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Glaubenssätze des Zirkus auf den Kopf stellen

Foto: Frank W. Ockenfels

Beim Cirque Noël nehmen die Künstler*innen des Cirque Le Roux das Publikum mit in die geheimnisvolle Welt der Miss Betty. Charlotte Saliou hat „A Deer in the Headlights“ und „The Elephant in the Room“ mit viel Tiefgang, Witz und vor allem großer Akrobatik inszeniert.

Interview: Sabine Mezler

„A Deer in the Headlights“ und „The Elephant in the Room“ führen das Publikum in Miss Bettys Haus – vor und nach ihrem Tod. Was geht da vor sich?

In diesem Haus ranken sich Geheimnisse um ihre früheren Ehen, da der Verbleib einiger Verflossener ungeklärt ist. In The Elephant in the Room befinden wir uns auf Miss Bettys dritter Hochzeit, bei der plötzlich der aktuelle Hausherr gemeinsam mit einem ungeladenen Gast kollabiert – offensichtlich vergiftet.
Aus dieser dritten Ehe gehen drei Kinder hervor, die sich nach Miss Bettys Tod 30 Jahre später im Haus ihrer Kindheit zu ihrem Begräbnis wiederfinden – womit A Deer in the Headlights beginnt.

„Deer in the Headlights“ und „Elephant in the Room“ sind englische Redewendungen. Die eine beschreibt eine komplett panische Reaktion, die andere ein offensichtliches Problem, das aus Bequemlichkeit totgeschwiegen wird. Warum hast du diese Titel gewählt?

Wir haben uns für die beiden Ausdrücke entschieden, weil sie ein Prisma sind, durch das wir erkennen, wie wir in unseren Familienbanden gefangen sind. Verbindungen, die uns bis ins Innerste mit bedingungsloser Liebe durchdringen; aber auch an uns zerren und ein Bedürfnis nach Befreiung auslösen. Diese Redewendungen spielen sowohl auf die Wildheit wie auch die Gemeinschaft, den Herdentrieb an. Sie zeigen uns die Sanftheit im Animalischen, die durch die Agilität und Körperkraft der Akrobat*innen transzendiert wird.

Charlotte Saliou
Foto: Laetitia Piccaretta

Wie erarbeitest du eine Produktion?

Die Entwicklung eines Stückes ist eine Gemeinschaftsarbeit von mir und den Künstler*innen des Cirque Le Roux. Vom Drehbuch bis zum Bühnenbild, dem Lichtdesign und den Kostümen wird alles von uns gemeinsam konzipiert und designt. Außerdem arbeiten wir immer mit der Komponistin und Pianistin Alexandra Stréliski zusammen, die ein integraler Bestandteil unseres ganz eigenen Kosmos ist.

Ihr seid nicht nur für eure Akrobatik und euer schauspielerisches Können bekannt, sondern auch für euren Humor. Wie wichtig ist Humor für euch?

Ja, Humor ist ein großer Teil von uns. Wir sind uns vor 15 Jahren bei einer Show in Kanada begegnet, bei der ich als Schauspielerin und Clown gearbeitet habe – und haben uns sofort durch den Humor verbunden gefühlt. Deshalb war uns schon bei unserer ersten gemeinsamen Produktion klar, dass die clowneske Seite darin Platz haben muss. Humor ist eine ernsthafte Angelegenheit, denn in jeder Tollpatschigkeit lässt sich die ganze Welt wiederfinden: Unsere Emotionen und unser Körper verraten uns – und das hat etwas Gutes und Schönes, das man nicht übersehen kann. Besonders dann, wenn Künstler:innen Spaß mit ihren Rollen in lustigen Situationen haben. Wir sind dennoch ernsthafte Persönlichkeiten, denn jede Kreation erfordert harte Arbeit und echte Hingabe.

Wie erzählt ihr als Akrobat*innen mit euren Körpern Geschichten?

Da gibt es einmal die „technischen“ Clowns, die das Komische körperlich perfekt ausführen – mit einem starken Bewusstsein für die Komik, Rhythmik, Stürze und Unfälle. Andere sind komisch, weil ihr Erscheinungsbild und ihr Gang lustig sind. Und dann gibt es jene, die ihren Körper mit dem Text und dem Stück verbinden – wie große Schauspieler*innen, mit einem Bewusstsein für den Subtext und die Meta-Ebene. Akrobat*innen sind Künstler*innen in der vollen Bedeutung des Wortes und nicht nur Performer*innen.

The Elephant in the Room
Foto: Frank W. Ockenfels

Was ist das Neue und Innovative an den beiden Stücken?

Erst einmal ist es ein komplett anderes Universum, eine fremde, mysteriöse Atmosphäre. Außerdem setzen die Künstler*innen eine neue Art der Luftakrobatik ein, und es gibt im zweiten Stück neue Disziplinen. Die Show beginnt in der Atmosphäre eines Kinos der 70er-Jahre, einem großen Haus am Ende der Straße am Waldrand, in dem vom ersten Moment an etwas Dunkles in der Luft liegt. Hier hält das Publikum den Atem an, weil es etwas spürt, aber nicht weiß, was passieren wird. Die ganze Szenerie ist mit Anflügen von Humor und den einnehmenden Charakteren ausgearbeitet, die alle eine Bedeutung haben.

Wie schafft ihr es, eure Aufführungen frisch und lebendig zu halten?

The Elephant in the Room
Foto: Frank W. Ockenfels

Wir hinterfragen immer wieder, was wir sagen und ausdrücken wollen. Dass wir unsere verschiedenen Stücke aufführen, gibt uns die Möglichkeit, zu jedem wieder „zurückzukehren“ und neue Einsichten in dessen Charaktere und die Geschichte zu erhalten.

Was erwartet das Publikum in diesem Jahr beim Cirque Noël?

Überraschungen, Freude, Lachen und schauspielende Akrobatinnen und Akrobaten. Eine Geschichte, die uns einnimmt, und einige wirklich lustige Momente. Die Welten zweier Shows, die sie in eine kinematografische Atmosphäre versetzen – und am Ende eine Überraschung, die die Glaubenssätze des Zirkus auf den Kopf stellt und die man auf keinen Fall verpassen sollte.    

A Deer in the Headlights
Foto: Frank W. Ockenfels

Infos & Tickets: www.cirque-noel.at