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„Eine Gesellschaft ohne Kunst ist eine Dystopie“

Simon Kintopp Foto: Johannes Gellner

Über die Bedeutung von Kultur und über Musikstudierende „zwischen den Stühlen“. Ein Interview mit dem Jazzmusiker und Vorsitzenden der ÖH-KUG Simon Kintopp.

Du bist Studierendenvertreter an der Kunstuniversität Graz und selbst ein sehr aktiver Musiker – wie nimmst du die sogenannte Coronakrise wahr?

Einerseits als gewaltigen Perspektiven­wechsel, andererseits als Chance. Als Wechsel der Perspektive, da ich momentan quasi „hauptberuflich“ Studierendenvertreter bin und meine Tätigkeiten als Musiker, Bigband-Leiter und Organisator, z. B. im Team der Jazzwerkstatt Graz, derzeit stillstehen. Neben vielen Online-Sitzungen und der Organisation von verschiedensten Unterstützungsinitiativen gilt es den großen Informationsbedarf der Studierenden zu stillen. Aufgrund der sich ständig verändernden Regelungen und Anpassungen keine leichte Aufgabe, die vielen täglichen E-Mails mit teilweise hochkomplexen Fragestellungen gewissenhaft zu beantworten. Als Chance sehe ich die Krise aber auch: Im Privaten z. B. in der täglichen Herausforderung, das Üben und Komponieren nicht zu vernachlässigen, obwohl die kurzfristigeren Ziele wie Konzerte fehlen. Oder den Tag zu nutzen und zu strukturieren – ich scheitere oft, doch ich lerne viel! Im Gesellschaftlichen sehe ich die Chance, dass manche Zustände jetzt einen breiteren Diskurs erfahren als im Status quo der Vor-Coronazeit, z. B. die Frage nach sozialer Gerechtigkeit oder die schon vor der Krise prekäre Lage vieler Kunstschaffender. Ich verstehe auch, wenn der Sicht einer Chance in der Krise widersprochen wird, doch ich für mich kann nicht anders – aufgrund meiner „Zwangsneurose“: Ich bin ein unverbesserlicher Optimist!

Hast du auch selbst finanzielle Einbußen?

Na klar! Mir entgingen bis jetzt knapp 14, teilweise gut bezahlte Konzerte, auch mein Privatunterricht oder das Dirigieren der HTU Bigband liegen auf Eis. Doch ich beklage mich nicht, denn im Vergleich zu vielen anderen KUG-Studierenden geht es mir gut. Ich habe immerhin meine kleine Aufwandsentschädigung durch die Arbeit als ÖH-Vorsitzender, ein wenig Erspartes und das Glück, als Mittelschichts-Deutscher ein Netz zu haben: meine Eltern. „Wir waren die Ersten, die von der Krise betroffen waren, und werden wohl die Letzten sein, die wieder Normalität leben dürfen.“ So wurde die Situation der Kulturschaffenden von einer Betroffenen im ORF-Kulturmontag beschrieben.

Teilst du diese Einschätzung?

Mein Verstand sagt Ja, meine Hoffnung sagt Nein. Alle sind momentan betroffen und Künstlerinnen und Künstler sind natürlich nicht so mächtig, vereint und organisiert wie große Wirtschaftsbranchen, wie die Industrie oder der Tourismus. Wir werden also wahrscheinlich zurückgestellt werden. Was bedauerlich ist, denn es geht dabei nicht um die wirkliche, letztliche Relevanz der Dinge, sondern im Prinzip nur darum, wer sich am besten verkauft und den größten Druck ausübt. Kunst und Kultur sind nicht systemrelevant, sie sind viel mehr: Sie sind der Boden für jegliche Idee, für alles, was menschlich ist – im weiteren Sinne also auch für das System selbst. Es geht einfach um Balance: Auch eine Fluggesellschaft ist wichtig, schon klar – aber eben auch KünstlerInnen und Kulturschaffende! Dankbarerweise kämpfen ja viele verschiedene Verbände von Kulturschaffenden um eine Wahrnehmung und persönlich hoffe ich auch auf Hilfe durch das Land, doch eine Gesellschaft ohne Kunst und Kultur ist eine Dystopie, ist Barbarei und das will (hoffentlich) niemand.

Inwiefern sind Studierende betroffen und welche von ihnen besonders?

