Start Kunst & Kultur Schauspielhaus Graz: „If you don’t know, go know.“

Schauspielhaus Graz: „If you don’t know, go know.“

Foto: Yves Sambu

Zwei Produktionen und afrikanische Künstlerinnen und Künstler mit Performances, Fotografien und Virtual-Reality-Szenarien lassen im Schauspielhaus Graz auf den afrikanischen Kontinent blicken. Wir sprachen mit Intendantin Iris Laufenberg und geben einen Überblick über das Programm zum aktuellen Schwerpunkt.

Text: Wolfgang Pauker

Der Schwerpunkt steht unter dem Motto „If you don’t know, go know.“ – was bedeutet dieser Satz und was darf man sich vom Programm erwarten?

„If you don’t know, go know.“ kann man übersetzen mit: „Wenn du es nicht weißt, informier dich!“ Es ist eine Aufforderung, über den Tellerrand zu schauen. Und darum geht es uns mit all unseren Vorhaben und Projekten in Bezug auf den afrikanischen Kontinent: um eine Bewegung und eine Öffnung des Theaters. Denn wenn wir auf unseren angestammten Plätzen sitzen bleiben, werden wir nichts Neues entdecken und auch nichts Neues über uns selbst herausfinden. Ausgangspunkt war einerseits die Uraufführung des Romans Tram 83 von Fiston Mwanza Mujila, die wir weiterhin im Spielplan haben. Andererseits rückt jetzt ein weiteres Projekt von Jan-Christoph Gockel ins Zentrum der Auseinandersetzung, für das das Team nach Burkina Faso gereist ist, um dort zu recherchieren und in der Begegnung mit der Bevölkerung vor Ort zu proben und zu filmen. Wir sind dabei von Jan-Christoph Gockels Nestroy-Preis prämierter Inszenierung Der Auftrag: Dantons Tod ausgegangen: In der Auseinandersetzung mit der französischen bzw. haitianischen Revolution bei Georg Büchner und Heiner Müller stieß er auf eigene Erlebnisse mit der Revolution in Burkina Faso 2014. Genau vor vier Jahren probte er mit Teilen unseres heutigen Teams sein Stück Coltan Fieber in Ouagadougou und wurde von den Massenprotesten und dem Sturz des damaligen Präsidenten überrascht. Diese Erfahrung steht nun im Zentrum seiner neuen Inszenierung Die Revolution frisst ihre Kinder! In der Vorbereitung dieser beiden aktuellen Produktionen ist uns noch einmal bewusst geworden, wie begrenzt unser Blick auf die Geschichte und Gegenwart des afrikanischen Kontinents ist. Daher haben wir uns nicht nur entschlossen, Camilles Aufruf „Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse …“ aus Dantons Tod tatsächlich zu folgen und nach Burkina Faso zu fahren, sondern dazu, ein thematisches Rahmenprogramm zu kreieren: „If you don’t know, go know.“ ist nach den Thea­terpremieren Ende November der Auftakt und wird mit Gesprächen, Filmen, einem Virtual-Reality-Projekt und einer kleinen Ausstellung versuchen, unseren Blickwinkel zu erweitern.

Schauspielhaus Graz Intendantin Iris Laufenberg.
Foto: Lupi Spuma

Für ein Stadttheater ist es eher ungewöhnlich, für eine Premiere erst einmal die Stadt zu verlassen und mit ungewissem Materialstand in die Endproben zu starten. Bedarf es einer physischen Bewegung, wie in diesem Fall in das westafrikanische Land Burkina Faso, um Neues kennenzulernen und zu verstehen?

Das Bild, das wir vom afrikanischen Kontinent haben, ist recht eindimensional und voller Klischees. Schon allein, dass man meistens allgemein von „Afrika“ spricht und nicht zwischen den einzelnen afrikanischen Ländern differenziert, die sehr unterschiedlich sind, zeigt, wie wenig wir über die Vielfalt des Kontinents wissen, vor allem solange immer noch Begrifflichkeiten wie „Entwicklungsland“ bzw. „Dritte Welt“ verwendet werden. In Europa denken wir die Geschichte aus unserer Perspektive und tun so, als ob diese die einzig „richtige“ wäre. Dadurch werden bestehende Meinungen oft voreilig zementiert und als solche weitergegeben. Deshalb ging es uns darum, selbst hinzufahren, unsere eigenen Vorstellungen zu überprüfen und neue Erfahrungen zu machen. Zumal genau dort Jan Gockel und andere KollegInnen schon gearbeitet haben und es schon gemachte Erfahrungen gab und gibt, an die wir anknüpfen konnten. So entstehen und entwickeln sich neue Perspektiven.

