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Von der Kunst, Grenzen auszuloten

Andreas Borregaard Foto: Matthias Wagner

„Achtzig“ sprach mit open-music-Kuratorin Ute Pinter über aktuelle Hybrid Music-Projekte, den Trend zu Gleichzeitigkeiten und Marino Formenti im Schaufenster.

Text: Sigrun Karre

open music hat ein so dichtes und professionell kommuniziertes Programm, dass es schwer vorstellbar ist, wie das nur eine Person alleine bewerkstelligt. Wie kamst du zu open music?

Wann die Konzertreihe open music genau gegründet wurde, weiß eigentlich niemand, das war irgendwann in den 90er Jahren. Ende der 90er Jahre hat der damalige Kurator, der Dirigent Wolfgang Hattinger, mich gefragt, ob ich es weitermachen will. Musik war immer eine Liebe von mir, ich spiele Klavier, habe früh begonnen, bei „Jugend musiziert“ und bei der „Styriarte“ mitzuarbeiten. Es ist aber eher aus einer Amateurhaltung heraus entstanden, vielleicht war ich dadurch aber auch befreit und risikofreudiger in gewisser Weise. Ich habe nicht Musikwissenschaft studiert, sondern Kunstgeschichte in Graz und anschließend Film in den USA sowie Kulturmanagement in Linz und Salzburg. In der Kunst generell haben mich das 20. Jahrhundert und die Gegenwart am stärksten interessiert. So auch bei der Musik. Als Studentin in Graz fand ich beispielsweise das Musikprotokoll und den steirischen herbst, also alles, was ein bisschen über den Tellerrand blickte, schon sehr spannend.

Welche neuen Wege ist open music aufgrund der Pandemie gegangen?

Streaming, wie das vielfach gemacht wurde, hat mich persönlich nicht gereizt, da hat man als Ergebnis letztlich immer die schlechtere Version eines Live-Konzerts. Mir ist wichtig, dass die Sachen stimmen, dass man bewusst mit dem Medium, das zur Verfügung steht, etwas macht. Hybrid-Projekte sind und waren der Versuch, ein Format zu entwickeln, das von vorneherein nicht nur ein Live-Konzert „denkt“, sondern einen anderen Bestandteil hat, z. B. bei dem Projekt von Marko Döttlinger, das als interaktive Homepage seit Jänner online ist. Er hat sich ein Kompositionsmodell mit verschiedenen Tracks, verschiedenen Stimmen ausgedacht, von der Geigerin Anna Lindenbaum eingespielt, mit einer sechssaitigen E-Geige. Das ist so eine Art audiovisuelles interaktives Spielzeug, ein „Kompositionsbaukasten“ geworden, man kann dabei 35 Layer vielfältig kombinieren, in Tonhöhe und Länge etc. verändern. Dabei entsteht auch eine visuelle „Übersetzung“, es ändert sich dabei auch ein in 35 Streifen zerlegtes Bild von Anna Lindenbaum. Marco Döttlinger wird das Ende Mai mit Anna Lindenbaum auch live auf der Bühne performen. Da wird natürlich etwas ganz anderes entstehen, als wenn ich damit spiele.

Ute Pinter
Foto: Matthias Wagner

open music hat sich vorgenommen, Kategorien wie E- und U-Musik künstlerisch „zum Einsturz“ zu bringen. Aber niederschwellig ist das Konzertangebot gerade nicht. Gibt’s auch Bestrebungen oder Strategien, ein eher nicht so kunstaffines Publikum zu gewinnen bzw. Hemmschwellen abzubauen?

open music ist schon sehr anspruchsvoll und nicht das totale „Breitenpublikumsprogramm“, aber ich glaube trotzdem, dass man sehr viele Einstiege finden kann, eben gerade über Projekte, die über die Musik hinaus gehend Anknüpfungspunkte bieten, wie z. B. letztes Jahr eine Radperformance im öffentlichen Raum mit Medienkünstlerin Conny Zenk. Da haben wir uns die Frage gestellt: „Wie kann man mit Sound und Klang im öffentlichen Raum umgehen?“ Auf alle Fälle ist open music ein Angebot für die Szene, für Menschen mit „open ears“, für Menschen, die sich Neugierde und Offenheit bewahrt haben, die überrascht werden wollen. Der Inhalt ist sicherlich anspruchsvoll und herausfordernd, aber man wird dafür auch mit außergewöhnlichen Programmen und hoher Qualität belohnt. Und das zu leistbaren, sozial verträglichen Preisen. So gibt es etwa ein 6-Euro-Ticket für Musikstudierende, Freikarten für Hunger auf Kunst und Kulturpassbesitzer. Auch die interaktive Website von Marco Döttlingers Timeslice Transmitter ist natürlich kostenlos zu nutzen.

