Start Kunst & Kultur Kirche und zeitgenössische Kunst – eine Reflexion

Kirche und zeitgenössische Kunst – eine Reflexion

Foto: Universalmuseum / Eduardo Martinez

Vier von fünf Ausstellungen zum vielfältigen Thema Religion und Kunst sind jetzt in Buchform nachzuerleben. „Glaube Liebe Hoffnung“ und „Last & Inspiration“ sind gleichsam Zwillinge auf fast 700 Seiten.

Text: Lydia Bißmann

Anlässlich des 800-Jahre-Jubiläum der Diözese Graz-Seckau wurden in Graz und in der Steiermark insgesamt fünf Kunstausstellungen gezeigt. Jede wurde einem anderen Thema gewidmet. Glaube Liebe Hoffnung im Kunsthaus Graz und im Kultum, Last & Inspiration im Diözesanmuseum und Mausoleum, Umbruch Geist & Erneuerung in der Abtei Seckau, Grenze Öffnung & Heimat im Schloss Seggau und Schönheit & Anspruch im Stift Admont. Anhand von Kunst wird die Prägung der katholischen Kirche in den letzten acht Jahrhunderten auf Werte, Haltungen, aber auch auf Erwartungen für die Zukunft untersucht. Religiöse Werke und sakrale Architektur werden hier mit zeitgenössischen Werken verbunden oder konfrontiert. Um die 70.000 Besucher haben seit April dieses Jahres die Ausstellungen besucht. Die Jubiläumsausstelllungen in den Regionen laufen noch bis Ende Oktober und Anfang November. Im Kunsthaus und bei den Mino­riten wurde bereits umprogrammiert, wer schnell ist, kann noch bis 14. Oktober einen Blick auf die Exponate im Diözesanmuseum und im Mausoleum erhaschen.

v.l. Heimo Kaindl, Johannes Rauchenberger, Katrin Bucher Trantow, Alois Kölbl, Barbara Steiner, Bischof Hermann Glettler
Foto: Clemens Nestroy

Argumentieren ohne doppelten Boden

Last but not least gibt es zur Schlussführung am 13. Oktober auch eine Präsentation von Last & Inspiration, das als Buch die Ausstellungen in Graz, Seckau und Seggau zusammenbindet. Johannes Rauchenberger war als verantwortlicher Kurator an allen fünf Standorten beteiligt und war auch persönlich das Bindeglied für beide Bände. „Die Publikationen sind quasi ein Nachspiel. Sie enthalten sowohl Ausstellungsansichten und -texte als auch die Erkenntnisse, die sich für uns daraus ergeben haben.” Der Leiter des Kultums ist Experte auf dem Gebiet der Schnittmenge von zeitgenössischer Kunst und Religion. Neu war für ihn die Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus. Die den drei göttlichen Tugenden gewidmete Schau Glaube Liebe Hoffnung, die gemeinsam mit ­Barbara Steiner und Katrin Bucher Trantow konzipiert wurde, hat sich ihrer Aufgabe mit Reizworten genähert, nach denen die einzelnen Abteilungen gegliedert wurden. Begrifflichkeiten wie Liebe & Selbstbestimmung, Opfer & Ritual oder Wunder & Übertragung wurden von unterschiedlichen Künstlern in Auftragsarbeiten oder mit vorhandenen Werken behandelt. Warum wer ausgewählt wurde und warum was wo positioniert war, erfährt man im Buch auf ganz besondere Weise. „Die Idee beim Buch Glaube Liebe Hoffnung war, dass wir unser bereits die Vorbereitung kennzeichnendes Dreier-­Gespräch öffentlich ­machen. Wir haben diese Form gewählt, weil wir uns auch bewusst ‚verletzbar‘ machen wollten, sowohl in der Form der Sprache als auch der Argumente. So kann Kunst auch viel näher ran kommen. Wir mussten als Kuratorinnen und Kuratoren selber oft erst um unsere Positionen ringen. Im Verlauf der Zusammenarbeit ist uns übrigens immer klarer geworden, wie groß unsere Schnittmengen sind. Es war eine wirklich befruchtende Arbeit, wie ich sie mir öfters wünschen würde. Es hat wirklich Spaß gemacht.”

