Start Kunst & Kultur Festival La Strada Graz: Die Kunst der Gemeinschaft

Festival La Strada Graz: Die Kunst der Gemeinschaft

Liquid Loft, "Foreign Tongues" Foto: Michael Loizenbauer

Von bunten Vögeln, papierenen Helden, großen Ensembles, leidenschaftlichen (Fußball-)Matches und einem Creation Center als kreativem Herzstück in Reininghaus.

Text: Natalie Resch

Hat Sie schon einmal eine Sache so richtig ins Herz getroffen? Sodass es zu singen beginnt, die Augen zu strahlen, die Ohren hellhörig werden und Ihre Füße einfach nicht stillhalten, weil sie tanzen wollen. Ob es wohl auch anderen Festivalgästen während La Strada so geht? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, wenn diese in der Wienerstraße im Hof der Wohnsiedlung Hirtenkloster stehen und auf den Balkonen immer wieder einzelne Musiker entdecken. Das ungewöhnliche Arrangement der Klänge des Philharmonischen Orchesters Graz verdanken wir dem französischen Komponisten und Klangkünstler Pierre Sauvageot. „It’s an impor­tant contemporary challenge, how inha­bitants and public are involved. Not only spectators, but part of the creation. Context, sounds, noises, testimonies, architecture, musicians are specific, this Grand Ensemble will be unique. I wait for it greedily”, so der Komponist zu seiner Produktion Grand ­Ensemble.

Pierre Sauvageot, Lieux Publics & Cie (FR), „Grand Ensemble“
Foto: Philippe Deutsch

Schon der doppeldeutige Titel verweist als „großes Orchester“ und „große Wohnsiedlung“ auf die Verschmelzung der Musik klassischer Instrumente mit den Geräuschen, Klängen und Konversationen der Menschen in den Gebäuden. „Die Proben in Graz laufen bereits. Sauvageot und das Orchester sind in intensivem Austausch und stellen sich gemeinsam der Herausforderung. Dabei geht es nicht nur um die anspruchsvolle Komposition, sondern um die Musiker, die ohne Dirigent und nicht nebeneinander spielen werden.” Über die Wohnsiedlung verteilt, werden sowohl Künstler als auch Publikum ein neues Sich-Einlassen auf das Nicht-Sichtbare erfahren. ­Koproduktionen zwischen heimischer und internationaler Kunstszene, die engere Vernetzung über Landes- und Kontinentgrenzen hinweg – das fordert und fördert Werner ­Schrempf im Kontext des internationalen Netzwerkes IN SITU und es bildet sich auch stark in der Programmierung ab. 12 der insgesamt 27 Produktionen, die das Publikum von 27. Juli bis 4. August erleben kann, sind Koproduktionen; sechs davon sogar aus der Feder Grazer Kunstschaffender wie dem Kunstlabor Graz, dem Mezzanin Thea­ter, aXe Graz, Samson Ogiamien, Steinbauer & Dobrowsky mit Eddie Luis und Veronika Tzekova.

Liquid Loft (AT) / Produktion: „Foreign“
Foto: Chris Haring

 

