Start Featureshome „Natürlich schmerzt es“

„Natürlich schmerzt es“

Kulturstadtrat Günter Riegler

Für den Kunst- und Kulturbereich ist 2020 ein Krisenjahr der Sonderklasse: Mit „Achtzig“ spricht Kulturstadtrat Günter Riegler über kulturpolitisches Krisenmanagement, ein Grundeinkommen für Künstler und langfristige Zielsetzungen für die Kulturstadt Graz.

Text: Stefan Zavernik

Die Kunst- und Kulturszene wurde vom zweiten Lockdown wieder komplett lahmgelegt. Wie stehen Sie zu den Maßnahmen der Bundespolitik?

Die Maßnahmen sind wichtig und sinnvoll. Natürlich schmerzt es, dass alle Kulturveranstaltungen abgesagt und alle Häuser vom GrazMuseum bis hin zum Kunsthaus und Schauspielhaus wieder schließen müssen und das obwohl hier äußerst wirkungsvolle Präventionskonzepte angewandt wurden, jedoch besteht der Sinn eines Lockdowns nunmal darin, Menschenansammlungen und Kontakte zu minimieren. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass der alleinige Aufruf zur Vorsicht nicht den gewünschten Erfolg erzielt hat und ein Herunterfahren des Landes unabdingbar war.

Wie soll es mit dem Kulturbetrieb im Dezember weitergehen? Was braucht es um ein Wiederhochfahren besser zu organisieren als im Frühjahr.

Mit der unmittelbaren und unbürokratischen Sicherstellung von Förderungen haben wir im ersten Schritt die Planbarkeit der Künstlerinnen und Künstler gewährleistet. Wenn ich einen Schwachpunkt bei der Begleitung von Kulturschaffenden durch den ersten Lockdown definieren müsste, wäre dieser die Intransparenz des Wiederhochfahrens. Sich ständig ändernde Reglementierungen machten eine Planbarkeit für Künstlerinnen und Künstler schier unmöglich. Nun liegen jedoch Konzepte und Expertisen vor, sie haben sich bereits bewährt und können herangezogen und umgesetzt werden. Einem geordneten Prozess zurück in ein kulturelles vielfältiges Leben steht nichts im Wege.

Das Budget der Stadt Graz für 2021 steht bereits – wird das Kulturbudget von Einsparungsmaßnahmen aufgrund der Krise betroffen sein?

Nein, es wird keine Einsparungen im Kulturbudget geben. Es wird eine dreiprozentige Steigerung geben, so wie auch in den Jahren zuvor. Das, was man sich im Hinblick auf 2021 aber gut überlegen wird müssen, sind coronataugliche Veranstaltungsformen und eine weiterhin der Situation angepasste Flexibilität, was den Umgang mit Kulturförderungen betrifft. Es ist ja davon auszugehen, dass der Kulturbetrieb zumindest bis zu den Sommermonaten 2021 nicht zur alten Tagesordnung übergehen wird können. Denn egal, ob es sich um öffentliche Häuser handelt oder um Einrichtungen und Projekte der freien Szene: Es wird aufgrund von Reglementierungen definitiv weniger Besucher geben. Eventuell werden wir uns auch eine Art der Unterstützung einfallen lassen müssen, um dabei mitzuhelfen, Veranstaltungen open-air-tauglich zu machen.

Nach dem ersten Lockdown wurde der Kunst- und Kulturbetrieb in Österreich von der Bundesregierung viel zu lange alleine gelassen, als es darum ging, geeignete Reglementierungen für ein Wiederhochfahren des Betriebes ins Spiel zu bringen. Die Szene hat sich schlussendlich Luft gemacht – denken Sie, dass durch die Krise der Stellenwert der Kunst in der österreichischen Bundespolitik ein anderer geworden ist?

Die Systemrelevanz der Kunst wurde einmal mehr betont. Ob dieser Effekt nachhaltig wirken wird, bleibt dahingestellt. Auch ob man nun ernsthaft über Künstler-Aufbau-Stipendien sprechen wird können; oder über ein bereits oftmals diskutiertes Grundeinkommen für Künstler. Ich für meinen Teil möchte diese Themen am Kochen halten.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, um die Lage jener freischaffenden Künstler zu verbessern, die unter prekären Verhältnissen arbeiten müssen?

