Start Kunst & Kultur Das Literaturhaus Graz fragt: Typisch Österreich?

Das Literaturhaus Graz fragt: Typisch Österreich?

Foto: Stephan Friesinger

Im Vorfeld des heurigen Festivals „Weltmaschine : Österreich“ lud Klaus Kastberger den Dramatiker Ferdinand Schmalz und die Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl zum Gespräch über Klischees und Eigenarten der österreichischen Literatur.

Text: Wolfgang Pauker

Kastberger: Empfindet ihr euer Tun manchmal als spezifisch österreichisch und spielt das für eure Arbeit eine Rolle oder ist das alles nur ein Klischee?

Schmalz: In Deutschland hat mir bei einem Literaturpreis einmal einer der Juroren auf die Schulter geklopft und gesagt: „Schön, dass wir sowas hier auch einmal präsentieren können.“ Denn im Norden wird die österreichische Literatur oft als experimentelle Nische wahrgenommen, weil man mit dem Sprachgebrauch, der hierzulande herrscht, oft Schwierigkeiten hat. In meiner literarischen Arbeit spielt das keine Rolle und ich mache deshalb keine andere Literatur. Aber im Umgang mit der Literaturszene merkt man schon, dass man von außen schnell einmal etwas zugeschrieben bekommt. Meistens kennen diese Leute Elfriede Jelinek und Werner Schwab und es stellt sich die Frage, wie man dann erklärt, dass das nicht die einzigen Literaten aus Österreich sind.

Kastberger: Ist es mühsam, so etwas immer wieder erklären zu müssen?

Schmalz: Nervig ist es, wenn diese Klischeebilder unreflektiert und simpel daherkommen. Es gibt ja durchaus auch im Norden Leute, die diese Art zu schreiben sehr schätzen und sich damit auch gut auskennen. Manchmal sogar besser als in Österreich, was auch wiederum spannend zu sehen ist. Dann wird’s interessant, denn man kann über verschiedene Positionen und Schreibweisen diskutieren.

v.l.: Ferdinand Schmalz, Daniela Strigl und Klaus Kastberger im Gespräch.
Foto: Stephan Friesinger

Kastberger: Daniela Strigl, auch du arbeitest nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland. Ist der Hintergrund, dass dort der österreichischen Literatur gewisse Dinge wie Sprachzentriertheit oder ein Changieren zwischen Ernst und Ironie zugeschrieben werden, für dich ein Thema?

Strigl: Ja, das fängt aber schon an der Uni in Wien an, wo man heute die österreichische Bastion verteidigen muss. Man gerät da irgendwie hinein, weil eine gewisse Tendenz der Einebnung vorherrscht. Alles wird gleichgebügelt in der Wahrnehmung, und wenn ich für deutsche Zeitungen schreibe, dann fühle ich mich auch zuständig dafür, den Lesern vor allem jüngere Autoren aus Österreich ans Herz zu legen. Beim Bremer Literaturpreis war es beispielsweise so, dass irgendwann der Presse aufgefallen ist, dass in letzter Zeit lauter Österreicher präsent sind. Erst dachte die Jury, die sind nur verspielt und experimentierfreudig. Und dann kam sie drauf, dass es eigentlich eine ganz andere Art von Literatur ist. Anders auch als das gediegene Mittelmaß deutscher Literatur, mit der sich die Leute ein bisschen langweilen.

Daniela Strigl, Literaturwissenschaftlerin, ist eine der zentralen Figuren des deutschsprachigen Lite-raturbetriebs.
Foto: Friesinger

Kastberger: Es herrscht oft große Sympathie, wenn in Deutschland etwas als österreichisch erkannt wird und als solches klar und offen zu Tage tritt. Ist das vielleicht auch ein Startvorteil am literarischen Markt?

Schmalz: Ich habe einmal eine Inszenierung in Bremerhaven gehabt, das war das Nördlichste, wohin ich vorgedrungen bin, und da hatte ich einen richtigen Exotenbonus. Das Stück wurde sogar in Tracht aufgeführt. Das würde man in Österreich eher belächeln, aber dort hat es irgendwie funktioniert, weil es einen Verfremdungseffekt hatte. Ich merke das auch in Zusammenarbeit mit Theatern, wenn oft auch ganz banal gesagt wird, sowas Sprachspielerisches bräuchten wir noch im Spielplan. Da wird man schon auch extra für so etwas gebucht.