Das Buch besteht aus einem Ausstellungsrundgang mit aktuellen Bildern der Ausstellung, einer Diskussion der drei Kuratoren und einem Werkverzeichnis. Anhand von Werken wie der feministischen Video-Performance von Ulrike Rosenbach Glauben Sie nicht, dass ich eine Amazone bin oder Karol ­Radziszewskis Installation Die Königin der Marien, die Maria Padhila behandelt, eine Heilige der Verführung und Sexualität, treten Kunsthausleiterin Barbara ­Steiner, Chefkuratorin Katrin ­Bucher ­Trantow und Johannes Rauchenberger miteinander in den Dialog. Einerseits bekommt der Leser eine komprimierte Abhandlung der Werke mit historischen, soziologischen und philosophischen Bezügen mit auf den Weg, andererseits wird die Lust am Mitreden und am Sich-selbst-Einbringen durch die Lektüre geschürt. Egal ob man die Ausstellung gesehen hat oder nicht. „Es gibt natürlich im Buch die klassischen Werkbeschreibungen wie in den Besucherheften – neu ist die Dokumentation der Ausstellung in Sinne eines Bildessays und des kuratorischen Gesprächs. Erst durch unser Gespräch sind wir auch zum Untertitel ‚Zeitgenössische Kunst reflektiert das Christentum‘ gekommen. Dieser ist schon massiv. Der Untertitel wäre eigentlich auch für die Ausstellung gut gewesen, nur hätten wir uns dies im Vorfeld gar nicht getraut. Erst im Nachdenken darüber hat sich da etwas verfestigt …“

Ausstellungsansicht

800 Jahre – 8 Fragen

Die zweite Publikation Last & Inspiration ist nach den einzelnen Themengebieten, den acht Fragen, gegliedert. Abbildungen zeigen die ausgestellten Installationen und Objekte sowie Spitzenwerke steirischer Sakralkunst. Dieses Buch beschäftigt sich anhand von acht Fragen mit den Spuren, die die Kirche in den vergangenen Jahrhunderten im Leben und Umfeld der Menschen in der Region hinterlassen hat. Fragen wie: „Wer hat die richtige Religion?“, „Wie viel Macht hat eine schwache Kirche?“ oder „Muss ich heute Angst haben?“ weisen aber gleichzeitig auch in die Zukunft. Nicht nur historische, auch aktuelle Themen wie die Kreuz- oder Kopftuchdebatte werden im Begleitband zur Ausstellung Last & Inspiration anvisiert. Wesentlicher und wichtiger Punkt der Ausstellung ist die Frage nach dem Einfluss der Kirche auf die heutige Gesellschaft. Sakrale Bauten oder christliche Symbole markierten einst auch ein Revier“, so Rauchenberger, „heute erinnern sie vor allem an verflossene Macht. Wie geht sie damit um?“ Der Kirche kann man gegenwärtig bei uns jedenfalls nicht vorwerfen, dass sie sich am rechten Rand befindet. Aber sie muss sich hüten, nicht vereinnahmt zu werden. Die Kreuzdebatte etwa wird ausgerechnet von rechten Parteien in die Gesellschaft hineingetragen, meint Rauchenberger. Es sei keine Selbstverständlichkeit, dass sich die katholische Kirche in dieser Form einer kritischen Auseinandersetzung stellt.