Das Problem der Studierenden ist, dass sie in keine Förderkategorien fallen, sie stehen quasi „zwischen den Stühlen“ – tragischerweise auch wegen bislang geringer (aber deshalb erst recht lebensnotwendiger) Einkünfte. Vormals oft geringfügig beschäftigt, ein bisschen spielen hier, ein bisschen unterrichten da, haben sie keinen Anspruch auf Hilfe z. B. durch das AMS oder aber auch durch Fördertöpfe für Künstlerinnen und Künstler. Besonders betroffen sind neben Studie­ren­den aus Drittstaaten auch Studierende aus EU-Ländern wie Ungarn, Polen, Rumänien, aber auch Italien. In vielen Fällen haben die Eltern in der Heimat ihren Job verloren, die Fixkosten in Österreich liegen bei mindestens 600 Euro im Monat, es gibt momentan kein einziges Einkommen ihrerseits und „Ersparnisse“ ist für sie ein Begriff aus der Werbung. Hilfe gibt es eigentlich keine, das ist schon tragisch.

Die ÖH-KUG hilft – unterstützt vom Rektorat – mit einem eigens eingerichteten Notfallfonds. Wie funktioniert das?

Wir haben sofort reagiert und als eine der ersten HochschülerInnenschaften in ganz Österreich am 16. März den Notfalltopf ausgeschrieben. Die Bewerbung und Vergabe ist so unbürokratisch wie möglich: Studierende schicken ihren Antrag und ihre Unterlagen digital, jeden Samstag gibt es eine Sitzung der Vergabe-Kommission, die alle Bewerbungen genauestens darauf prüft, ob eine finanzielle Notlage gegeben ist, dann wird entschieden, verständigt und ausgezahlt. Ist ein Antrag vollständig eingereicht worden und positiv, haben Studierende ihre Unterstützung innerhalb von einer Woche auf dem Konto. Wir haben bereits großzügige Spenden hauptsächlich von Angehörigen der KUG erhalten, unter denen es einen Aufruf gab, doch brauchen und freuen wir uns natürlich über jeden Euro! Wer etwas erübrigen kann und Kunst-Studierende unterstützen möchte, möge uns einfach schreiben an oeh@kug.ac.at. Ein großer Dank gebührt hier aber auch unserem Rektorat, allen voran Rektor Georg Schulz: Die Zusammenarbeit und das Management sind top!

Die ÖH-KUG tritt auch als Kulturveranstalterin auf – und weicht nun über das Format ÖHome Concerts auf YouTube aus. Was darf man sich hier künstlerisch erwarten? Und was unterscheidet Eure Initiative von anderen?

Die Vielfalt an künstlerischen Projekten von Studierenden ist irrsinnig hoch, was wir schon vor Corona in unserer ÖH-Konzertreihe „tunes@tube’s“ monatlich präsentiert haben. Wir hoffen, vieles lässt sich digital umsetzen, und wenn dem so ist, dann hoff ich, dass es knallt! Auch durch den Bildschirm! Der Unterschied ist zum einen, dass es einen roten Faden gibt: Die Projekte sind von Studierenden, es wird moderiert und sie dauern ca. 20 Minuten. Zum anderen vergüten wir die Konzerte mit 80 Euro pro teilnehmendem KUG-Studierenden: Für ein 20-minütiges Video mit 5 Personen zahlen wir also 400 Euro! Das ist im weiteren Sinne also auch eine soziale und finanziell unterstützende Aktion, denn 80 Euro sind für viele gerade viel Geld, so sieht’s aus! Derzeit sind auch zahlreiche KUG-Studierende und Absolventinnen und Absolventen auf eigene Initiative verstärkt musikalisch auf Social-Media-Plattformen aktiv. (Die KUG versucht das unter dem Hashtag #KUGlivingrooms zu bündeln.)

Die Verlagerung von Kultur ins Netz ist aber nicht ganz unumstritten – wie stehst du grundsätzlich dazu?

Privat lehne ich das ab: Kunst und Kultur müssen etwas wert sein. Und Angst, dass ich vergessen werde, habe ich keine. Das steht natürlich ein bisschen im Widerspruch mit unserer Aktion „ÖHome ­Concerts“ – allerdings gibt es dort ja eine Vergütung. Aber so ist das eben: Hier muss ich scharf trennen zwischen privat und ÖH.