Start Kunst & Kultur Demokratie, wie sie bröckelt und fällt

Demokratie, wie sie bröckelt und fällt

Foto: GrazMuseum

Die große Herbstausstellung im GrazMuseum fragt nach der Gefährdung demokratischer Prinzipien. Im heurigen Gedenken zu den Schlüsseljahren 1918 und 1938 widmet man sich der Zwischenkriegszeit. Und präsentiert damit die erste umfassende Museumsausstellung der Steiermark über diese brüchige wie ambivalente Phase in der Geschichte der Stadt.

Text: Pia Moser

Ein Kartenhaus steht naturgemäß auf wackligen Beinen. Es besitzt kein Fundament, seine Einzelteile vermögen sich einander nur für einen kurzen Moment in einem unsicheren Balanceakt zu stützen. Es ist klar, dieses Haus wird nicht von Dauer sein. Die Analogie ist treffend gewählt: Mit seiner großen Herbstausstellung nähert sich das GrazMuseum der Zwischenkriegszeit an und zeichnet die wechselnden Machtverhältnisse im damaligen Graz nach. Unter dem Titel Im Kartenhaus der Republik. Graz 1918–1938 thematisiert die umfassende Schau Brüche und Kontinuitäten politischer Grundhaltungen gegenüber einem Nebeneinander scheinbar ungeordneter, widersprüchlicher Lebenswirklichkeiten. Durch den permanenten Kampf unvereinbarer Kräfte erweist sich die instabile Demokratie als ein Kartenhaus aus hehren Zielen und Werten, das schließlich in den autoritären Wendejahren in sich zusammenbricht.

Proklamierung der Republik am 12. November 1918.
Foto: GrazMuseum

Umschwung, Elend und Irritation

„Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Mit diesem Satz nimmt die Schau ihren Ausgangspunkt bei der Verfassung der demokratischen Republik Österreich und erörtert, wie sich das demokratische Prinzip im zeitlichen Verlauf – von der Ausrufung der Republik im Jahr 1918 bis hin zur „Volkserhebung“ noch vor dem sogenannten „Anschluss“ an Hitler-Deutschland 1938 – bewährt hat. Die Annäherung erfolgt in einem politischen und einem lebensweltlichen Bereich entlang von Zeitdokumenten, Foto- und Videomaterial, Kunstwerken und Literatur sowie der Präsentation von politischen Schlüsselpersonen dieser Zeit. Deren Biografien bauen ein überdimensionales Kartenhaus, das sich bereits zu Beginn der Schau als schief und instabil zeigt. „Mit der Ausrufung der Republik haben sich viele in die Monarchie zurückgesehnt“, führt Chef­kuratorin Martina Zerovnik durch die Ausstellung. „Hier sieht man: Der Übergang von einer Staatsform zur anderen ist ein schleichender Prozess.“ Hunger, Elend, Armut, Arbeitslosigkeit. Für die neuen politischen Verantwortlichen galt es, die Probleme der Nachkriegszeit zu lösen. Damit stellte sich die Frage: Welche Chance hat ein demokratischer Konsens gegenüber den Möglichkeiten einer autoritärer Entscheidungsmacht? Denn auch in der Steiermark war die Gesellschaft der Zwischenkriegszeit von den traumatischen Folgen des Ersten Weltkriegs stark gezeichnet. Im zweiten Raum: eine Großaufnahme von der Ausrufung der Republik vom 12. November 1918 am Franzensplatz, dem heutigen Freiheitsplatz. Ein Schlüsselereignis für das Graz der Zwischenkriegszeit. Keine freudige Erwartung zeigt sich in den Gesichtern der Menschenmasse. Vielmehr sind es Unsicherheit, Nachdenklichkeit, Irritation. „Diese Emotionen sind kennzeichnend für das Einleiten dieser neuen Phase und ziehen sich durch die Zeit von 1918 bis 1938“, so Zerovnik.

