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Ein Jazz-Doktor mit Vergangenheit

Die KUG kooperiert mit dem Hauptprogramm „Humans and Demons“ im steirischen herbst ´23: Das Institut für Jazzforschung hat Materialien seines Schulz-Köhn-Archivs für die Gruppenausstellung „Demon Radio“ zur Verfügung gestellt, in die „Das Archiv von Dr. Jazz“ als kuratorische Intervention integriert ist.

Im Grazer Hügelland, in einem ansonst noblen Viertel mit Villen und Institutsgebäuden, befindet sich ein heruntergekommenes Callcenter eines Mobilfunkanbieters. Mit seiner rasterförmigen, modernen Architektur und dem markanten Funkturm wirkt es wie eine Mischung aus der Abhörstation eines wachsamen Geheimdienstes und einem Funkhaus. Das Gebäude verwandelt sich durch das Festival in den Sitz von Demon Radio, durch das der ominöse und charismatische Dr. Jazz, geistert.

Dr. Jazz, auch bekannt als Dietrich Schulz-Köhn (1912–1999), war der wichtigste Jazz-Experte des westdeutschen Rundfunks in der Nachkriegszeit. Er war SA- und NSDAP-Mitglied gewesen, aber auch ein leidenschaftlicher Fan und Sammler von Hot Jazz und Swing, die seine Partei nach ihrer Machtergreifung verbot. Ohne die NS-Politik jemals anderweitig infrage zu stellen, setzte er sich weiterhin für die verbotene Musik ein. Im besetzten Frankreich nutzte er seine Position als Bodenoffizier der Luftwaffe, um Kontakte zu dortigen Größen der Musikszene zu knüpfen – einige von ihnen waren Rom:nja, einige Schwarze und einige Mitglieder der Résistance. Nach dem Krieg wusste Schulz-Köhn von diesen und anderen Kontakten zu profitieren.

Demon Radio
Foto: steirischer herbst

Ausstellung in Kooperation mit der KUG

Die ausgestellten Schallplatten, Briefe und Fotos zeigen ihn als eine ambivalente Figur, die sich in ihrer Jazzleidenschaft politischen Umständen ebenso widersetzte wie anpasste. Das dem Institut von Schulz-Köhn überlassene Archiv bringt derart eine größere Öffentlichkeit mit der jazzforschenden Arbeit an der KUG in Berührung, eine notwendige und wichtige Aufgabe von Archiven generell, aber auch speziell des Schulz-Köhn-Bestands. Dieser wurde etwa erst kürzlich in dem US-amerikanischen Fachjournal Jazz & Culture thematisiert, und er ist monatlich Teil der Institut 16 Archive Pleasure Social Club-Abende im Café Wolf (nächster Termin zur Steirischen Herbst-Eröffnung am 21.9.23, Annenstr. 18, 8020 Graz), wo Institutsangehörige Jazz-Platten aus dessen  Bestand auflegen.             

Die Ausstellung findet im ehemaligen Callcentergebäude eines Mobilfunkanbieters (Hilmteichstraße 113, 8043 Graz) statt und ist Di-So von 11-19 Uhr zu besichtigen. Am 12.10. wird Institutsvorstand André Doehring in einem Ausstellungsgespräch über „Dr. Jazz und die Politik der Jazzrezeption“ sprechen.