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Kultur leben zu Zeiten von Corona

György Ligeti Saal des MUMUTH Foto: Hummer

Im Rahmen der Lehre produziert die Kunstuni Graz so lange es geht weiter Kunst – ein Teil davon ist auch als Livestream zu erleben. Parallel dazu versammelt die KUG Kulturschaffende und -politiker sowie Expert*innen in einer Diskussionsreihe über „Künstlerische Aufführungen zu Zeiten von COVID-19“ zum Nachdenken über die Zukunft des kulturellen Veranstaltungsbetriebs.

511,15 m2 hat der György-Ligeti-Saal im MUMUTH – Haus für Musik und Musiktheater an der KUG, zugelassen ist er für bis zu 546 Personen. Die Tribünensituation wie die Positionierungsmöglichkeiten für Scheinwerfer und Lautsprecheranlagen sind durch ein Maximum an Flexibilität gekennzeichnet, es gibt – veranstaltungstechnisch gedacht – nichts, was hier nicht geht. In den vergangenen Monaten wurde aber, neben der schieren Größe des Raumes, vor allem ein Feature immer wichtiger: die leistungsstarke Lüftung. Den Aerosolen keine Chance, könnte das aktuelle Motto dieses Raumes lauten, auch wenn bei seiner Errichtung vor mehr als zehn Jahren kein Mensch an COVID-19 dachte.

Livestream statt Leben im Auditorium

Und doch kommt an diesem Donnerstag, dem 29. Oktober, keine der zahlreichen möglichen Bestuhlungssituationen für Publikum zur Anwendung: Großzügig als Halbrund im Raum verteilt stehen einzelne Stühle, die erst auf den zweiten Blick als Orchesteraufstellung MIT ABSTAND erkennbar sind. Anders als bei üblichen Veranstalter*innen wird an der KUG nämlich selbst dann geprobt, wenn keine Vorstellung stattfinden kann. Denn Orchesterspiel ist Studieninhalt und wird – so lange es geht– praktiziert: in entsprechend verkleinerten Gruppen, mit entsprechend vergrößertem Abstand versteht sich. Und so wird der gesamte Saal für das Orchester selbst benötigt. Das Ergebnis präsentiert die KUG dann als – kostenlosen – Konzert-Live-stream.

Diskussion im Livestream, im Hintergrund: Online-Performance-Arbeit von Studierenden des Klangforum Wien
Foto: Johannes Gellner

Eine etwas andere Veranstaltung

Ganz am Ende des Saales, wo sonst gerne die Bühne eingerichtet wird, haben an diesem Tag doch noch ein paar Lederfauteuils Platz gefunden. Die massigen Möbel im Chesterfield-Style erinnern nicht ganz zufällig an die legendäre TV-Diskussionssendung Club 2, denn diskutiert werden soll auch hier. „Künstlerische Aufführungen zu Zeiten von COVID-19“ lautet das Thema, am Podium des ersten Abends unter der Überschrift „Kunst“ finden sich neben Moderatorin Constanze Wimmer (Vizerektorin für Lehre und Internationales der KUG) Christopher Drexler (Landesrat für Kultur, Europa, Sport und Personal), Iris Laufenberg (Intendantin Schauspielhaus Graz), Gerhard Kosel (gamsbART), Gernot Rath (ORF Steiermark) und Heidrun Primas (Forum Stadtpark). Einen Weg zum Publikum sollen auch diesmal drei Kameras bieten, die das Gespräch auf die KUG-Website und in den ORF-Livestream übertragen. Das Setting wurde nicht mit Absicht so gewählt – und doch illustriert es genau jene Situation, mit der sich die Veranstaltungsszene in Tagen von ­COVID-19 konfrontiert sieht. Ein leeres Auditorium, Livestream als Notlösung, Aktion im Auge der Kamera.

Die KUG lädt zum Diskurs

Angesichts der von COVID-19 ausgelösten krisenhaften Situation im kulturellen Veranstaltungsbereich möchte die KUG eine konstruktive Diskussion zu dessen Wert und Zukunft anstoßen. Künstlerische Veranstaltungen sind durch die Pandemie essenziellen Veränderungen unterworfen, deren Ausmaß und zeitliche Perspektive noch nicht absehbar sind. Die Kunstuniversität Graz sieht sich daher in ihrer Verantwortung, auf diese Entwicklungen nicht nur zu reagieren, sondern sie aktiv mitzugestalten. „Mit unserer Diskussionsreihe möchten wir als Universität und unabhängige Veranstalterin eine Plattform zur Verhandlung der zentralen Fragen schaffen, die die Szene in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Dabei wollen wir nicht zuletzt die Politik mit den handelnden Personen des Kulturbereichs und themenspezifisch angefragten Expert_innen zusammenbringen“, so Rektor Georg Schulz.

