Start Kunst & Kultur La Strada Graz: Demokratische Partizipationsräume

La Strada Graz: Demokratische Partizipationsräume

Foto: Juan Gabriel Sanz

Viele der La-Strada-Produktionen setzen die Nadel an gesellschaftliche Fragestellungen an, laden zur Partizipation und zeigen lustvoll und zugleich kritisch die Bandbreite von Straßenkunst, Figurentheater, Neuem Zirkus und vor allem Community Art. „Achtzig“ traf Intendant Werner Schrempf zum Interview für Einblicke in das aktuelle Programm.

Text: Natalie Resch

Alte Bekannte wie Murmuyo einzuladen oder Cie Oposito & Decor Sonore hat Tradition bei La Strada. Es gibt ein Wiedersehen mit den jungen Australiern Gravity & Other Myths. Was ist das Spannende an Langzeitbeziehungen?

Was mich im speziellen Fall an Gravity & Other Myths interessiert, ist eben diese über Jahre verbindende Zusammenarbeit. Kennengelernt haben wir sie, als sie noch in einer ganz anderen Entwicklungsphase waren. Zugleich haben wir von Anfang an ihr großes Talent gespürt, nur mit ihren Körpern, ohne großen technischen Aufwand, Geschichten zu erzählen. Bis heute haben wir zwei ihrer drei Shows koproduziert, stehen in engem Austausch. A Simple Space haben wir beim Cirque Noël 2017 im Orpheum gezeigt. Nun hatte ich den großen Wunsch, das auch dem La-Strada-­Publikum zu zeigen. Aber eben auf einem für La Strada typischen Platz. Die GrazerInnen können am Hauptplatz, inmitten ihrer eigenen Stadt, inmitten von vielen und miteinander die Produktion erleben. Eingehüllt in das besondere Flair, wenn im öffentlichen Raum Menschen etwas teilen.

Werner Schrempf
Foto: Nikola Milatovic

Sie betonen immer wieder, dass das gemeinsame Erleben, die Einbindung des Publikums in Produktionsprozesse für das Festival wesentlich ist. Warum?

Eines der Projekte baut auf eine frühere Zusammenarbeit mit Follow The Rabbit auf. Seit zwei Jahren laufen bereits die Vorbereitungen zur Entwicklung der neuen Koproduktion, die Tümpelfestspiele. Das Publikum erhält während des diesjährigen Festivals erste Einblicke und die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu blicken und verschiedene Entwicklungsstadien mitzuerleben. Im Bereich der Community Art geht es ja sehr stark um diesen Aspekt. Bei diesem Genre haben wir eine besondere Neugierde entwickelt, getrieben vom Wunsch, mehr und mehr GrazerInnen in den Kreationsprozess einzubinden, sie teilhaben zu lassen an der Entwicklung. Wir arbeiten zunehmend mit KünstlerInnen zusammen, die sich mit solchen Formen des Theaters, der künstlerischen Auseinandersetzung beschäftigen. Formate, die Menschen, aber auch Institutionen beteiligen.

Flip Fabrique
Foto: Benoit Lemait

Für das Community-Art-Projekt „Made in Graz“ von Joanne Leighton haben Sie 99 tanzbegeisterte GrazerInnen gesucht. Was, glauben Sie, ist deren Antrieb mitzumachen?

La Strada hält sich bekanntlich im öffentlichen Raum auf, in der Stadt, inmitten der Menschen. Gut sichtbar. Und über jene Beziehung, die KünstlerInnen über Jahre zum Publikum pflegen, ist ein Vertrauensverhältnis entstanden, auf dem Community-Art-Projekte wie Made in Graz aufbauen. Ich glaube, dass der Antrieb der Menschen aus einem tiefen Interesse heraus entsteht, das sie mit La Strada teilen. Wir versuchen spürbar zu machen, dass es uns immer um die eigene Stadt geht; eben nicht um ein Event, das den Menschen irgendetwas vorgibt. Dieses tiefere Verständnis des Festivals ist seit Langem gelebte Praxis. Bei einem Community-Art-Projekt mitzumachen, ist sehr inspirierend, denn die KünstlerInnen bringen ihre langjährige Erfahrung, ihre Professionalität und ihr tiefes Engagement mit ein. Sie haben sich ganz bewusst für dieses Genre entschieden, weil sie eben mit Menschen zusammenarbeiten wollen. Genau das spürt man. Man kann viel lernen in so einem Workshop wie mit Joanne Leighton. In der gegenseitigen Auseinandersetzung, die KünstlerInnen wie auch die teilnehmenden Personen. Nicht nur über Kunst, sondern auch über- und voneinander. Unser Interesse besteht darin, dass Formate der Teilhabe möglich sind und daraus etwas entsteht, das Signale setzen kann zur Entwicklung der Stadt. Es geht ja meist um eine Erzählung, um das Leben der Menschen selbst, aber auch um die Rahmenbedingungen. Wie wollen wir zusammenleben? Wie sollen sich unsere Städte in Zukunft entwickeln?

