Start Featureshome Cinema Altera: Retrospektive Thomas Henke

Cinema Altera: Retrospektive Thomas Henke

Felicitas Hoppe sagt Ein 3-Kanal-Film von Oliver Held und Thomas Henke mit und über die Schriftstellerin Felicitas Hoppe. Deutschland/Schweiz, 2017, 79 Min., UHD

Mit einer ganz besonderen Ausstellung begeht das KULTUM dieses Jahr die Fastenzeit. Cinema Altera zeigt 25 Filme aus 25 Jahren Schaffen des Regisseurs und Medienkünstlers Thomas Henke.

Text: Lydia Bißmann

„Anders” bedeutet in dieser Schau nicht nur die Art der Präsentation der Filme, die von den Besucher*innen via Kopfhörer in Installationen individuell angesehen werden können. Es beschreibt auch die Zugangsweise des Filmemachers selbst, der dafür experimentelle und ungewöhnliche Wege beschreitet. Die Filme und Installationen von Thomas Henke wurden u.  a. im Leopold Museum Wien, Kunstmuseum Thurgau, International Art Centre New Delhi, Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen, Kunsthalle Bielefeld und in der Galerie Anita Beckers sowie auf internationalen Festivals gezeigt und ausgezeichnet. Thomas Henke studierte Freie Kunst an der Kunstakademie Münster bei Reiner Ruthenbeck sowie Medienkunst und Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Seit 2009 ist er Professor für Neue Medien an der Fachhochschule Bielefeld. Viele der Arbeiten sind gemeinsam mit seiner Frau Peggy Henke entstanden, die dabei die Rolle als Produzentin, Redakteurin und Dramaturgin eingenommen hat. Durch die Installationen des österreichischen Malers und Objektkünstlers Lorenz Estermann, mit dem Thomas und Peggy Henke eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, ist es möglich, alle Filme gleichzeitig zu zeigen.

SINN, 1999
Foto: Rauchenberger

Experimenteller Zugang zu Menschenbildern

Die Experimentalfilme und Video-Installationen zeigen bei Cinema Altera filmische Porträts von Menschen in elementaren Lebenssituationen. Sie sind mit Ungerechtigkeit, Ohnmacht, Missbrauch, Leid und Tod konfrontiert und auf der Suche nach Zuflucht, Befreiung, Ausdruck, Begegnung, Erkenntnis und Erlösung. Henke denkt die Kunst des Dokumentarfilms neu. Er hinterfragt Praktiken der Autorenschaft und produziert und untersucht mediale Wirklichkeitskonstrukte. Mit dem Werkzeug des Video-Porträts, das Thomas Henke auf ganz unterschiedliche Weise verwendet, seine Protagonist*innen sich selbst filmen lässt, (Liquid Identity, 2003–2008) oder es ihnen erlaubt, bei der Selbstdarstellung und Selbstverbergung mitzubestimmen (Meta-Porträts, 2011–2018), entstehen so neue Realitäten und intime Zugänge.

„Martina Gedeck in Samstagmittag, 12 Uhr“, 2021–2022, Filmstill
Foto: Thomas Henke

