Start Kunst & Kultur Manuskripte No. 226: Die Ästhetik hinter den Trümmern

Manuskripte No. 226: Die Ästhetik hinter den Trümmern

Colonna Valentina

Die neue Ausgabe der manuskripte steht im Zeichen des ­­(Über-)­Lebens: ein Spannungsfeld zwischen inniger Liebe und Memento-mori-Stimmung.

Text: Bettina Leitner

Eine halb zertrümmerte Schreibmaschine in einem verwüsteten Raum voller literarischer Gedankenfetzen – diese düsteren Impressionen begegnen dem Leser auf dem Cover der 226. Ausgabe der manuskripte. Was wie durch ein dramatisches Geschehnis verwüstet erscheint, präsentiert sich als bildliche Metapher des aktuellen Themas: die Literatur in Zeiten des Klimawandels. Diese atemberaubende ­Ruinen-Fotografie von Christoph Dolgan versetzt den Leser in eine gewollt emotionale, vielleicht auch angespannte Stimmung, die von seinen nachfolgenden Bildern noch weiter getragen wird. Der Autor und bildende Künstler wurde von den manuskripten für das Art-Steiermark-Stipendium nominiert und präsentiert seine Fotos nun in der aktuellen Ausgabe.

„Ich bin ein Existenz-Schriftsteller“

Ein Highlight der 226. Ausgabe markiert der Prosatext Zum Kiesel des Schweizer Kunsthistorikers und Schriftstellers Paul Nizon, der am 19. Dezember dieses Jahres seinen 90. Geburtstag feiert. Nizons literarische Werke beeindrucken bereits seit Jahrzehnten: So wurde er einst in die Gruppe 47 als Gast geladen, im Rahmen dessen er mit literarischen Größen wie Günter Grass, Ingeborg Bachmann und Martin Walser zusammenarbeitete. Die nun im Faksimile des Typoskripts abgedruckte Prosa wird in der aktuellen manuskripte-Ausgabe von einem Portrait mit dem Titel Ich bin ein Existenz-Schriftsteller – verfasst von Christoph W. Bauer – begleitet. Bauers große Begeisterung für das Leben und Schaffen des Schweizer Literaten sind in diesem Beitrag regelrecht spürbar. Die Kategorie der Prosadichtung wird von mehreren, 2019 ausgezeichneten Autoren und Autorinnen komplettiert: Unter ihnen findet sich ein Auszug aus einem in Arbeit befindlichen Roman von Olga Flor, die heuer den Franz-Nabel-Preis verliehen bekommen hat. Ihre Texte sind von Selbstbewusstsein und Haltung geprägt, was in der heutigen Zeit des stetigen Umbruchs für Bewunderung sorgt. Des Weiteren begibt sich Johannes Wally auf eine erzähltechnisch bemerkenswerte „Spurensuche“ und Josef Pánek informiert über Die Liebe in Zeiten des Klimawandels.

„Ich singe dir die Wolken“… … von Tom Schulz repräsentiert die ­Lyriksparte, die insgesamt zehn Beiträge aus sieben Ländern versammelt. Dieses Gedicht aus dem 2019 erschienenen Sammelband Reisewarnung für Länder Meere Eisberge verkörpert poetisch die Liebe des Autors zu unserem Planeten, der sich in immer rasanterem Tempo vom paradiesischen Zustand zu entfernen scheint. In seiner Lyrik geht es ihm darum, den negativen Regelkreis zu unterbrechen, „den Kreislauf aus Gier und Fertigteilen“, und dann mit poetischer Schärfe ein Bewusstsein für die Schönheit und die Gefährdung unserer Welt zu schaffen. Ebenso in dieser Kategorie finden sich fünf Gedichte der italienischen Lyrikerin ValentinaColonna, die bei der Präsentation der neuen Ausgabe neben ihren Gedichten auch ihre gefühlvollen Klavierkomposition am Piano vorgetragen hat, und Werke von Louise Glück, Uta Gossmann und Leo Pinke. Die 226. Ausgabe wird schließlich von drei Essays abgerundet: darunter Felix Philipp Ingolds Der einfachste Satz ist schon Folter … und Hedwig Winglers Rezension von Reinhard P. Grubers neuem Buch 365 Tage mit dem Titel So schön ist es, wenn etwas ausbleibt.