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Viele Wege führen über die Mur

Rainer Prohaska Foto: Didi Sattmann

Mit Readymades aus aufblasbaren Tieren über die Mur, mittels Rollfähre zur kleinsten Bar der Stadt und spontane Siestas auf der Straße. Rainer Prohaska im Interview mit „Achtzig“ über die temporären Interventionen von Traverso la Città.

Text: Natalie Resch

Sie leben in Wien, sind viel in China und den USA unterwegs. Was verbindet Sie mit Graz?

Die Stadt habe ich unter anderem bei der Durchreise nach Italien für mich entdeckt. Gemeinsam mit dem Künstlerkollektiv CNTRCPYTM aus Wien wurde ich mit Machine Conscious­ness 2003 im Rahmen der Kulturhauptstadt zum „selfware“-Festival ins Palais Thienfeld geladen. Im Auftrag der österreichischen Post entstanden 2011 Zeichnungen für die Dauermarken, das Kunsthaus in Graz war eines der 15 Motive. Vor vier Jahren habe ich für den steirischen herbst zum kollektiven Bau und Betrieb eines Mobilen Teehauses aufgefordert. Im Laufe der Zeit haben sich auch immer wieder Projekte mit Grazer Künstlern ergeben. Stefan Schmitzer hat für Traverso La Città bereits vor Projektbeginn viel zu den einzelnen Modulen beigetragen und ist vor allem für die Essays als zentraler Teil der Interventionen zuständig. Carola Schmidt und er stecken hinter den performativen Elementen der Module, wie zum Beispiel beim Der Mühlgang Gang. Wie überall spielen auch Spanngurte als Gestaltungs- bzw. Verbindungselemente eine Rolle, ebenso partizipative Elemente.

Inflatable Sample‚ SAN LUN CHE featuring the TERRAPLASTIC ARMY, Anni Art Gallery, Beijing, 2010

Sie nutzen das Mobile Teehaus als Zentrum für soziale Interaktion, wie es Kulturen des Fernen Ostens tun. Welche Rolle spielt temporäre Architektur in Ihrem Schaffen?

Seit 2006 setze ich mich näher mit den Möglichkeiten und Konzepten der temporären Architektur auseinander. Den Prozess des Entstehens halte ich dabei für besonders interessant. Während der Beschäftigung mit der Philosophie des asiatischen Raumes wurde mir bewusst, dass dort das Temporäre eine stärkere Bedeutung hat als in unserem Kulturraum. Dort werden sehr spontan Bauwerke verändert oder sogar abgerissen, und das, unabhängig von der Lebensdauer des Baumaterials. Das Erhalten von Strukturen, vor allem im historischen Kontext, steht dort nicht so sehr im Fokus. Für das Modul Siesta in Graz bauen wir, angelehnt an die Methode, die ich als „Toy-Kit Architecture“ bezeichne, 20 mobile Möbel mit Liegeflächen. Die Performance gleicht einer permanenten Übersiedelung, für die Straßenzüge vom Bahnhof bis zum Hauptplatz genutzt werden. Begleitet von einer mobilen Teeküche soll bei dieser Intervention die Möglichkeit geschaffen werden, im öffentlichen Raum eine ­Siesta zu halten.

Was ist die Toy-Kit-Methode?

Unter „Toy-Kit Architecture“ verstehe ich das Bauen großer Objekte mit Bauteilen, die von der Industrie zu bekommen sind, beispielsweise Betonschalungsträger. Bei dem Objekt Porte Jaune, einer aktuellen ortsspezifischen Installation in Solothurn, habe ich diese Methode wieder angewendet. Dort wurde aus mehreren hundert Stück Betonschalungsträger mit einer Länge von vier Metern und ebenso vielen Spanngurten ein temporäres Stadttor gebaut.

Skizzen sind für Rainer Prohaska eigenständiges Medium und zentral, um Performances und Konstruktionen vorab auszuloten

Traverso La Città macht es möglich, die Mur auf sehr humorvolle Weise zu nutzen. Was erwartet die Grazer?