Zuflucht und Befreiung

Das Fenster neben meinem (2002–2006) zeigt fünf filmische Porträts, die aus den Häusern der Porträtierten heraus auf Fenster projiziert wurden. Jedes Haus zeigte das Porträt seines Bewohners. Die Projektion dieser filmischen Porträts markiert die Grenzlinie zwischen privatem und öffentlichem Raum, macht sie durchlässig und zeigt gleichzeitig die Unmöglichkeit des Privaten im Medium Film. Im filmischen Essay Felicitas Hoppe sagt (2017) wird die Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe ein Jahr lang begleitet. In einem ganz normalen Gespräch, das weder Biografie noch Künstlerporträt ist, denkt die Autorin dabei über Kunst, Selbstdarstellung, Einsamkeit, Gemeinschaft und Politik nach. Es ist das Gespräch, das die Form hervorbringt, zwischen Worten und Bildern, hinter deren Stärke und Schönheit die Autorschaft kurzfristig zurücktreten darf. Doch die Fragen bleiben dieselben: Wie frei sind Künstler*innen und Schriftsteller*innen wirklich? Und was sind sie einer Gesellschaft schuldig, die sie, so sehnsüchtig wie misstrauisch, um ihren unklaren Status beneidet? In dem Film Samstagmittag, 12 Uhr (2021–2022) liest die Schauspielerin Martina Gedeck Tagebucheintragungen der jüdischen Intellektuellen Etty Hillesum, die 1943 in Auschwitz-Birkenau von den Nazis ermordet wurde. Drei Jahre lang führte sie genaue Aufzeichnungen über ihre tägliche „Arbeit an sich selbst“, innere Entwicklungs- und Verwandlungsprozesse, die Auseinandersetzung mit Leid und Tod und dem Festhalten an inneren Zufluchten im Angesicht der Vernichtung. Im Projekt Alpha-Omega-Letters erklären Fachleute aus Kunst, Poesie, Politik und Theologie in animierten Schwarz-Weiß-Zeichnungen ihren Zugang und ihre Gedanken zu einem einzigen Wort. Daraus ist eine Art Online-Lexikon für wichtige Worte des Christentums wie „Gehorsam”, „Erlösung”, „Barmherzigkeit” oder „Demut” entstanden. Auch Johannes Rauchenberger ist dabei, er erklärt das Wort „Kreuz“. Außerdem zu sehen in der Retrospektive sind die experimentellen Filmprojekte: Social Dogma (2010–2020) sowie die großen Porträtformate Film der Antworten (2004–2009) und Film der letzten Zuflucht (2018–2019). Neben dem frühen Experimentalfilm SINN (1999) werden auch die künstlerisch-theologischen Filmprojekte Porträts 1.13 (2014–2016) gezeigt.

Begleiter*innen im Gespräch

Begleitet wird die Ausstellung durch Sonderveranstaltungen. Am Aschermittwoch (22. Februar) gibt es ein Gespräch zwischen Kurator Johannes Rauchenberger und Thomas Henke. Die Veranstaltung ist zugleich Abschluss der Tagung „iconic turn“, in Kooperation mit der Uni Graz (Fachbereich Fundamentaltheologie). Am 16. März sprechen Felicitas Hoppe und der Philosoph Thomas Macho mit Johannes Rauchenberger über „Zuflucht und Befreiung“, die Hauptmotive der filmkünstlerischen Porträtarbeit des Künstlers, im Minoritensaal. Beide haben in den vergangenen Jahrzehnten die künstlerische Arbeit von Peggy und Thomas Henke intensiv begleitet. Der musikalische Beitrag bei dieser Veranstaltung kommt vom Pianisten und Echo-Klassik-Preisträger Claudius Tanski. Und schließlich gibt es meist am Sonntagabend spezielle Screenings im Cubus, wo einzelne Filme, die in der Ausstellung oft nur einzeln betrachtet werden können, im Großformat gesehen werden können. Mit dem Erwerb einer Eintrittskarte kann man die Ausstellung, deren Einzelwerke eine lange Verweildauer erfordern, besuchen, ebenso die Filmabende.

„Das Fenster neben meinem“

Cinema Altera. Thomas Henke – Retrospektive

bis 22.4.2023
Di–Sa 11–17 Uhr

KULTUM, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz, (Kurator: Johannes Rauchenberger)

tickets@kultum.at; 0316 711 133-31

www.kultum.at

CINEMA ALTERA – Sonderscreenings
(jeweils im Cubus, 17–19 Uhr)

FELICITAS HOPPE SAGT: So, 26.2.
METAPORTRAITS: So, 12.3.
FILM DER ANTWORTEN: So, 26.3.
FILM DER LETZTEN ZUFLUCHT: So, 2.4.
PORTRAITS 1.13: Mo, 3.4.
ALPHA-OMEGA-LETTERS: Di, 4.4.
SAMSTAG MITTAG, 12 Uhr: Mi, 5.4.