Johannes Rauchenberger
Foto: G. Neuhold

Die Initiative dazu ging vor Jahren vom jetzigen Generalvikar für Gesellschaft, Kultur, Medien und Wissenschaft, Heinrich Schnuderl und dem aktuellen Caritas-Direktor Herbert Beiglböck aus. Johannes Rauchenberger wurde damit beauftragt, mit einem Team (Heimo Kaindl, Alois Kölbl, Michael Braunsteiner u. a.) ein Ausstellungskonzept zu entwickeln. Anfangs war auch der spätere Innsbrucker Bischof Hermann Glettler maßgeblich beteiligt. Mehr Chance als Risiko, wie der Kurator und Autor findet: „Wir befinden uns in einem großen gesellschaftlichen Umbruch. Das ist für die Kirche, finde ich, auch ein große Chance. Das war in den Fragen intendiert, dass man solche Umbrüche sichtbar macht.” Kirchengebäude, Kapellen, Marienbilder begegnen uns in der Steiermark, in Graz, im Alltag an jeder Ecke. Es gibt kaum ein Land, dessen Ortsnamen, Bilder und Zeichen so eng mit der katholischen Kirche verbunden sind wie jenes Gebiet der 800-jährigen Diözese, die in diesem Buch kultur- und religionsgeschichtlich vorgestellt wird. „Die Institution der Diözese ist alt. 800 Jahre sind eine lange Zeit. ‚Alt‘ ist hier verbunden mit einer enormen Präsenz öffentlicher Bilder, öffentlicher Architektur. Der Staat sagt zwar, Religion ist Privatsache, aber natürlich ist sie das nicht. Eine öffentliche Architektur zum Beispiel ist nicht Privatsache. Meist verstehen wir diese Bilder, diese Botschaften nicht mehr. Ein derartiges Jubiläum gibt die große Chance, ihre Bedeutungen zu heben, aber auch zu hinterfragen. Jedenfalls war es nicht nur die Frömmigkeit, die zu dieser umfassenden religiösen Substanz geführt hat“, meint der Autor resümierend mit einem Augenzwinkern.

Foto: Universalmuseum Joanneum / Nicolas Lackner

 

 

Publikationen

 

Glaube Liebe Hoffnung, Hg. von Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger, Barbara Steiner

304 Seiten, ca. 300 Abb. in Farbe, deutsch/englisch, Verlag Ferdinand Schöningh Paderborn, Reihe ikon. Bild+Theologie, ISBN 978-3-506-79281-5, € 68,–

Last & Inspiration, Hg. von Heimo Kaindl, Alois Kölbl, Johannes Rauchenberger

386 Seiten, ca. 400 Abb. in Farbe, deutsch/englisch, Styria Verlage Wien, ISBN 978-3-222-13619-1, € 68,–

Erhältlich im Buchhandel, im Kunsthaus Graz und Kultum, im Diözesanmuseum und unter office@kultum.at

Ausstellungen

 

Last & Inspiration

Abschlussführung durch die Ausstellung Last & Inspiration zum Jubiläum 800 Jahre Diözese Graz-Seckau, 13.10.18, 11 Uhr, Diözesanmuseum Graz, Bürgergasse 2,
Unkostenbeitrag: 8 €, 0316 804 18 90, www.kultum.at/800-jahre/lastinspiration

Umbruch Geist & Erneuerung

Abtei Seckau, 8732 Seckau 1, bis 26.10.2018, öffentliche Führungen täglich um 11 Uhr und 14 Uhr, www.800-jahre-graz-seckau.at, 03514 523 40

Schönheit & Anspruch

Stift Admont, 8911 Admont, bis 4.11.2018, tägl. 10–17 Uhr, 03613 231 26 04

www.800-jahre-graz-seckau.at

Grenze Öffnung & Heimat

Schloss Seggau, Seggauberg, 8430 Leibnitz, bis 26.10.2018, Fr 14–18 Uhr, Sa, So und an Feiertagen: 10–16 Uhr, www.800-jahre-graz-seckau.at, 03452 824 350

Heimo Kaindl, Johannes Rauchenberger, Katrin Bucher Trantow, Alois Kölbl, Barbara Steiner, Bischof Hermann Glettler