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Einatmen – Ausatmen

Nina Schuiki, "Store", 2021 Foto: Johannes Rauchenberger

In der Gruppenausstellung „Einatmen – Ausatmen“ beschäftigt sich das Kultum mit der Frage: Was heißt „Atem“ nach ­einem Jahr Corona? Die umfangreiche Schau knüpft an das schon zu Pfingsten angeschnittene Schwerpunktthema „Hierhin, Atem!“ an.

Text: Lydia Bißmann

Seit über einem Jahr, seit Beginn der weltweiten Pandemie, hat sich das Team im Kultum rund um Kurator Johannes Rauchenberger regelmäßig mit den Auswirkungen der Krise in ihren Ausstellungen auseinandergesetzt. Alois Neuhold hat sich mit seinen Innergärten und Trotzdemblüten über die Osterzeit im Vorjahr mit selbst gewählter Einsamkeit und der Sehnsucht nach dem Paradies beschäftigt. Im Winter nahmen Ninavale in ihren Arbeiten unter anderem das Homeoffice, neue Konsumgewohnheiten oder verbotene Partys künstlerisch genauer unter die Lupe. In Dead & Alive entdeckte der französische Künstler und Atheist Guillaume Bruère in der heurigen Frühlingsausstellung seine Spiritualität bei der Beschäftigung mit den Werken alter Meister. Die Corona-Krise hat in den letzten Monaten auch vieles an Missständen aufgezeigt, viele Wünsche formuliert, die auch vorher schon sehr konkret da gewesen sind. Soziale Ungerechtigkeiten, Schweigespiralen und Populismus, Angst vor dem Alleinsein gab es schon dafür – der Virus hat nur noch einen dicken, fetten und schmerzlich deutlichen Strich darunter gezogen.

Michael Endlicher, „Staying Alive“, 2020

Reizwort und Anleitung

Mit dem Schwerpunkt „Atmen” hat das Kultum nun mit einem sehr intimen und innigen Ansatz die Krise dort gepackt, wo sie passiert. Der Corona-Virus verbreitet eine Krankheit, die die Atemwege direkt beeinträchtigt, und lässt mit seiner Unberechenbarkeit auch die ganze Welt den Atem anhalten oder gar verlieren. Verordnete Masken vor den Gesichtern sollen die Atemluft innerhalb eines vorgeschriebenen Abstands im Zaum halten – gleichzeitig erschweren sie diese notwendige Alltagsbewegung enorm. Der Name der Ausstellung Einatmen – Ausatmen klingt auch ein wenig wie eine Basis-Übung im Yoga. Allein das Lesen gibt aber auch Hoffnung auf eine geführte Meditation, auf ein gemeinsames Innehalten und tiefes Luftholen, um neuen frischen Sauerstoff in die Hirne und wieder Kraft in die Herzen zu bekommen. Am 2. Juni, einen Tag vor dem Fronleichnamstag, eröffnet die Gruppenausstellung, die vor allem auch dem renovierten Minoritenkloster „Atem“ einhauchen will. Sie dockt an der noch bestehenden Baustelle an. Eine Baustellenplane von Christiane Peschek am Gerüst zeigt einen großen QR-Code, den man scannen kann – und der nach Eden führt. Ein lautes Seufzen übertönt den neuen Kreuzgang: „Wir seufzen alle drei Minuten – ein Stoßlüften der Seele“, sagt Künstler Daniel Amin Zaman. Die Ausstellung besteht überhaupt aus einer gut zusammengestellten Mischung aus eigens dafür angefertigten Werken und passenden Leihgaben aus der Vergangenheit. Sehr frühe Werke von Marina Abramovic/Ulay, Maria Lassnig und Valie Export sind hier zu sehen, eine Arbeit von Uhrturmschatten-Erfinder Markus Wilfling oder auch eine Instagram-Collage als Hommage an Gogols Nase der Künstlerin Anna Jermolaewa, die schon Lenins Füße als Monument vor der Grazer Karl-Franzens-Universität aufgestellt hat. Ausgesucht und zusammengestellt wurden die Werke gemeinsam von Katrin Bucher Trantow und Johannes Rauchenberger, der die Chefkuratorin des Kunsthauses eingeladen hat, mit ihm die Ausstellung zu gestalten. Rauminstallationen, Tonwerke, Videobeiträge, Bilder, Skulpturen, Poesie und Grafiken bieten hier völlig unterschiedliche Zugänge von sehr vielen Künstlerinnen und Künstlern zum Thema.

