräch mit
Lucas Gehrmann (Kurator Kunsthalle Wien)

Zu sehen bis 15.2.2020, Di–Sa, 11–17 Uhr

Kultum, Kulturzentrum bei den Minoriten, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz, Eintritt:
3 €, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren frei, Tel. 0316 711 133 29

www.kultum.at