Über die Dauer von einer Woche installieren wir im Fluss eine Rollfähre, welche die Besucher zur kleinsten Bar von Graz bringt. Diese Bar, in der Essays zur Mur von Stefan Schmitzer zu hören sind, wird am Ufer gegenüber des Augartens gebaut. Anita Fuchs hat dieses Modul initiiert und gestaltet die Rollfähre. Für die Sculptures En Flux baut unser Team aus aufblasbaren Elementen schwimmende Skulpturen, mit denen dann die Mur befahren wird. Eine künstlerische Expansion der möglichen Nutzung des Flusses. Diese Aktion soll die Menschen von Graz zum Fortführen solcher Aktivitäten motivieren. Auf der Limmat, einem Fluss in Zürich, ist am Wochenende die halbe Stadt mit solchen Objekten unterwegs. Zugleich sind diese „Inflatable Samples“ eine Weiterführung eines Stils, den ich 2010 in Peking erfunden und ausgestellt habe.

Partizipation verbindet all Ihre Module. Wie können Grazer bei Chariots of Sadness mitwirken?

Für die Aktion Chariots of Sadness werden zwei exklusive SUVs angemietet und zu Fuhrwerken umgebaut, vergleichbar mit römischen Streitwägen. Bis zu 10 Personen werden ihn gemeinsam ziehen. Es ist eine Referenz auf den Bau der Pyramiden: das kollektive Fortbewegen großer Massen auf Rollen. Aus Ausgangspunkt und Kulisse für den Streitwagen dient uns Schloss Eggenberg. Von dort bewegen wir uns Richtung Bahnhof, machen Halt an ästhetisch wertvollen Orten und inszenieren Bilder des Streitwagens mit den Menschen.

Was macht den öffentlichen Raum attraktiv?

Vor allem eine erweiterte, intensivere soziale Nutzung, als das momentan der Fall ist. Schön ist, wenn sich die Bewohner „spielerisch“ den öffentlichen Raum in Eigeninitiative aneignen und für sich gewinnen. Und das bedeutet nicht einfach die temporäre Möglichkeit, auf Fahrbahnen Sport betreiben zu dürfen. Traverso La Città soll Mut machen, sich einfach mehr zu trauen. Es braucht aber auf jeden Fall auch Veränderungen, beispielsweise im Verhalten der Exekutive, die auf die Menschen zugeht und sie in ihren Ideen und Aktionen unterstützt, anstatt die Durchführung dieser zu verhindern. Ein weiterer wichtiger Eingriff, der den öffentlichen Raum in der Stadt attraktiver machen kann, ist die Änderung von Gesetzen. Ein gutes Beispiel für eine Änderung der Gesetzgebung durch Umwidmung von Verkehrsräumen ist beim Radfahren zu beobachten. Viele Rechte der Radfahrer, die wir heute kennen, haben sich die Radler faktisch erkämpft, indem sie ihr Verhalten, sich Raum zu nehmen, einfach konsequent praktiziert haben. Das betrifft das „Vorne-Anstellen“ bei einer roten Ampel genauso wie das Benutzen von Einbahnen gegen die Fahrtrichtung. Ich glaube, dass eine konsequente und vor allem weniger „brave“ Nutzung der Straße auf natürliche Weise zu positiver Veränderung der Lebensqualität in der Stadt führt. In meinem Anliegen geht es nicht um große bauliche Veränderungen, sondern darum, sich einfach zu trauen, den öffentlichen Raum mehr und fantasievoller zu nutzen. Weniger um Theorien hinter diesen möglichen Konzepten als um eine Lebenspraxis, die sich wieder mehr in der Öffentlichkeit abspielt.

Wie nehmen Sie den Umgang mit dem öffentlichen Raum in anderen Ländern wahr?

Während meiner Reisen beobachte ich gerne die Reaktionen verschiedener Bewohner, wenn ich im öffentlichen Raum neben meinem mobilen Atelier frühstücke. Den oft ignoranten oder abweisenden Reaktionen der Österreicher setzen die Italiener fast immer ein freundlich-fröhliches „Buon appetito“ entgegen. Ganz bewusst versuche ich also, den Stadtraum völlig unvoreingenommen für mich zu nutzen, mir Dinge zu erlauben, wie zum Beispiel genau dort zu frühstücken, wo ich gerade möchte. Obwohl ich das seit über 30 Jahren praktiziere, ist es immer noch nicht selbstverständlich, dass ich mich in solchen Situationen auch wohlfühle. Das erfordert ein permanentes Üben!

Traverso La Città

Kulturjahrprojekt von Rainer Prohaska

23.–30.9.: Modul M2 / DIE ROLLFÄHRE

24.9.: Modul M1 / SCULPTURES EN FLUX

1.10.: Modul V2 / MÜHLGANG GANG

4.10.: Modul V3 / CHARIOTS OF SADNESS

7.10.: Modul V1 / SIESTA FÜR GRAZ

rainer-prohaska.net, futurama-lab.org