Die Theatergruppe begibt sich auf die Spuren der Revolution und fragte vor Ort, was sich 4 Jahre später und im globalen Kontext betrachtet verändert hat. War die Expedition so aufregend, wie sie klingt?

Absolut. Als Gruppe waren wir natürlich auf mehreren Ebenen gefordert: zusammen zu reisen, unangenehme bis euphorische Erfahrungen und Gefühle zu teilen und sich in die Recherche zu stürzen. Die Reise diente vor allem den Begegnungen für die inhaltliche Erarbeitung des Stückes und für viele Stunden Filmmaterial, das auch auf der Bühne gezeigt wird. Es wurden Interviews mit prominenten Bukinabès geführt, aber auch viele spielerische Szenen mit Marionetten von Danton und Robespierre sowie den burkinischen Figuren Thomas Sankara und Blaise Compaoré auf der Straße aufgeführt. Dadurch entstanden immer sofort Gespräche mit den Leuten. Burkina Faso ist bekannt für seine aufgeschlossenen EinwohnerInnen, eben genannt Burkinabè. Und das stimmt zu hundert Prozent. Durch die vielseitigen und inspirierenden Auseinandersetzungen konnten wir tief in das Leben und die Geschichte des Landes eintauchen. Ouagadougou ist außerdem eine Stadt, in der man an jeder Ecke Kunst und Thea­ter auf lebendigste Art und Weise finden kann. Zumal wir im Oktober zu einer Zeit da waren, in der gerade dieses grandiose, biennal stattfindende afrikanische Theater- und Tanzfestival „Les Récréatrales“ stattfand.

Michael Pietsch mit der Puppe „Thomas Sankara“ im Operndorf in Burkina Faso (Pordukiton: Die Revolution frisst ihre Kinder!).
Foto: Iris Laufenberg

Durch die Begegnungen entwickelte Regisseur Jan-Christoph Gockel das Thea­terprojekt „Die Revolution frisst ihre Kinder!“, welches nun in Graz Premiere feiert. Wie wurden die Aufführungen und die Erarbeitung des Stückes in den Straßen Ouagadougous aufgenommen?

Wie schon gesagt: In Ouagadougou war das Interesse und die Begeisterung an der Revolutionsstory, den Puppen und an unserem Ansatz sehr groß. Die AktivistInnen des Balai Citoyen, die führenden Stimmen der Revolution 2014, sowie die Angehörigen der Familie Sankara zeigten sogar viel Anerkennung dafür, dass sich unser (deutsch-schweizerisch-österreichisches) Team mit dem revolutionären Geist von Thomas Sankara und den Ereignissen 2014 beschäftigt. Die Arbeit in Graz ist jetzt, viel aus Burkina Faso Mitgebrachtes in die Proben für die Bühne einfließen zu lassen und die ZuschauerInnen mit auf unsere Reise zu nehmen.

Auf ganz andere Weise findet die Begegnung mit dem Kongo in der Aufführung von Fiston Mwanza Mujilas Roman „Tram 83“ statt, in der Lubumbashi und Graz, Tag und Nacht, Rausch und Ernüchterung miteinander verschmelzen. Wie vollzieht sich diese Annäherung?

Die erste Annäherung entstand durch Fiston Mwanza Mujila selbst, der ein in Graz lebender und aus der Demokratischen Republik Kongo stammender Autor ist. Es gab schon seit längerer Zeit den Kontakt zu ihm und durch seine Lesungen, die mehr wie klangliche Performances sind, wurden wir auf ihn aufmerksam. Der Roman ist in etwa so geschrieben, wie Fiston Mwanza liest, also wie eine musikalische Komposition, die allein durch die Sprache einen ekstatischen Zustand erschaffen kann. Diesen sprachmusikalischen Zugang hat der Regisseur Dominic Friedel durch die Entstehung der Bilder mithilfe von Sprache versucht zu verdeutlichen. Das „Tram 83“ ist ein fiktiver Ort des Rausches, ein Nachtclub, in welchem die unterschiedlichsten Stimmen aufeinandertreffen und zusammenfließen. Das Tram steht für einen Nicht-Ort, an welchem das Chaos regiert, aber auch Sehnsucht und Hoffnung blühen. In der Grazer Version des „Tram 83“ werden Realitäten umgedreht und gegenbesetzt.

Inwiefern werden sich die verschiedenen Projekte der PartnerInnen in der Stadt (Next Liberty, Kunsthaus Graz, Universität Graz und Literaturzeitschrift „Lichtungen“) mit dem Thema beschäftigen?