Welche Trends beobachtest du derzeit in der zeitgenössischen Musik?

Es ist die Zeit der großen Gleichzeitigkeiten von verschiedensten Trends und Ansätzen, von diversesten Subszenen. Jeder Künstler, wenn er nicht epigonal sein will, ist auf der Suche, forscht, will Grenzen ausloten. Performatives in der Musik ist derzeit z. B. ein Trend. Aber es stellt sich natürlich auch die Frage „Was ist realisierbar und leistbar?“ Da ergeben sich dann für viele natürlich Grenzen. Nur wenige können technische Möglichkeiten, wie sie etwa im IRCAM in Paris geboten werden, nutzen. Was auf der anderen Seite immer wieder aufpoppt, ist der Trend zu selbstgebastelten Instrumenten, zu DIY (do it yourself). Ausdrücken kann man sich letztlich auf ganz viele unterschiedliche Arten und Weisen.

Brandon Seabrook
Foto: Reuben Radding

Auf welche Highlights schaust du nach 21 Jahren gerne zurück?

Da gibt es eigentlich sehr, sehr viele. Aber ein Riesenprojekt mit Marino Formenti zählt sicher dazu. Ich hab mich mit ihm zwei, drei Jahre lang getroffen, herausgekommen ist ein 8-tägiges Projekt im Stadtmuseum in der Sackgasse, wo er 8 Tage lang quasi im Schaufenster gelebt und musiziert hat. Oder die Vertonung des Stummfilms Nosferatu, für die ich Wolfgang Mitterer gewinnen konnte und die bei open music uraufgeführt wurde und dann bei wien modern und international Erfolg hatte. Beim Konzert von Morten Feldmann habe ich im MUWA eine ganze Teppichlandschaft gebaut, auf der Leute liegen konnten für sein über fünfstündiges 2. Streichquartett. Feldmann selbst war Teppichsammler und mich interessiert es immer auch eine stimmige „Geschichte“ mitzuerzählen. Mit open music versuche ich auf alle Fälle, immer wieder neue Erzählungen einzubringen, neue Anregungspunkte zu bieten und international relevante Kunst nach Graz zu bringen. Natürlich gibt es auch Linien, größere Bögen, wie etwa Subreihen wie „Junge Stücke“ mit Kompositionsaufträgen. open music präsentiert dabei eine Vielzahl international agierender Musiker und Komponisten, versucht aber auch, vielversprechende nationale und auch junge Kräfte aufzuspüren und einzubinden und auch in dieser Hinsicht Türöffner für eine Musik der Zukunft zu sein.

Christof Ressi
Foto: Silvio Rether

open music im Mai & Juni

Synaptic City. audio drama
Sa, 21.5., 20–22 Uhr
Christof Ressi auf Radio Helsinki 92,6 in der Reihe „sorry we are open“
Komposition: Christof Ressi

Seabrook Trio
Mo, 23.5., 20 Uhr
Stockwerk, Jakominiplatz 18, 8010 Graz
Gitarre: Brandon Seabrook
Diddley Bow: Cooper-Moore
Schlagzeug: Gerald Clever

Time Slice Transmitter
Fr, 27.5., 20 Uhr
esc medien kunst labor, Bürgergasse 5, 8010 Graz + als interaktive Website: Link über openmusic.at
Violine: Anna Lindebaum
Komposition, Live-Video &-Elektronics: Marco Döttlinger

Synaptic City. audio drama
Fr, 17.6., 20 Uhr
Forum Stadtpark, Stadtpark 1,8010 Graz
Komposition, Performance, Electronics: Christof Ressi

Solo-Acts
Di, 21.6., 20 Uhr
esc medien kunst labor, Bürgergasse 5, 8010 Graz
Akkordeon, Performance: Andreas Borregaard
Akkordeon: Ghenadie Rotari‘
Werke von Simon Steen-Andersen, Jennifer Walshe, Matthew Shlomowitz

www.openmusic.at