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Gehen & Bleiben im KULTUM

Peter Angerer: „Tilted Houses 01“, 2022, Grafikserie/Unikate mit je mehrteiligen Blöcken, Monotypie, Elementendruck, Schablonentext, Zeichnung

In Kooperation mit steirischer herbst ’23 zeigt das KULTUM die Ausstellung „Gehen & Bleiben“ von Peter Angerer. Darin setzt sich der steirische Künstler in 14 verschiedenen Begriffen, die unsere Gegenwart beherrschen und unseren Diskurs allgegenwärtig dominieren, auseinander.

Text: Lydia Bißmann

Die Verbindung von Kunst mit gesellschaftlich relevanten Themen steht bei der Arbeitsweise von Peter Angerer im Vordergrund. Ihm widmet das Kultum bis 12. Dezember eine große Personale. Sie vereint Komplexität und Reduktion in einem autopoietischen, selbstreferentiellen Feld. Die Grafiken, Drucke und Fotografien sollen den Betrachter nicht nur visuell, sondern auch im Sinne eines Denkangebotes ansprechen. Scheinbar glatte und für die Augen vertraute Formen, Typografien und Farben beschäftigen sich mit sehr komplizierten und verwirrenden Fragen, denen wir ständig ausgesetzt sind. 14 verschiedene Begriffe wie „Selber Denken“, „Öffnungen“, „Ahnungen“ oder „Unverfügbarkeit“ werden in Angerers Werken visuell etwa als Worte dargestellt, sollen aber auch als Anreiz zum Nachdenken dienen.

Kafka Projekt, 2020, Kafkas Tiere

Gegen die Ausbeutung

„Humans and Demons“ lautet das Motto des heurigen Kunstfestivals steirischer herbst und so setzen sich auch die Begrifflichkeiten mit den Schattenseiten der oft nur scheinbar hilfreichen Geister, die wir riefen, auseinander. Der viel bemühte, gefürchtete und irgendwie auch schwammige Begriff KI steht etwa im Zentrum des Raumes Selber Denken. Auf einer Tafel sind die beiden Wörter selbst geschrieben, wobei das Wort denken zusätzlich im Binärcode dargestellt wird. Darüber sind Grafiken von neuronalen Netzwerken, die ein wenig wie Spinnennetze aussehen, gelegt. Für eine weitere Tafel hat Peter Angerer selbst Künstliche Intelligenz bemüht. Die Antwort, die das Programm ChatGPT auf die Frage: „Warum selber denken“ lieferte, wurde als Textfläche in das Bild eingearbeitet. Hier können sich die Besucher*innen einmal mehr damit auseinandersetzen, wie weit der Einsatz von KI unser Leben unterstützt und vereinfacht oder Begriffe wie Kreativität und Freiheit überflüssig macht. „Wer denken lässt, wird kein Experte“, so Manfred Spitzer, einer der unzähligen Denkerinnen und Denker, die der Künstler für den intellektuellen Überbau seines Kunstkosmos verwendet hat. Ein Begriff, der vielleicht nicht so geläufig ist, dafür  aber umso mehr Emotion und Anknüpfungspunkte mit sich bringt, ist „Unverfügbarkeit“, der vom deutschen Soziologen Hartmut Rosa geprägt wurde. Laut ihm sind die wesentlichen Antriebsmomente unserer Zeit das Sichtbar-, Transparent-, Erreichbar- und Nutzbar-Machen. „Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung aber entstehen aus der Begegnung mit dem Unverfügbaren“, so Rosa und er bietet Resonanz als Alternative zum Verwertungszwang an. Die Worte „sichtbar“, „unverfügbar“ und „unberechenbar“ werden in dieser Grafikserie von Arbeiten begleitet, die aus feinen Gitterlinien, Flächen und Quadraten bestehen, manchmal miteinander interagieren und beim Betrachten ein meditatives, ruhiges und hoffnungsvolles Gefühl aufkommen lassen.

Systems, 2020, 101 Grafiken

Fragwürdige Fauna und Flora

Nicht nur digitale Übersetzungen unseres Alltags und das Verschmelzen von virtuellem und echtem Raum, sondern auch sehr lebendige Mitbewohner wie Pflanzen und Tiere finden ihren Platz in der Schau. Verwilderte Gärten werden in dem Raum Gstettn bearbeitet. Die Reihe von Hochdrucken (händisch-maschinell gefräste Linolplatten) und Radierungen basieren auf Schwarz-Weiß-Fotos von Frohnleiten aus den 1980er-Jahren. Die Brache, ein Un-Ort, steht hier als Symbol und Begriff für die Beziehung zwischen Mensch und Natur oder dem, was wir darunter oft verstehen. „Alles, was wir heute als Natur erleben, ist von uns gemacht“, so Peter Weibel. Tierdarstellungen im Werk von Franz Kafka und die Forschung darüber haben Peter Angerer den Anstoß für die Gestaltung des Raums Kafka geliefert. Neben Textarbeiten – gestaltete Originalzitate oder Erzählungen, deren Textur sich etwa zu körperhaften Knäueln verwandelt – finden sich hier grafische Arbeiten (hauptsächlich Radierung/Zeichnung) mit tierähnlichen Zeichen. Ein Tierpräparat einer Nebelkrähe wurde in einer Fotoarbeit in die Natur zurückgebracht.   

Peter Angerer: „Selber Denken“, 2023

Gehen & Bleiben. Der zeitanalytische Kunstkosmos von Peter Angerer
Zu sehen bis 16.12.2023
Di–Sa: 11–17 Uhr, So: 15–18 Uhr

Kultum Galerie
Mariahilferplatz 3, 8020 Graz, (Kurator: Johannes ­Rauchenberger).

Künstler- und Kuratorengespräch mit Peter Angerer und Johannes Rauchenberger: Sa, 30.9., 13 Uhr

tickets@kultum.at, 0316 711 133

www.kultum.at/peter-angerer