Raum für Kunst

„Wo hat die Kunst zwischen rechtlichen Vorgaben und epidemiologischer Vorsicht noch Platz?“ Dieser Frage stellte sich am 29. Oktober – kurz vor Bekanntgabe des zweiten Lockdowns – die oben beschriebene Runde. „Die Pandemie wirkt auch wie ein Brennglas“, betont Moderatorin Constanze Wimmer, „sie macht Dinge deutlich und beschleunigt Entwicklungen, die sich bereits zuvor abgezeichnet haben. Insofern ist es uns wichtig, eben jetzt genauer hinzusehen und Entwicklungen im künstlerischen Veranstaltungsbereich zu hinterfragen.“

Foto: Johannes Gellner

Platz braucht es, so der Tenor am 29.10., nicht nur für die Faszination des Live-Erlebnisses, „das Staunen, in einem Moment dabei zu sein, wo etwas kreiert wird“ (Gerhard Kosel), sondern auch für Begegnungsraum und Austausch rund um das eigentliche Ereignis: in der Pause, vor oder nach einer Veranstaltung. Kurz: Die in Pandemiezeiten so rare soziale Dimension des Miteinanders ist im Kontext Kunst ganz entscheidend – während einer Vorstellung und rund um sie. Kulturschaffende könnten dabei, so Gernot Rath, im Sinne einer sozialen Induktion auch Hoffnungs- und Impulsgeber sein. Beim Ausweichen in neue digitale Räume sei jedenfalls, so Heidrun Primas, sicherzustellen, dass diese auch wirklich neu gedacht sind: „Es geht nicht um eine Reproduktion von dem, was im realen Raum stattfindet, sondern tatsächlich um Neukonzeption von Räumen.“ Dabei seien künstlerische Akteur*innen wiederum mit anderen Herausforderungen wie der Fake-Debatte konfrontiert. Wer ist im digitalen Raum dein Gegenüber? Und ist dieses Gegenüber real? Fragestellungen, die durch Corona neue Brisanz gewonnen haben.

Resilienz, Finanzierung und Bildung

Die kommenden Diskussionsrunden umkreisen die Themenfelder „Resiliente Kunstschaffende“ (Wie kann verhindert werden, dass – freiberufliche – Musiker_innen und Schauspieler_innen durch die Pandemie in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden?), „Künstlerische Bildung“ (Musik und Sport sind die ersten Unterrichtsfächer, die ausfallen. Ist Musikunterricht epidemiologisch so gefährlich oder herrscht die Ansicht vor, dass er einen zu geringen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft leistet?) und „Finanzierung von Kunst und Kultur“ (Wie kann die Kunstförderung in dieser besonderen Situation die Kunst und die Kunstschaffenden am besten unterstützen?). Geplant sind sie für 18.11. sowie 3. und 10.12. Im Rahmen eines partizipativen Workshops mit den Diskutant_innen soll im Jänner 2021 eine Zusammenfassung erstellt und ein Positionspapier verabschiedet werden. Rektor Georg Schulz: „Mit den von uns definierten Themenfeldern verknüpfen wir ganz bewusst die sogenannte Innensicht aus dem Kulturbereich mit Perspektiven, die aufzeigen, wie Kunst auf unterschiedlichste Weise in die Gesellschaft hineinwirkt, sie auch reflektiert. Für diese Fähigkeit wollen wir uns stark- und die Szene fit machen.“            

Foto: Johannes Gellner

Diskussionsreihe: „Künstlerische Aufführungen zu Zeiten von COVID-19“

Resiliente Kunstschaffende

Wie kann verhindert werden, dass (freiberufliche) Musiker_innen und Schauspieler_innen durch die Pandemie in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden?

Themenimpulse: Eine Sozialversicherung wie in Frankreich? Bedingungsloses Grundeinkommen für alle als Wundermittel? Vertretung der Künstler_innen; Beschäftigungsmodelle; Modelle der eigenen finanziellen Vorsorge

Diskutant_innen: Constanze Wimmer / Vizerektorin für Lehre und Internationales der KUG, Brigitte Winkler-Komar / Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, Peter Trefflinger/ IG Freie Musikschaffende, Sabine Reiter / MICA – Music Austria, Christina Lederhaas / Performerin, Schauspielabsolventin der KUG

18.11.2020, Kunstuniversität Graz

Künstlerische Bildung

Musik und Sport sind die ersten Unterrichtsfächer, die ausfallen. Ist Musikunterricht epidemiologisch so gefährlich oder herrscht die Ansicht vor, dass er einen zu geringen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft leistet?

Themenimpulse: Bedeutung des Musikunterrichts für die Entwicklung (junger) Menschen; integrative Kraft der Musik; Modelle eines epidemiologisch sicheren Musikunterrichts

Diskutant_innen: Georg Schulz / Rektor der KUG, Juliane Bogner-Strauß / Landesrätin für Bildung, Gesellschaft, Gesundheit und Pflege, Elisabeth Meixner / Bildungsdirektion Steiermark – angefragt, Kurt Scholz / Stadtschulratspräsident Wien a. D., Klaus Dorfegger / Fachinspektor Musik, Bildungsdirektion Steiermark, Annemarie Seither-Preisler / Privatdozentin am Zentrum für Systematische Musikwissenschaft der Uni Graz, Musikpsychologin

3.12.2020, Kunstuniversität Graz

Finanzierung von Kunst und Kultur

Wie kann die Kunstförderung in dieser besonderen Situation die Kunst und die Kunstschaffenden am besten unterstützen?

Themenimpulse: Eigene Förderschiene für Kunst, die auf die Pandemie eingeht; Veränderung der Kriterien; Förderung von Formen abseits der Aufführungen mit Publikum oder eben gerade nicht

Diskutant_innen: Constanze Wimmer / Vizerektorin für Lehre und Internationales der KUG, Günter Riegler / Stadtrat für Kultur, Graz, Gudrun Maier / Teil des Theaterkollektivs Die Rabtaldirndln, Private_r Fördergeber_in, Simon Kintopp / KUG-Student – Komponist, Posaunist, Pädagoge und ÖH-VS

10.12.2020, Kunstuniversität Graz

Je nach Corona-Ampel-Status in Graz findet die Diskussion mit oder ohne Publikum statt, alle Termine werden live übertragen, der Link zum Livestream wird im Vorfeld auf www.kug.ac.at zur Verfügung gestellt.