WLDN + Joanne Leighton
Foto: Simon Carnovole

Wenn Sie von Teilhabe und Gestaltung unseres Lebensraumes und des Zusammenlebens sprechen: Wie können funktionierende demokratische Prozesse der Zukunft aussehen?

Viele demokratische Prozesse werden immer wieder strapaziert, wenn es um Beteiligung von BürgerInnen geht. Da sind wir alle gemeinsam noch auf der Suche nach Instrumenten. Wie nimmt man das Gegenüber ernst. Es ist eine Frage des gegenseitigen Respekts, sich demokratisch zu verhalten, auf einem hohen Niveau auch Ergebnisse zu erzielen. Das setzt Toleranz, Offenheit, Verständnis voraus. KünstlerInnen haben dafür ein gutes Sensorium. Spannend wird es dann, wenn dafür künstlerische Formate gefunden werden. Mich interessiert daran, wie man Räume aufmachen kann. Denkprozesse, die den Menschen selbst einen Raum schaffen, über Dinge und sich selbst nachzudenken. Wie Joanne Leightons Projekt. Das gibt nichts vor, das schreibt nichts vor. Das versucht niemanden zu überzeugen. Ganz im Gegenteil, es gibt Raum und Zeit. Und der Raum ist so gestaltet, dass jede/r einzelne Beteiligte präsent wird für seine MitbürgerInnen. Erste Schritte, aus meiner Sicht, in eine Richtung, die dem Wunsch nach Beteiligung, Veränderung, und Mitgestaltung nachkommen. Die Menschen denken darüber nach, in welchem Umfeld sie leben. Gesucht sind also demokratische Prozesse, die echt beteiligen und sich gegen Tendenzen wenden, wo sich der Populismus mit der Gesellschaft recht leichttut. So planen wir für 2020 das partizipative Projekt In Search of Democracy 3.0 des belgischen Künstlers ­Lucas de Man. Ein Pilotprojekt unseres europäischen Netzwerkes IN SITU, das sich ortsspezifisch in unterschiedlichen Städten Europas entwickelt, in eine starke Reflexion mit lokalen Prozessen geht und diese durch eine filmische Dokumentation begleitet, die im Vorfeld entsteht. Am Ende steht eine Performance, die zur Aufführung kommt und an der eine bestimmte Anzahl an GrazerInnen teilnimmt. Dabei werden demokratische Prozesse hinterleuchtet und Stimmungen sowie dahinterstehende Meinungen und Konzepte abgefragt. Ich habe die Produktion als intensive Erfahrung erlebt.

Worauf freuen Sie sich beim Festival?

Dass wieder hunderte KünstlerInnen aus ganz Europa zu Gast in Graz sind. Einander, das Festival und das Publikum kennenlernen. Im 9-tägigen Festival findet eine Verdichtung statt, wo viel Neues entstehen kann, sich Räume für Zusammenarbeiten zwischen lokalen Künstlergruppen, der internationalen Szene und dem Festival öffnen. Wir forschen in den Genres, entwickeln sie weiter und versuchen sie neu zu denken. Die KünstlerInnen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind ja immer auf der Suche nach Fragen der Zeit, in Reflexion mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Die zahlreichen Diskussionen inspirieren uns. Ich mag es, wenn KünstlerInnen in Residency sind, in Tryout-Situationen. Manche kommen zum diesjährigen Festival nur für einen ersten Vorbesuch, um 2020 vorzubereiten, wie die griechische Künstlerin Danae Theodouridou, die im November 2018 zu einer IN SITU Artistic Acupuncture geladen war. In rund 30 Interviews hat sie verschiedene AkteurInnen im Kontext von Graz Reininghaus über ihre Vorstellung von „urban renewal“ befragt. Während des Festivals geht es darum, sich auf das Festivalflair einzulassen, sich auszutauschen. Und natürlich kommt auch der planerische Aspekt dazu: Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass seit Jahren ein Drittel des Gezeigten aus unserem Produktionsbudget finanziert wird, (Ko-)Produktionen entstehen. In direkter Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen wie dem Planetenparty Prinzip und TaO!. Da wäre auch die Koproduktion mit Studio Dan, eine Kinderproduktion auf Basis der Musik des Künstlers aber auch des Enfant terrible Frank Zappas. Oder Produktionen, die dann in einem internationalen Zusammenhang stehen, wie Leightons 9000 Steps in der Oper Graz, als eine der IN SITU-Netzwerk-KünstlerInnen. Ebenso Benjamin Vandewalle, der am Tummelplatz seinen Spielplatz der Kuriositäten eröffnet und Johannes Bellinkx. Vom Volksgarten ausgehend, lädt er ein auszuloten, wie sehr sich unsere Sicht auf Gewohntes und die Zeit im Rückwärtsgehen ändert. Alles Produktionen, die sich ganz intensiv mit der Wahrnehmung unserer Stadt auseinandersetzen.

Cia.Maduixa
Foto: Juan Gabriel Sanz