Das Themenfeld ist ja mindestens so riesig wie der afrikanische Kontinent selbst. Was wir hier im Schauspielhaus zeigen, sind eher Schlaglichter oder Momentaufnahmen, die nicht den Anspruch haben, die Breite der politischen und künstlerischen Diskurse abzubilden. Umso mehr freuen wir uns über die vielen Kooperationen z. B. mit dem Kunsthaus Graz, wo momentan die Ausstellung Congo Stars zu sehen ist, die von Fiston Mwanza Mujila mitkuratiert wurde, oder die Produktion Radio Freedom im Next Liberty, die die Situation in Simbabwe und Südafrika genauer beleuchtet. Da entstehen viele Synergien und für das Publikum die Möglichkeit einer vielschichtigen Begegnung, mit sehr unterschiedlichen Perspektiven und Zugängen.

Foto: Lupi Spuma

Begegnungen mit dem afrikanischen Kontinent

 

DIE REVOLUTION FRISST IHRE KINDER! / Theater

Dantons Tod in Burkina Faso, frei nach Georg ­Büchner von Regisseur Jan-Christoph Gockel

Jan-Christoph Gockel
Foto: Andreas Etter

Premiere: 23.11., 19.30 Uhr, Weitere Vorstellungen: 28., 30.11. & 5., 15., 18.12.2018, 4. & 17.1.2019 im Schauspielhaus Graz, HAUS EINS

TRAM 83 / Theater

Waffenhändler, Zuhälter, Prostituierte, Kindersoldaten, Touristen usw. – sie alle versammeln sich im sagenhaften „Tram 83“, einem Nachtclub im Herzen einer nicht näher bestimmten afrikanischen Mega-City.

Sarah Sophia Meyer, Tamara Semzov, Maximiliane Haß
Foto: Lupi Spuma

1., 15.12.2018, 20 Uhr im Schauspielhaus Graz, HAUS ZWEI

VANITAS / Ausstellung

Der kongolesische Künstler Yves Sambu begleitet seit Jahren eine Gruppe von Sapeurs in Kinshasa, die in Gombe zeremonielle Versammlungen abhalten. Sie ziehen unter Beifall durch das Viertel und tanzen letztlich auf den Gräbern der ehemaligen Kolonialherrschaften.

Foto: Yves Sambu

ab 23.11. im Schauspielhaus Graz, Foyer

WER STELLT HIER EIGENTLICH WEN AUS? / Diskussion

Mehrere Projekte und Institutionen beschäftigen sich in Graz auf ganz unterschiedliche Weise mit Kunst, Geschichte und Gegenwart des afrikanischen Kontinents. Kunsthaus Graz, Next Liberty und Schauspielhaus laden zur kritischen Befragung der eigenen ­Arbeitsweisen.

Fiston Mwanza-Mujila
Foto: L. Hilzenbauer

1.12., 16 Uhr, Schauspielhaus Graz

FRACTURED MEMORIES / Theater

Der Abend des kenianischen Schriftstellers Ogutu Muraya bewegt sich zwischen Lecture-Performance und Erzähl-Theater: Ausgehend von seiner Biografie, ergänzt durch historische und fiktive Versatzstücke, spinnt er eine Historie des 20. Jahrhunderts bis heute.

Foto: Ogutu Muraya

30.11. & 1.12., 18 Uhr, Schauspielhaus Graz, ­Redoutensaal

THE OTHER DAKAR / Virtual Reality

Die senegalesische Filmemacherin und Designerin Selly Raby Kane gehört zur jungen Generation urbaner, neugieriger und weltoffener KünstlerInnen. In ihren Arbeiten vermischt sie afrikanische Mythologie mit westlicher Popkultur und afrofuturistischen Zukunftsvisionen. In englischer Sprache.

Foto: Selly Raby Kane
  1. 11., ab 18 Uhr & 1.12., ab 16 Uhr, Schauspielhaus Graz

REVOLUTION MIT BLOSSEN HÄNDEN / Film

Moussa Ouédraogo und Hans-Georg Eberl zeichnen in ihrem Dokumentarfilm die Ereignisse im Oktober 2014 in Burkina Faso nach. Sie begleiten unterschiedliche AkteurInnen des Aufstandes und besuchen symbolträchtige Orte des Geschehens. In französischer Sprache mit deutschen Untertiteln.

Film Still

ab 23.11. im Schauspielhaus Graz, Foyer

Weitere Termine, Informationen & Tickets unter www.schauspielhaus-graz.com