Start Kunst & Kultur Kulturjahr 2020 fokussiert auf soziales Miteinander und urbanen Wandel

Kulturjahr 2020 fokussiert auf soziales Miteinander und urbanen Wandel

Foto: Fischer

Langsam nimmt das für 2020 geplante Kulturjahr Gestalt an. Nach dem Beschluss des 5-Millionen-Sonderbudgets wurden im August nun auch Programmbeirat und Management bestellt. Ein Gespräch mit dem frischgebackenen Kulturmanager Christian Mayer, der sich als Dramaturg des kulturellen Großereignisses versteht.

Text: Pia Moser / Stefan Zavernik

Sie wurden aus 45 Bewerberinnen und Bewerbern als Projektleiter für das Kulturjahr 2020 gewählt. Mit welcher persönlichen Vision für dieses Jahr haben Sie sich beworben?

Es gibt einige Themen, die mich persönlich interessieren. Was so ein Kulturjahr ausmacht und was es alles bedeuten kann, das werden wir gemeinsam im Programmbeirat reflektieren. Grund für meine Bewerbung war das Interesse an den Wirkmechanismen von Stadtentwicklung, sozialer Perspektive und Kultur. Das „Kulturjahr 2020“ meint einen Kulturbegriff des sozialen Miteinanders und des urbanen Lebens und Wandels. Soziologische Fragestellungen in der Kunst fand ich immer sehr spannend. Ich komme vom Theater und habe das Kunstbetreiben immer als eine Auseinandersetzung mit unserer Lebenswelt begriffen. Mich interessiert dieser Kern eines Miteinanders in der Stadt, der immer auch mit Hierarchien und sozialen Unterschieden zu tun hat. Der Mensch drängt beständig nach Lebensräumen. Aus der Betrachtung ergeben sich bestimmte Grundfragen: Wie sieht unser Leben aus? Welche neuen Herausforderungen kommen auf uns zu? Wie wünschen wir uns unsere Stadt? Warum sollten sich die GrazerInnen „ihre Stadt von morgen“ z. B. nicht mal in künstlerischen Formaten spielerisch selbst erbauen? Mit dem Kulturjahr 2020 will man ja Grundsätzliches, Längerfristiges thematisieren. In Zeiten, wo anderswo Calls eingespart werden, sehe ich es als wichtiges Zeichen, Geld in die Hand zu nehmen und eine Auseinandersetzung mit unseren unmittelbaren Zukunftsfragen zu ermöglichen – über die Strategien und Projekte der Künstlerinnen und Künstler.

Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit mit dem Programmbeirat konkret vor?

Meine Arbeit für das Kulturjahr beginnt am 17. September, ich habe bereits ersten Kontakt mit dem Beirat aufgenommen. Wichtig ist mir der gemeinsame dialogische Austausch über künstlerische Vorstellungen und den Status quo der Fragestellungen auf dem Gebiet Stadtentwicklung durch Kultur. Wir müssen auch erst einmal diese Begrifflichkeit für uns klären. Von der Zusammensetzung des Beirats bin ich sehr begeistert. Es handelt sich dabei nicht um ein Team aus Expertinnen und Experten im klassischen Sinne, das alle Kunstsparten abdeckt. Es sind Personen, die aufgrund ihrer Biografien generalistisch und transdisziplinär denken können. Und für die Programmarbeit am Kulturjahr geht es genau um diesen Draufblick und die Frage nach Zusammenhängen. Meine Funktion sehe ich vor allem als eine moderierende und verknüpfende.

Wie vertraut sind Sie mit der Grazer Kulturlandschaft – auch über Ihre Erfahrungen aus der Theaterarbeit hinaus?

Ich bin seit sieben Jahren in Graz und habe durchgehend in der Kultur gearbeitet, erst im Schauspielhaus, dann an der Kunstuniversität Graz. In beiden Institu­tionen war ich an entsprechenden Schnittstellen zu anderen Disziplinen tätig. Bereits am Schauspielhaus habe ich sehr europäisch gearbeitet und gute Kontakte in andere Kunstsparten sowie die Grazer Freie Szene geknüpft. An der Kunstuniversität sind die Bereiche Wissenschaft und Lehre hinzugekommen. Ich habe dort rund 100 Projekte entwickelt bzw. begleitet und konnte viele neue Kontakte in der Stadtkultur knüpfen. Ein profunder Kenner von allem bin ich selbstverständlich nicht. Und das ist das größte Privileg meiner kommenden Tätigkeit, auf das ich mich sehr freue: Dass ich die Akteurinnen und Akteure der Kunstszene näher kennenlerne und lerne, was den Diskurs über das Leben in dieser Stadt aus künstlerischer Sicht ausmacht. Auch jedes Mitglied des Programmbeirats hat einen spezifischen Graz-Bezug, der uns insgesamt dazu befähigt, diesen konkreten Blick auf die Stadt zu werfen. Das Kulturjahr verfolgt ja keinen Intendanten-geführten Zugang, die Inhalte kommen von den Projekteinreichungen. Aber wir werden nicht zuletzt durch die Formulierung des Calls Impulse mit auf den Weg geben, die zeigen: Um was kann es gehen? Graz hat eine ungeheuer vielseitige, vitale Kunstlandschaft, deren Akteurinnen und Akteure sich teils seit vielen Jahren sehr pointiert mit dem Leben in Graz auseinandersetzen. Unsere Verantwortung liegt in der Einschätzung jeder einzelnen Einreichung entlang der Frage was wäre state-of-the-art des Feldes Kunst/Stadt/Leben: Was kann Graz – und was könnte es noch mehr? Mit dem Know-how und den Biografien des Programmbeirats, in dem ich als achtes Mitglied auch eine Stimme habe, sehe ich uns sehr gut aufgestellt, das zu beurteilen.