Daniel Zaman, „Atempause“, 2021

Arbeit, Alltag und Ende

Manche davon, wie Agnieszka Kalinowskas Video-Installation zu einer in einem Lüftungsschacht gefangenen Frau, oder Julie Haywards Skulptur einer leeren Rutsche, bei der die Bahn fehlt, gehen unter die Haut. Sie rufen Erinnerungen an die ungleiche Aufteilung der Arbeit und des Lohns zwischen Männern und Frauen nicht nur während der Krise oder an die abgesperrten Sport- und Spielplätze hervor. Ungleich existenzieller wird es bei Dirck Möllmanns Klangarbeit Atemnot, die vom Sterben selbst handelt. Es ist eine Aufzeichnung des angestrengt um Luft ringenden Atems des Künstlers selbst, unterstützt von einem Beatmungsgerät, nur wenige Tage vor seinem eigenen Tod. Der Beitrag von Herbert Friedl, eine Klanginstallation, die auch Gebet oder Requiem sein kann, wird zweimal am Tag um 11.45 und 15.45 Uhr in der Mariahilferkirche zu hören sein. Mit einem Blasebalg einer Orgel, Wassertropfen, Regen und einem Hackbrett hat er die tears of c geschaffen, eine Arbeit, die ebenfalls Tod und die Sorgen in Zeiten der Pandemie zum Anlass hat. Andere Beiträge wiederum sind sanft und luftig, wie Nina Schuikis wehende weiße Vorhänge aus geöffneten Fenstern oder das Hauchtext. Liebesgedicht” der jungen Valie Export. Humorvoll wird es bei Anna Jermolaewa, die Bilder von falsch aufgesetzten Masken in der U-Bahn ihrer Heimat St. Petersburg gesammelt hat. Sie zeigen Protest und Scheitern innerhalb eines Regelwerks mitten im Alltag.

Isabella Kohlhuber, o. T. (Linien), 2017
Foto: Rudi Strobl

Veränderung

Wie das vorgegebene, dynamische und sehr körpernahe Thema entwickelt sich auch die Schau selbst in ihrer Laufzeit zwischen Fronleichnam und Herbst weiter. Sie begleitet die finalen Bauarbeiten bei den Minoriten, die schon seit einem Jahr laufen und die dem historischen Gebäude selbst neuen Atem einhauchen. Nach einer Pause im August wird sie in einer Kooperation mit dem Festival steirischer herbst etwas verändert fortgesetzt werden. Als Abschluss gibt es am 12. November eine Lesung im renovierten Minoritensaal mit Felicitas Hoppe, Margret Kreidl, Christian Lehnert und Arnold Stadler, die Texte zu „Atmen“ verfasst haben. Diese werden in einer Publikation zum Gesamtprojekt vorgestellt.     

Michael Triegel, „Deus abconditus“, 2014

Breathing In – Breathing Out. EINATMEN – AUSATMEN

Mit: Abramovic / Ulay, Michael Endlicher, Valie Export, Heribert Friedl, Julie Hayward, Anna Jermolaeva, Agnieska Kalinowska, Isabella Kohlhuber, Maria Lassnig, Christiane Peschek, Ferdinand Penker, Werner Reiterer, Michael Triegel, Liesl Raff, Nina Schuiki, Markus Wilfling, Daniel Amin Zaman u. a.

Ausstellungsdauer: 2.6.–13.11.2021 (Im August baustellenbedingt geschlossen.)

In Koproduktion mit dem steirischen herbst, kuratiert von Katrin Bucher Trantow und Johannes Rauchenberger

KULTUM Galerie
Kulturzentrum bei den Minoriten
Mariahilferplatz 3, 8020 Graz
www.kultum.at