Ferdinand Schmalz, Bachmannpreisträger, ist einer der interessantesten Dramatiker des deutsch-sprachigen Raumes.
Foto: Friesinger

Kastberger: Der österreichische Kulturphilosoph Franz Schuh hat vor kurzem gesagt, es mache kaum noch Sinn, über die sogenannten Wesensmerkmale der österreichischen Literatur zu reden, über das Barocke und Selbstreflexive. Denn das alles war nur eine geniale Marketingstrategie der 70er Jahre, wo es ein kleines Land geschafft hat, österreichische Literatur als Markenartikel auf einem großen Absatzmarkt zu positionieren. Könnte er damit recht haben?

Strigl: Rückblickend stellt sich das vielleicht so dar, aber ich denke nicht, dass das völlig unbegründet und nur so ein Etikett ist, das aufgeklebt wurde. Als in Österreich Schreibender merkt man oft gar nicht, in welcher Tradition man steht. Man kennt beispielsweise Jelinek hierzulande auch ganz anders als in Deutschland, wo man vielleicht einmal ein Stück von ihr gesehen und es als völlig fremd wahrgenommen hat. Diese Form von Schärfe und Witz hat schon etwas sehr Provokantes.

Klaus Kastberger, Professor für Gegenwartsliteratur, Leiter des Literaturhauses Graz und Juror beim Ingeborg-Bachmann-Preis.
Foto: Friesinger

Schmalz: In Österreich ging es schon immer auch um Sprachkritik. Die Sätze gehen hier einfach nicht so leicht durch den Mund. Es gibt da bei uns einen grundlegenden Bruch, ein aktuelles Beispiel dafür besteht darin, dass in diesem Land in einer Woche der Satz fällt: „So sind wir nicht.“ Es kurz darauf aber gleich wieder heißt: „Jetzt erst recht!“ Da muss man als Autor ja irgendwie einen Bruch zu der Sprache setzen. Oder wie Jelinek sagt: „Die Sprache ist ein räudiger Hund, der immer wieder zu mir zurückkehrt.“ Es herrscht ein ambivalente Verhältnis zur Sprache, die einerseits riesige Räume aufmacht im künstlerischen Schaffen, sich aber andererseits einspannen lässt für die Plakate der Populisten, sodass man sich jedes Mal fragt, wie das geht und ob das dieselbe Sprache ist, in der beides möglich ist. An diesem Bruch, glaube ich, passiert viel in der österreichischen Literatur. An diesem immer wieder Verratenwerden vom eigenen Werkzeug der Sprache.

Kastberger: Gibt es Erklärungen, warum das gerade in Österreich so stark sein soll?

Strigl: Ich glaube, es hat schon etwas mit der Vergangenheit Österreichs und dem Imperialen zu tun, das stets eine Gegenmelodie braucht. Das hat mehr mit der Monarchie zu tun, als uns heute bewusst ist. Diese Inszenierung von Macht und eine Sprache, die gleichzeitig dagegen aufmuckt. Natürlich spielt darin auch das Katholische eine Rolle, dieses Feierliche und Verbrämte und rhetorisch Glänzende, das sich dann gegen die Macht kehren lässt. Ich glaube, dass viel von dem, was nicht nur am Theater, sondern auch in heutiger Prosa passiert, damit zu tun hat. Wir sind ein geschrumpftes Land, aber trotzdem ist in ihm diese k. u. k. Vergangenheit präsent.

Foto: Friesinger

Kastberger: Kann es im Schreiben auch eine Bürde sein, wenn man immer diese Erwartungshaltung hat, dass es krause und seltsam sein muss? Mit diesem prägenden Gedanken zur österreichischen Kultur werden wir uns dann ja auch in unserem Festival „Weltmaschine : Österreich“ befassen.

Schmalz: Ich habe es eigentlich nie als hinderlich empfunden. Mich zieht das Seltsame aber auch sehr an. Ich mag das, auch so autark arbeitende Menschen wie den Bauern Franz Gsellmann, der einst die sogenannte Weltmaschine gebaut hat. Menschen, die irgendwann draufkommen, etwas schaffen zu müssen, ohne zu wissen, warum sie das eigentlich machen. Aber die gibt es natürlich nicht nur in Österreich, sondern auf der ganzen Welt. Es kann aber schon sein, dass es irgendwie auch ein Spezifikum der Südoststeiermark ist, wo diese Visionäre aus dem Nichts kommen. Rund um die Riegersburg, da muss irgendwas im Wasser sein, das die Leute dazu bringt, wahnhafte Projekte zu starten.

Foto: Friesinger

Kastberger: Franz Gsellmann hat diese Maschine gebaut, ohne zu wissen, was sie eigentlich tun soll. Er hat die Hoffnung gehabt, dass die Maschine irgendwann einmal ohne sein Zutun über Nacht selbst irgendetwas produziert. Wäre das eine Metapher für die österreichische Literatur?