Kulturstadtrat Günter Riegler, Christian Mayer, Otto Hochreiter
Foto: Schröck

Das Kulturjahr soll vor allem für die Freie Szene ein wichtiger Impuls sein. Wie kann die Szene nachhaltig davon profitieren?

Der Call richtet sich in erster Linie an alle. Eine in Folge daraus resultierende Stärkung der kulturellen Landschaft der Stadt Graz, wobei Nachhaltigkeit für die Szene ein wichtiger Aspekt ist, wäre doch ein toller Erfolg. Vielleicht werden sich durch das Kulturjahr also neue, fruchtbare Kooperationen oder Räume des Agierens für verschiedene Kunstsparten entwickeln, die bestehen bleiben. Stärkung kann auch entstehen durch eine wachsende Akzeptanz der Bevölkerung und die Einsicht, dass Kunst befähigt, sich über Kultur, also auch die Kultur, die uns ausmacht, zu reflektieren. Die Stärkung einer kulturellen Szene ist, glaube ich, auch eine Stärkung der eigenen kollektiven Kultur. Bezogen auf das Programm im Kulturjahr 2020 bedeutet dies, dass wir nicht an den Menschen vorbei agieren können. Kunst im öffentlichen Raum, Kunstformen der Beteiligung, partizipative Formate würden da naheliegen. Vielleicht gelingt es, dass die Kunst den GrazerInnen eine Stimme verleiht. Ich kenne bereits viele starke Beispiele dazu aus der Freien Szene und vielleicht erlaubt das Kulturjahr 2020 als Plattform, nochmal Grundsätzliches zu denken, auch die Realisierung von weiteren, neuen Modellen, kulturelle Segregation zu überwinden. Das könnte der große nachhaltige Gewinn eines solchen Kulturjahres sein. In der präzisen Vorarbeit, die Otto Hochreiter mit seinem Team geleistet hat, wurden zahlreiche Meinungen in diversen Foren eingeholt. Hier sind bereits viele Impulse gekommen, an denen wir uns orientieren. Ein Ergebnis der Befragungen war auch, dass weniger Interesse an bleibender Infrastruktur und Architektur wie im Jahr 2003 besteht. Das ist ein wichtiges Signal.

Wie soll das Sonderbudget von 5 Millionen konkret eingesetzt werden?

Das wird in den nächsten Wochen im Beirat besprochen. Eine Strukturierung muss es aber bald geben. Was jedenfalls feststeht: Wir wollen im Kulturjahr einer räumlichen Dramaturgie folgen – es soll möglichst in allen 17 Stadtgebieten etwas passieren. In Abwägung der kulturellen Aktivitäten eines Jahres, das in Graz generell sehr dicht ist, ergibt sich auch eine zeitliche Dramaturgie. Der Call soll an alle Kunstsparten hinausgehen. Für die Bewerberinnen und Bewerber ist wichtig, dass das Sonderbudget nicht mit dem Jahresbudget zusammenhängt. Die Künstlerinnen und Künstler können also unabhängig vom Call weiterhin ihre Förderanträge stellen.

Sie sagen, der Call richte sich an alle. Wie will man vermeiden, dass die Freie Szene zwischen den großen Institutionen und Festivals untergeht?

Das Kulturjahr ist ja eine Erstausgabe und Neuland. Gleichzeitig profitieren wir vom enormen Know-how des Kulturamts, mit dem ich in enger Verbindung stehe, und bewährten Fördersystemen. Aber mit genau dieser Frage werden wir uns natürlich auseinandersetzen. Am Ende geht es um ein profiliertes und ausgewogenes Programm mit großen, kleinen Formaten der Freien Szene, Einzelpersonen und Institutionen, auch mit Schwerpunkten und Highlights. Aber wenn man vier Großereignisse hätte mit je einer Million, bräuchte man den Call ja gar nicht erst zu eröffnen. Das ist logisch. Wir werden uns um grundsätzliches Gleichgewicht bemühen und dafür einen inneren Kompass entwickeln.

Sehen Sie das als Herausforderung?