Internationale Netzwerke regional verortet – das Creation Center Graz

Viel Wasser ist die Mur hinuntergeflossen, seit den ersten Plänen für das Stadt­entwicklungsprojekt Graz Reininghaus. Passiert ist wenig. Das soll sich nun ändern, wenn auch nur schrittweise. „Als neuer Eigentümer der Tennenmälzerei hat die ENW Interesse daran signalisiert, hier ein Kulturzentrum zu entwickeln“, freut sich Intendant Werner Schrempf. Schließlich hat er die Idee des Creation Centers Graz über viele Jahre unermüdlich und visionär am Leben erhalten. 2006 hat er mit La Strada bereits die Reininghausgründe mit der Produktion „PlayRec“ der französischen Compagnie KompleXKapharnaüM bespielt, einer Dokumentation der Andenken an Graz Reininghaus.  Damals gab es zwar noch keine konkrete Vorstellung für den neuen Stadtteil, der in Zukunft bis zu 12.000 Menschen beheimaten soll; das Potenzial dieses Ortes aber war bereits deutlich spürbar. Seine Vision eines internationalen Creation Centers in Graz in der historischen Tennenmälzerei: „Das Konzept ist integrativer Bestandteil eines Kulturzentrums auf drei Ebenen: ein Ort der Begegnung, Entwicklung und Kreation, des Austausches zwischen internationalen Künstlern, heimischer Szene und Bewohnern.“ Solch ein Creation Center ist in anderen Ländern wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden, aber auch Kanada längst State of the Art. Dort sei ein Kreationsprozess auf hohem Niveau in Gange, der richtungsweisend für Themen der Zukunft sei, wobei sensibel mit Zielvorgaben umgegangen und Mut zur Risikobereitschaft gemacht werde, unbeliebte Themen anzusprechen und innovativ umzusetzen. In Graz Reininghaus ist La Strada seit 2016 durchgehend mit der interaktiven Klang­installation zur Geschichte und Zukunft des Ortes namens Walk With Me von ­Strijbos & Van Rijswijk verortet. Im Rahmen des diesjährigen Programms ­loten kleine, mechanische Spechte den Raum aus. Sie nehmen elektromagnetische Strah­lungen ihrer urbanen Umgebung auf und geben diese durch Klopfen mit ihren Schnäbeln wieder. Eine Performance an der Schnittstelle von klingender und bildender Kunst, inszeniert von Marco Barotti.

Compagnie Baro d’evel (FR/ES), „Bestias“
Foto: Frédéric Jean

Leidenschaft, Leichtigkeit & Tiefgang

Lebensfreude – die fehlt während La Strada gewiss nicht. Sie ist spürbar, wenn bei Open Dance Tanzbegeisterte die Kaiserfeldgasse zum Vibrieren bringen – in diesem Jahr unter anderem zu Jazz-, House- und Tango-Klängen von Trio Infernal und Paula Barenbuem. Oder wenn die Compagnie La Belle Image ihr Musiktheater mit südamerikanischem Einschlag namens Después auf die Straßen zaubert. Leichtigkeit hat im Festival genauso viel Platz wie eine tiefsinnige Auseinandersetzung mit Themen der Zeit. Mit den Mitteln des Neuen Zirkus zeigt die La-Strada-Koproduktion Bestias der Compagnie Baro d’evel ein kunstvolles Zusammenspiel zwischen Mensch und Tier als Metapher von Unvollkommenheit, Hingabe und Gleichgewicht. „Der zeitgenössische Zirkus ist die Wegkreuzung aller Sprachen, in deren Zentrum die Hingabe zum Körper steht”, so Camille Decourtye von Baro d‘evel. Mit der Produktion Foreign Tongues rückt die renommierte österreichische Compagnie Liquid Loft den Akt des Sprechens in den Mittelpunkt einer Choreografie im urbanen Raum und reflektiert dessen Vielstimmigkeit und Vielsprachigkeit. Der Sound der Städte wird zur „spoken word symphony“, die sich mit jedem neuen Ort erweitert. Durch die tänzerische Interpretation lassen sich die Sprachaufnahmen aus verschiedenen Regionen Europas – auch die Steiermark ist vertreten – wie eine Partitur unter freiem Himmel lesen. Am meisten hat Chris Haring, den Leiter der Compagnie, beeindruckt, „wie sehr Körpersprache und gesprochene Sprache zusammenhängen und wie sehr es irritieren kann, wenn auch nur eine davon zur Fremdsprache wird, dieses Fremde sich in Folge aber als erstaunliche Bereicherung erweist.”

Improbable (GB), „The Paper Man“
Foto: Camilla Greenwel

Das Land-Art Projekt FOOOOTBALLLL der bulgarischen Künstlerin Veronika Tzekova beschäftigt sich mit der Positionierung unterschiedlicher Personengruppen in der Gesellschaft. Durch die spezielle Anordnung der Spielfelder und die Erhöhung der Teams, die gleichzeitig spielen, werden neue Bereiche des Wettbewerbs provoziert. Themen von Brisanz wie der wiederkehrende Faschismus: Damit setzt sich berührend das Stück The Paper Man von Improbable auseinander. Was geschah wirklich mit dem österreichischen Fußballhelden Matthias Sindelar, der dem Nazi-Regime im Anschlussspiel von 1938 die Stirn bot? Welche Helden braucht es heute?