Strigl: Wenn es nicht überhaupt eine Metapher für Kunst ist, dass man nicht weiß, was man tut und was dabei herauskommt. Dieser Zug von Größenwahn passt natürlich auch zur Literatur besonders gut und schafft eine Verbindung von total regional und gleichzeitig gültig für die ganze Welt. Auch die österreichische Literatur ist ja gerade dort Weltliteratur, wo sie sich nicht um Weltliteratur bemüht, sondern um den engen Horizont, den sie hat. Gerade dann entsteht etwas, was weit darüber hinaus geht.

Kastberger: Auch bei Gsellmann kam irgendwann ein Wahrnehmungsschub von außen. Plötzlich entdeckte die internationale Szene sein Werk als Ausdrucksform moderner Kunst und gab ihm überhaupt erst den Namen Weltmaschine. Braucht österreichische Kunst und Literatur vielleicht mehr Interpretations- und Erkläraufwand, als dies anderswo nötig ist?

Foto: Friesinger

 

Schmalz: Das Spannende bei solchen Leuten ist ja, dass die, die ihn erst Spinner genannt haben, dann die sind, die später daran verdienen. Ähnliches entdeckt man ja auch in der Literaturszene, wo die, die zuerst groß über Jelinek geschimpft haben, dann die sind, die sie abfeiern.

Strigl: Das mit dem Erklärungsbedarf merkt man schon bei der österreichischen Literatur, wo es einerseits diese grundsätzliche Sympathie gibt und diesen Exotenbonus und auf der anderen Seite Widerstand und eine richtige Verärgerung, dass das so mühsam sein kann und man sich manchmal richtig anstrengen muss, um so einen Text zu verstehen. Das ist nach wie vor so. Es gibt eine Ermattung im deutschen Feuilleton, wo es schnell heißt: „Schon wieder jemand, den man nicht versteht.“ Man merkt diese Spannung. Es ist auch durchaus nicht so, dass dieser Literatur nur Wohlwollen entgegenschlägt.

Weltmaschine : Österreich

Ein Festival von Literaturhaus Graz und steirischer herbst‘ 19

 

Donnerstag, 3.10.

10 bis 16.30 Uhr: Exkursion zur Wohnung von Marianne Fritz in Wien.

18 Uhr: Geführte Besichtigung der Installation „The Life and Adventures of GL“ (2019) zu Georg Lukács.

19 Uhr: Gesprächsrunde „Grand Hotel Abgrund“. Mit Georg Lukács zu Karl Kraus. Mit György Dalos, Wolfgang Müller-Funk, Katharina Prager, Franz Schuh; Moderation: Daniela Strigl.

Franz Schuh
Foto: Helmut Wimmer

21 Uhr: Performance Boris Ondreicˇka: „The Abyss“ (2019).

 

Freitag, 4.10.

14 bis 16.30 Uhr: Exkursion zu Gsellmanns „Weltmaschine“ in der Südsteiermark. Guides: Günter Eichberger, Rudi Widerhofer.

Günter Eichberger
Foto: Claudia Klucariç

18 bis 19.30 Uhr: Gsellmanns „Weltmaschine“: Stephan Groetzner liest aus „Destination Austria“, Klaus Ferentschik liest aus „Der Weltmaschinenroman“. Anschließend im Gespräch mit Jutta Person.

20 bis 22 Uhr: Gesprächsrunde „Weltmaschine Österreich“ mit: Wiebke Porombka (D), Daniela Strigl (A), Philipp Theisohn (CH) und Daniel Wisser;
Moderation: Klaus Kastberger.

Daniel Wisser
Foto: Anke Wälischmiller

 

Samstag, 5.10.

15 bis 16.30 Uhr: Weltmaschine Graz: Egon Christian Leitner liest aus „Sozialstaatroman“, Clemens Setz liest aus „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“. Anschließend im Gespräch mit Carsten Otte.

Clemens Setz
Foto: Max Zerrahn

17 Uhr: Akademie des Verschwindens: Start im Literaturhaus: Materialtransport zum Forum Stadtpark.

20 Uhr: Roboter mit Senf. Die Literaturshow. Gäste: Alf Poier, Julya Rabinowich, Precious Nnebedum; Hosts: Daniela Strigl, Klaus Kastberger;
Produktion: Literaturhaus Graz und Das Planetenparty Prinzip

Foto: Planetenparty Prinzip

Für alle Veranstaltungen gilt: Eintritt frei mit Festivalpass des steirischen herbst – Platzgarantie nur nach Anmeldung über die Homepage des Literaturhauses bei der jeweiligen Veranstaltung!

Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30, 8010 Graz

Nähere Infos unter: www.literaturhaus-graz.at