Ich denke, man könnte einiges mit einer grundlegenden Systemumstellung, was die Fördervergabe betrifft, verändern. Wer sich heute als Künstler mit Förderungen finanzieren muss, da seine Kunst zu wenig kommerziell ist, hat keine andere Wahl, als ein Projekt nach dem anderen einzureichen. Es braucht hier tatsächlich eine Art von Selbstausbeutung, um so auf Dauer über die Runden zu kommen – hier würde ich es besser finden, wenn Künstler weniger produzieren müssten, dafür aber mehr Zeit bekommen würden, um noch qualitätsvoller zu produzieren, als sie es ohnehin schon tun.

Wie stehen Sie zu einem Grundeinkommen für Künstler? Utopie?

Eine solche staatliche Unterstützung, die ein ganzes Künstlerleben ausfinanzieren soll, ist aus heutiger Sicht tatsächlich utopisch. In die Richtung eines Grundeinkommens könnte man aus meiner Sicht nur in Form von mehrjährigen Arbeitsstipendien kommen. Eine solche Förderschiene würde ich gut finden. Ich habe darüber auch mit Kunststaatssekretärin Andrea ­Mayer bei meinem Besuch im Kanzleramt gesprochen.

Auch das Kulturjahr 2020 wurde von der Krise erwischt und für einige Monate nahezu zum Stillstand gebracht. Nun im Herbst hat es wieder Fahrt aufgenommen. Wie zufrieden sind Sie mit den ersten Monaten des neuen Formates?

Wir wollten Künstlerinnen und Künstler darin unterstützen, zusätzliche Projekte abseits des normalen Betriebes zu verwirklichen – hier ging es um eine Form von klassischer Kunstförderung. Das ist uns meines Erachtens erfolgreich gelungen. Auch die Themen, die wir erörtern wollten – urbanes Zusammenleben, Digitalisierung und neue Arbeit – wurden mit unterschiedlichsten Projekten und viel künstlerischer Qualität super getroffen. Und drittens haben wir mit dem Kulturjahr dazu beigetragen, die Szene untereinander noch besser zu vernetzen. Ich bin sehr zufrieden mit all dem, was in den letzten Monaten passiert ist. Was man leidenschaftslos feststellen muss, ist, dass der Lockdown dem Kulturjahr sein Momentum geraubt hat. Als alles so richtig ins Laufen gekommen ist, wurden die Schotten dicht gemacht. Dadurch hat das Gesamtprojekt nach außen hin an Dichte verloren.

Wird es eine zweite Auflage des Kulturjahres geben?

Wir wollen die Frage, ob es ein weiteres Kulturjahr geben wird, im Team bis zum Ende des Kulturjahres 2020 beantworten, das ja noch bis September 2021 läuft. Mein Zugang aus heutiger Sicht ist ein klares „Ja“.

Im Jänner 2022 wird Graz einen neuen Gemeinderat wählen. Welche großen Projekte möchten Sie vor den Wahlen noch umsetzen?

Ganz klar die Tennenmälzerei in Reininghaus. Hier braucht es ein intelligentes Konzept, um ein neues Kulturzentrum abseits des Stadtzentrums entstehen zu lassen.

Mit dem Kulturjahr 2020 und dem neuen Grazer Schlossbergmuseum haben Sie zwei kulturpolitische Großprojekte in Ihrer ersten Amtszeit als Kulturstadtrat realisieren können. Gibt es bereits konkrete Zielsetzungen für eine mögliche zweite Regierungs­periode als Kulturstadtrat nach den Gemeinderatswahlen 2022?

Ich habe einiges vor und wünsche mir, meine Arbeit fortsetzen zu können. Ich möchte etwa eine zusätzliche Förderschiene etablieren, die den Exzellenzgedanken unterstreicht. Damit soll gezielt die Spitze der heimischen Kunstschaffenden gefördert werden. Sie sind es, die Graz eine internationale Relevanz als Kulturstadt verleihen. Ein weiteres Anliegen ist es mir, noch mehr dafür zu tun, um junge Menschen so früh wie möglich mit Kunst in Berührung zu bringen. Und ich möchte mich dafür einsetzen, zusätzliche Infrastruktur im Kulturbereich zu schaffen. Ich denke hier an zusätzliche Proberäume und neue Locations für kleinere Veranstaltungen. Auch weitere Kulturzentren, wie etwa die Tennenmelzerei, wären wünschenswert.

Braucht Graz in Ihren Augen eine Institution wie das ehemalige Künstlerhaus? Ein öffentliches Haus für die lokale Szene?

Dringenden Handlungsbedarf sehe ich hier ehrlich gesagt nicht. Es gibt doch eine ganze Reihe an nicht-öffentlichen Institutionen, die der heimischen Szene Raum bieten. Allerdings könnte die Idee eines solchen Hauses durchaus eine gute sein. Wir sollten darüber nachdenken.