Ich hoffe zuallererst mal, dass viele AkteurInnen mitmachen wollen und fleißig einreichen. Das ist dann schon eine Herausforderung, alles im Blick zu haben. Bereits im Vorfeld wurde das Konzept breit und überparteilich diskutiert. Und auch die Wahl meiner Person wie der Mitglieder des Programmbeirats sind doch ein klares Signal, dass es unvoreingenommen ablaufen soll. Ich bin selbst kein Fördernehmer – nie gewesen. Das gilt auch für die Mitglieder des Beirats. Die Auswahl und Entscheidung des Programmes wird an den konkreten Kriterien hängen, die wir nun formulieren werden. Wie auch bei anderen Förderverfahren werden diese Kriterien von künstlerischer Relevanz bis zur Machbarkeit gehen. Damit ist es auch nicht dieses Signal: „Wir haben 5 Millionen und jeder kriegt davon etwas ab.“ Dafür reicht das Geld gar nicht.

Sie stehen vor einem straffen Zeitplan. Wie will man sicherstellen, dass den Bewerberinnen und Bewerbern genügend Zeit für die Bewerbung und die Konzeption der Projekte bleibt?

Der Call soll im November veröffentlicht werden und mindestens zwei Monate stehen. Die Informationsvergabe hat ja bereits recht früh eingesetzt, wodurch das Thema schon seit Längerem im Land ist. Aus Gesprächen weiß ich, dass sich das Kulturjahr längst herumgesprochen hat. Ich lade herzlich ein, sich schon Projektgedanken zu machen. Wir legen jedenfalls weiterhin großen Wert darauf, gut zu kommunizieren und den Call lange offenzuhalten. Die Zeit über den Jahreswechsel ist gut gewählt, da sich die Künstlerinnen und Künstler zu diesem Zeitpunkt mit den Jahresförderungen befassen. Schwieriger wird es vielleicht für jene, die längerfristig programmieren müssen. Es wird aber nicht jedes Projekt gleich im Jänner 2020 starten und bis dahin ist ja schön Zeit.

Gibt es Auflagen zur Herkunft bzw. zum Wohnsitz der Bewerberinnen und Bewerber?

Nein. Das klare Thema der Projekte ist der Bezug zur Stadt Graz. Die Verantwortung des Beirats liegt auch in der Prüfung dessen. Wir freuen uns also auch auf internationale Bewerbungen mit Graz-Bezug.

Vom Kulturjahr erwartet man sich Ideen, Inspirationen und Gedanken zum Thema Stadtentwicklung. Was wünschen Sie sich von Graz?

Dass es offen bleibt für die Begegnungen untereinander. Der Druck unter kapitalistischen Veränderungen – Gentrifizierung etc., aber auch die Chancen wie beim Neuentstehen ganzer Stadtviertel – ist in Graz naturgemäß präsent, weil es eine Stadt des ständigen Zuwachses ist. Graz ist eine sehr lebenswerte Stadt. Dafür muss man etwas tun und über viele Themen reden. Auch darüber, wie wir miteinander umgehen wollen. Es gibt bereits viele Akteurinnen und Akteure in der Kunstszene, die seit Jahren sehr hart dafür arbeiten. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass hier sehr gute Ideen kommen werden.

 

Christian Mayer studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Soziologie in Mannheim und Mainz. In seiner Heimatstadt Ludwigshafen/Rhein war er Mitbegründer einer freien Theatergruppe und Veranstalter des Festivals Fou de LUxe. Er arbeitete als Regieassistent und Dramaturg an wechselnden Häusern in Deutschland und Österreich. In Mayers Zeit am Schauspielhaus Graz lag ein Schwerpunkt seiner Arbeit in der internationalen Zusammenarbeit und Stückentwicklung. Als Projektleiter der Kunstuniversität Graz entwickelte und leitete er Aktionen, Veranstaltungen und Kooperationen an der Schnittstelle von Kunst, Lehre und Wissenschaft insbesondere zu Fragen künftiger gesellschaftlicher Entwicklungen. Christian Mayer ist freischaffender Dramaturg im Bereich Schauspiel und Oper, zertifizierter Kulturmanager und nebenberuflicher Dozent für Dramaturgie und Theatervermittlung an der Karl-Franzens-Universität Graz.

 

Der Programmbeirat für das Kulturjahr 2020

Prof. Mark Blaschitz

Professor für Wohnbau, Grundlagen und Entwerfen in der Fachgruppe Architektur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart; Mitbegründer des Grazer KünstlerInnen-Kollektivs „SPLITTERWERK“.

Annette Knoch

Leiterin Literaturverlag Droschl

DI Günter Koberg

Leiter der Baukultur Land Steiermark

Mag. Monika Pessler, MSC

Direktorin Sigmund Freud Museum

Mag. Bettina Steindl

Projektleiterin „Kultur Perspektiven 2024“

DDr. Christoph Thun-Hohenstein

Generaldirektor MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst Wien und Leiter der VIENNA BIENNALE

Darrel Toulon

Ex-Ballettdirektor der Oper Graz; freischaffender Choreograph, Regisseur und Dozent