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Vom positiven Blick auf das eigene Leben

Natalie Resch und Rosemarie Kurz Foto: Sascha Pseiner

Trotz aller pandemischen Widrigkeiten gründete die Kultur-Journalistin Natalie Resch inmitten der Corona-Krise ihren eigenen Buchverlag. „Achtzig“ sprach mit ihr über ihr kommendes Buchprojekt, die Idee hinter Kintsugi und die inspirierende Kraft von Geschichten.

Text: Stefan Zavernik

Trotz Krise hast du dich dazu entschlossen, deinen eigenen Buchverlag zu gründen. Ein Vorhaben wie dieses – warum gerade jetzt?

In der Zeit des ersten Lockdowns erhielt ich einen Anruf, der den Weg zum Verlag vorgeben sollte. Rosemarie Kurz fragte mich, ob ich ihre Autobiografie textlich begleiten will. Ich hatte sie 2015 für das Buch Graz – Portrait einer Stadt interviewt, ein Buch, das ich gemeinsam mit Anita Arneitz schrieb. Ich habe zugesagt. Dem ersten Telefonat folgten unzählige Stunden Gespräche, per Zoom, über WhatsApp oder persönlich mit Abstand im Garten der 85-Jährigen. Ich glaube an die inspirierende Kraft ihrer Geschichten und war von dieser so angetan, dass ich schlussendlich beschlossen habe, einen eigenen Verlag zu gründen, um das Buch selbst herausgeben zu können. Wenn ich an etwas glaube, dann werden meine Zweifel, meist sind es existenzielle, von der Leidenschaft für die Sache einfach ignoriert. (lacht)

Das Buch soll noch in diesem Jahr auf den Markt kommen. Sein Titel lautet „Unruhestand! Gelassener werde ich nie. Ein Leben in Episoden von Rosemarie Kurz“. Wer ist Rosemarie Kurz?

Rosemarie Kurz
Foto: Sascha Pseiner

Wenn man so viel Zeit mit jemandem verbringt und sehr intime Momente des Erinnerns miteinander teilt, dann ist es umso schwerer, diese Person in ein paar Worte zu fassen. Für mich ist sie Vorbild, lupenhaft scharfe Kritikerin – vor allem wenn sie sich mit mir über den Status quo der Gleichstellung und Generationensolidarität unterhält. Für viele Wegbegleiterinnen ist sie bis heute Pionierin in so vielen Bereichen. Sie hat die GEFAS (Gesellschaft für Alterswissenschaften und Seniorstudium an der Universität Graz) gegründet, war Leiterin des Generationenreferats an der ÖH, hat zahlreiche EU-Projekte umgesetzt und sich vor allem für lebenslange Bildung, eben auch in der nachberuflichen Lebensphase eingesetzt. Sie selbst hat ja mit 63 Jahren noch ihren Abschluss als Doktorin der Philosophie gemacht. Heute ist sie noch ehrenamtlich für „Unterwegs zur Kunst“ tätig, ein Format, das sie gemeinsam mit Angelika ­Vauti-Scheucher, Leiterin der Stabsstelle Inklusion & Partizipation des Universalmuseum Joanneum entwickelt hat. Rosemarie ist vor allem eines: im Unruhestand, denn sie stellt sich und ihrem Umfeld auch mit 85 Jahren – sie feierte am 13. Mai ihr Jubiläum – tägliche Herausforderungen, seien es 10.000 Schritte, Empörungsbriefe an Bildungsminister Fassmann zur Universitätsnovelle oder der Aufruf, bei der einen oder anderen Petition mitzumachen.

Wie war die Zusammenarbeit mit ihr?

Mit Rosemarie verbindet mich inzwischen weit mehr als die textliche Zusammenarbeit. Sie sitzt viel tiefer, im Herzen verwurzelt, den Geist beflügelnd. Sie nennt mich die jüngere Version von sich. (lacht) Der Altersunterschied: 48 Jahre. Einerseits liegen Erfahrungswelten zwischen uns und zugleich spielt das Alter keine Rolle. Ich erlebe die Kriegsgeschehen, das Muttersein, ihr Studium mit Ende 60 und all die daran anknüpfenden Erfahrungen mit ihr, werde auf eine besondere Art selbst Teil der Geschichte. Wir bewegen uns immer zwischen angeregter Diskussion, Streitgesprächen, Erschöpfung, depressiven Phasen, Rückzug und von vorne anfangen. Dabei entdecken wir Zusammenhänge, die Rosemarie Kurz bisher als solche noch nicht erkannt hat. Diese Art der sehr persönlichen und intensiven Zusammenarbeit fasziniert mich.