Verfassungspatriotische Schau soll Identifikation mit demokratischen Prinzipien ermöglichen.
Foto: Lena Prehal

Die damaligen politischen Verantwortlichen näherten sich den Nöten der Bevölkerung auf unterschiedliche Weise an. Es waren Personen wie Vinzenz Muchitsch, der sozialdemokratische Bürgermeister der Zwischenkriegszeit, oder Soldatenrat Ludwig Oberzaucher, die für Graz stellvertretend in dieser Geschichtsphase wirkten. Mit der Präsentation der zahlreichen Biografien zeigt die Ausstellung, welche unterschiedlichen Kräfte von politischen und ideologischen Gesinnungen an diesem Kartenhaus der Republik gezerrt haben: Wer hat daran gebaut und gearbeitet, dass dieses Haus der Demokratie stabiler wird? Wer wirkte hingegen destruktiv in eine autoritäre Richtung?

Verhärtete Fronten

Auch neue, fortschrittliche Kräfte flackerten in dieser umbrechenden Phase auf, die Einführung des Frauenwahlrechts etwa ist ein Beispiel für einen Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Hier trifft man auf die Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin Martha Tausk, die 1918 als erste Frau in die steirische Landesregierung einzog. Einen Gegenpol bilden Persönlichkeiten wie die damalige Landtagsabgeordnete Frida Mikula, die eine konservative Linie verfolgte und das Ideal des christlich geprägten Frauenbildes hochhielt. Im Verlauf der Ausstellung zerfällt das Kartenhaus immer mehr in seine Einzelteile: „Es bröckelt. Und man sieht: Die Sätze der Verfassung sind wahrlich nicht in Stein gemeißelt“, sagt Chefkuratorin Zerovnik mit Verweis auf die Nationalsozialisten aus dem deutsch-nationalen Lager, die bereits Ende der 20er Jahre im Parlament waren. Viele sehnten sich bereits 1918 nach dem Anschluss – aus unterschiedlichen, nicht immer zwingend völkisch-rassistischen Gründen. So war etwa auch Vinzenz Muchitsch als Mitgestalter des Anschluss-Komitees aus wirtschaftlichen Motiven davon überzeugt, dass dieses „Rest-Österreich“ nicht überlebensfähig sei.

Kontrast: Die „Buntheit“ unterschiedlicher Lebensentwürfe in der Zwischenkriegszeit.
Foto: Lena Prehal

Die Nöte der Zeit weckten in vielen politischen Akteurinnen und Akteuren den Wunsch nach einem radikaleren Durchgreifen. Die Fronten verhärteten sich, bis in den Februarkämpfen von 1934 schließlich kein demokratischer Konsens mehr möglich war. Als im Jahr 1938 Julius Kaspar, der seit 1934 Mitglied der NSDAP war, den Posten des Grazer Oberbürgermeisters übernimmt, erscheint das Gegenbild: Eine Nahaufnahme zeigt die freudigen Gesichter der Nationalsozialisten. Das Kartenhaus der Demokratie fällt schließlich ganz in sich zusammen. Gewaltherrschaft ist das Resultat.

Chaos versus Gleichschaltung

Im Kartenhaus der Republik macht die Entwicklungsschritte hin zu einem Graz als „Stadt der Volkserhebung“ nicht nur auf politischer Ebene spürbar. Im lebensweltlichen Teil der Schau trifft man auf einen Gestaltungsbruch: Grelle Farben weisen auf die „Buntheit“ unterschiedlicher Lebensentwürfe in der Zwischenkriegszeit hin. Die Konsum- und Freizeitkultur erfuhr einen Aufschwung, Sport wurde zu einem Massenphänomen, die Wirtschaft erholte sich. Das Schlagwort „Wiederaufbau“ wurde stark propagiert. „Trotz des herrschenden Elends war es eine lebensfrohe und bunte Phase“, meint die Kuratorin. „Zumindest eine Zeit lang hat man nach vorne geschaut.“ Dieser zweite Teil der Schau gliedert sich in die Bereiche „Geburt, Stand und Klasse“, „Geschlecht“ und „Bekenntnis“. Die Vielgestalt der damaligen Lebensweisen sieht sich immer wieder von den rückwärts-gewandten und autoritären Tendenzen bedroht: Sie nähern sich von allen Seiten und kennen im Sinne der Gleichschaltung nur eine Vorstellung von der „richtigen“ Lebensweise. „Von autoritären Personen dieser Zeit kam der Wunsch, das Chaos zu beseitigen. Nach dem Grundsatz: Wir müssen zu einer gesellschaftlichen Ordnung finden, die funktioniert. Sittlichkeit muss Einzug halten“, so Zerovnik.