Veronika Tzekova, „FOOOOTBALLLL“

Der Tag nach La Strada

… ist der Tag davor. Nur dass sich das Davor – der Zeitpunkt, eine Produktion zu planen – auf 2 bis 3 Jahre vorverlegt habe, so Schrempf. „Ich habe jetzt schon 1-2 Produktionen für 2020 im Kopf.“ An dieser Stelle sei schon verraten, dass sich die prämierte kanadische Gruppe The 7 Fingers (La-Strada-Eröffnung 2012, 2013 und 2015) mit dem österreichischen Autor Stefan Zweig (1881–1942) auseinandersetzt. Sein Leben und Werk sind Grundlage für die Entwicklung der für 2020 als Uraufführung geplanten La-Strada-Koproduktion. „Es geht um das Erfassen seines Wesens, seiner Leidenschaft, seines Gespürs für die Tiefe der menschlichen Seele und um die Umstände, unter denen er leben musste. Als Immigrant, der seinen Kulturraum 1934 verlassen musste und, in der neuen Heimat gefeiert, dem Untergang seines Landes zusehen musste“, erzählt Schrempf vom herausfordernden Zugang. Zweig sei für ihn einer jener Künstler, der immer an die Grenzen seiner selbst und die der Gesellschaft gestoßen und geblendet von glorreichen Zeiten in ein tiefes Loch gefallen sei. Dort müsse man genauer hinschauen.

Familie Flöz (DE) / Produktion: „Dr Nes“

 

Programmtipps

 

Improbable (GB): The Paper Man

Die Geschichte der österreichischen Fußball-Legende Matthias Sindelar, Helden und Faschismus

Orpheum Graz: 1.8., 2.8., 19.30 Uhr, in englischer Sprache, 85‘ (ohne Pause), empfohlen ab 14 Jahren

 

Compagnie Baro d‘evel (FR): Bestias

Eine surreale, poesievolle Reise ins Ungewisse, eine Geschichte von Mensch und Tier

Zelt im Augarten: 29.7., 30.7., 1.8., 2.8., 4.8., 5.8., 20 Uhr, 100‘ (inkl. Einlass) Empfohlen ab 7 Jahren

 

Liquid Loft (AT): Foreign Tongues

Eine vielstimmige Choreographie im urbanen Raum

Burghöfe (Hofgasse 15): 29.7., 30.7.,
19 & 21 Uhr, 75‘, empfohlen ab 12 Jahren

 

Pierre Sauvageot / Lieux Publics & Cie (FR/AT): Grand Ensemble

Orchester-Klänge inmitten der Wohnsiedlung Hirtenkloster. Ein einzigartiges
Projekt

3.8., 4.8., 20 Uhr, 43‘, für die ganze Familie

 

Veronika Tzekova (BG/AT): FOOOOTBALLLL

Wenn in der Gruabn vier Teams aus Politik, Kunst, Medien und Migration sich zugleich auf einem Feld matchen, dann wird das (Fußball-)Spiel zur Metapher für das Leben.

Gruabn (Kastellfeldgasse): 2.8., 20 Uhr, 60‘, für die ganze Familie

 

aXe Graz (AT): Seppi. Das Kind, das nicht aufhörte zu wachsen
Eine Oper mitten im Herz einer Wohnsiedlung. Ein interaktives Straßenkunstwerk

Theodor-Körner-Str. 113 – 115: 28.7., 29.7., 21 Uhr, Einlass ab 20.30 Uhr, 50‘, empfohlen ab 10 Jahren

 

Spezieller Tipp: Die App für „Walk with me“ ist kostenlos im App Store für iOs downloadbar.

 

La Strada Graz: 27. Juli – 4. August 2018

Infos und Karten: Tel. 0316 269 789

www.lastrada.at

Jan Martens (BE), „Sweat Ba“