Natalie Resch Foto: Sascha Pseiner

Dein Verlag heißt Kintsugi. Was steckt hinter dem Namen?

Kintsugi kommt aus dem Japanischen und bedeutet mit Gold verbinden bzw. reparieren. Es ist ein Begriff, der eine traditionelle Handwerkskunst aus dem 15. Jahrhundert beschreibt. Bruchstellen in Keramik werden mit Urushi, dem Harz des ostasiatischen Lackbaums, gekittet und am Ende einer aufwendigen Prozedur wird Goldstaub darübergelegt. Es geht um die Wertschätzung von Alter, dem Vorhandenen und das Erkennen von Schönheit im Einfachen. Umgelegt auf unser Leben, ist es die Philosophie vom positiven Blick auf das (eigene) Leben. Die persönlichen Verletzungen und Tiefschläge als „Bruchstellen“ zu sehen, die – wertgeschätzt – einen tieferen Sinn und eine innere Schönheit ­besitzen.

Wirst du dich als Verlegerin auf spezielle Themen und Bucharten spezialisieren?

Ausgehend von dieser Philosophie widmet sich der Verlag Kintsugi den nicht polierten Geschichten inspirierender Menschen. Der Biografien oder auch einzelnen Geschichten und Episoden von Personen, die andere inspirieren und Mut machen. Dabei interessieren mich vor allem Pionierinnen im Sinne von Rosemarie Kurz, also Frauen, die abseits des politischen Parketts, in den hinteren Reihen agieren, die auch nichts erfunden haben – aber viel bewegen, mit ihrem täglichen Tun, der Umsetzung von Projekten und Initiativen, dem Ermutigen anderer Frauen. Den Geschichten dieser Frauen will sich der Verlag in Zukunft mit einer eigenen Reihe widmen.

Was möchtest du wirtschaftlich mit dem Verlag erreichen? Wo willst du in 10 Jahren stehen?

Als Unternehmerin sollte ich in Zahlen denken, da tue ich mir etwas schwer. Denn meine Visionen haben immer die Frage im Zentrum: Wie will ich leben und wie kann mein Wirken für andere etwas bewegen? Daher lautet sie: In zehn Jahren sind im Verlag einige (Auto-)Biografien erschienen, die von einem größeren Publikum gelesen werden, obwohl oder gerade weil es um Geschichten von Personen wie dir und mir geht. Die aber, und das macht eine gute Geschichte aus, über das Persönliche etwas vom großen Ganzen erzählen.

Um das Buch als Verlegerin zu finanzieren, schlägst du einen ungewöhnlichen Weg ein, du startest eine ­Crowdfunding-Kampagne. Seit 18. Mai können Interessierte das Buch bereits vorbestellen. Welche sogenannten Belohnungen erwarten Unterstützer?

Eine Crowdfunding-Kampagne wie diese ist ein wunderbares Instrument, um auf das Buch aufmerksam zu machen und über einen kurzen, aber sehr intensiven Zeitraum hinaus – die Kampagne dauert ja nur 30 Tage – die Crowd, also zukünftige Leserinnen und Leser, Rosemaries und mein Umfeld auf das Buch aufmerksam zu machen. Ich nutze sie auch, um Rosemarie und ihrem Schaffen, vor allem im Bereich Emanzipation, Bildung und Generationenfrage jene Wertschätzung und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihre Lebensgeschichte verdient hat. Ich bin überzeugt, dass sie viele ermutigt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, mit Haltung seine Meinung zu vertreten und ein Leben in Sinn und Würde zu führen – unabhängig vom Alter. Das lebt sie vor, Tag für Tag.

Foto: Miriam Raneburger

Wird es auch Lesungen mit Rosemarie Kurz geben?

Ja, sobald es die Rahmenbedingungen ermöglichen, möchten wir auf Lesetour gehen.

Welche Buchprojekte folgen?

Momentan konzentriere ich mich auf Unruhestand. Im Hintergrund läuft ein weiteres Projekt, das viele Menschen zu Wort kommen lässt, und mir schwebt eine Biografie einer Kunsthändlerin vor … aber das ist wieder eine andere Geschichte (lacht).