Blick aufs Detail: Entwicklung von Graz hin zur „Stadt der Volkserhebung“ wird spürbar.
Foto: Lena Prehal

Wo etwa „neue Frauen“ die Leinwand eroberten, wurde die christliche Vorstellung der Familie stärker betont. Der Klassenkampf wird etwa am Beispiel des sogenannten „Kirschenrummels“ illustriert, der Hungerrevolte der Arbeiterfrauen vom 7. Juni 1920. Als Folge der Erschütterungen des Ersten Weltkriegs erfuhr auch die Glaubenssphäre einen Wandel: Teils kam es zur Abwendung vom Glauben an Gott, so manche fühlten sich zum Spiritismus und Okkultismus hingezogen. Das religiöse Moment des jüdischen Glaubens trat entgegen nationaler Aspekte stärker zurück. Gleichzeitig erfuhr der katholische Glaube durch den autoritären Ständestaat wieder größere Wertschätzung – und vor allem politische Mitwirkung.

Foto: F. Schurig

Letztlich führte das Verbot der Nationalsozialisten nur zur Infiltrierung von Gesellschaft und Politik aus dem Untergrund. Im Spannungsfeld entlang der Achsen Geschlecht, Geburt, Stand, Klasse und Bekenntnis trifft man so wiederholt auf ein zentrales Moment: Der Antisemitismus ist symptomatisch für die Zwischenkriegszeit und durchzieht sämtliche Parteien und Ideologien: „Auf ihre Art und Weise waren alle antisemitisch. Ob auf der linken Seite antikapitalistisch motiviert, ideologisch-religiös aufseiten der katholischen Kirche oder anti-marxistisch von den Rechten, die Marxismus mit Judentum in Verbindung brachten“, so Martina Zerovnik.

Demokratie in unsicheren Zeiten

Einen spannenden Beitrag zur Ausstellung hat der Grazer Fotograf Emil Gruber geleistet: In seiner Fotoserie rückt er Schauplätze von Konflikten und Auseinandersetzungen, von Willkür und Terror wieder in die Wahrnehmung – das Grazer Rathaus, das Landesgericht oder den ehemaligen Murvorplatz. Ob diese historischen Schauplätze die Zeit nahezu unverändert überdauert haben oder heute nicht mehr existieren: Das fotografisch aufgefangene Bild wird selbst zu Geschichte, wie Emil Gruber in Anlehnung an den französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson mit seiner Fotoserie „Schauplätze“ aufzeigt.

Axl Leskoschek, „Kirschenrumme l“, 1920
Foto: GrazMuseum

Indem die Schau den Blick aufs Detail richtet, gleichzeitig immer wieder Querverweise in dieser vielschichtigen Historie der Stadt hergestellt, werden die unterschiedlichen Mechanismen und Kräfte, Personen wie auch Diskurse und Vorstellungen, die zwischen 1918 und 1938 zirkulierten, erfahrbar gemacht. Auch über einen historischen Kontext hinaus: „Mit der Bezugnahme auf die Verfassung der demokratischen Republik Österreich möchten wir dem Publikum das motivierende Angebot machen, sich mit den Grundsätzen und Institutionen der Demokratie zu identifizieren“, so GrazMuseum-Direktor Otto Hochreiter, der die Ausstellung gemeinsam mit Martina Zerovnik und Anette Rainer kuratiert hat. Als verfassungspatriotische Ausstellung orientiert sich Im Kartenhaus der Republik so an den universellen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit und stellt damit die Frage nach dem „vom Volk ausgehenden“ Recht, nach der Bedeutung der Gleichheit des „Geschlechts“, des „Standes“ und des „Bekenntnisses“. Und vor allem nach den Gefährdungen dieser Prinzipien in autoritären und totalitären Systemen.

Wahlplakat der grossdeutschten Volkspartei, o. J.
Foto: GrazMuseum

„Im Kartenhaus der Republik. Graz 1918–1938“

Bis 4. Februar 2019 im GrazMuseum, Sackstraße 18, 8010 Graz

www.grazmuseum.at