Start Kunst & Kultur Oper Graz zeigt „Ariane et Barbe-Bleu“: Blick in menschliche Abgründe

Oper Graz zeigt „Ariane et Barbe-Bleu“: Blick in menschliche Abgründe

Manuela Uhl als Ariane in Blaubarts Schloss. Foto: Werner Kmetitsch

Als Ariane die Tür zu einer verbotenen Kammer öffnet, macht sie eine grausame Entdeckung. Im Interview mit „Achtzig“ spricht Regisseurin Nadja Loschky über verbotene Neugierde, verdrängte Bewusstseins­inhalte und die Gemeinsamkeiten von Opernregie und psychologischer Arbeit.

Das Volksmärchen „Blaubart“ erzählt von Gefangenschaft und Befreiung. Ariane ist die einzige von sechs Frauen, die sich aus der Macht des Frauenmörders befreien kann. In der Psychologie kennt man dafür den Begriff des Stockholm-Syndroms. Emotionale Abhängigkeit aus Angst vor Veränderung kennt man auch aus dem realen Leben. Ist die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen zentrales Motiv der Oper?

Ich würde das etwas anders beschreiben: Es ging uns darum, den Blaubart aus dem geheimnisvollen Schatten herauszuholen und in seiner mächtigen Präsenz zu zeigen. Diese Präsenz hat nicht nur mit Gewalt zu tun. Er ist auch ein großer Verführer, das macht seine Gefährlichkeit aus. Im ersten Teil des Abends werden einzelne Fragmente seiner Begegnungen mit Ariane wieder aufgerufen, die zwischen Anziehung und Abstoßung changieren. Ariane ist fasziniert von dieser Gestalt, und gleichzeitig flößt er ihr Angst ein. Die von Ariane als „Schwestern“ bezeichneten Frauen fungieren hier wie Wiedergängerinnen oder Abspaltungen von Ariane, die verschiedene Facetten ihrer selbst verkörpern. Mit diesen anderen Ichs tritt Ariane nach und nach in Kontakt, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten und sich von dem übermächtigen Blaubart zu befreien.

Nadja Loschky

Überwiegen in Ihrer Inszenierung die märchenhaften Elemente oder nehmen Sie auch Bezug auf die Gegenwart?

Ich möchte in diesem Fall gar nicht unterscheiden zwischen dem Märchenhaften und dem Gegenwärtigen. In der Figur der Ariane fließen viele Motive zusammen, die sich aus dem Mythos und dem Märchen speisen, aber natürlich einen Ausdruck finden in der Gegenwart. Das scheint mir sehr wichtig zu sein, denn unsere Zeit ist eine gewachsene, und alle großen Stoffe, mit denen wir uns in der Oper beschäftigen, haben ihre Wurzeln in einer tieferen Vergangenheit, die weit in archaische Motive hineinragt. Davon sind auch alle unsere Märchen geprägt, denen wir schon als Kinder begegnet sind, und nicht umsonst heißt ja ein Kinderspiel „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“.

Welche Ideen stehen hinter dem Bühnenbild der Inszenierung?

In der Vorbereitung haben wir uns gefragt, welche Gestalt die Welt haben könnte, in der sich Ariane mit dem Blaubart bewegt. Gemeinsam mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Katrin Lea Tag kamen wir relativ schnell zur Welt als Bühne oder zur Bühne als Welt, auf der immer nur einzelne Fragmente die Realität skizzieren sollten. Jede konkret-realistische Ausformulierung des Stoffes schien uns zu eng, um dem Stoff und auch dem musikalischen Kosmos gerecht zu werden. Das Theater der Ariane findet ja gewissermaßen auf einer inneren Bühne statt, hier trifft sie noch einmal auf die Schatten- und Angstgestalten ihrer eigenen Phantasie.

Wilfried Zelinka als Barbe-Bleue, Iris Vermillon als Amme und Manuela Uhl als Ariane.
Foto: Werner Kmetitsch

In einem Interview sagten Sie einmal „Als Regisseur ist man die ganze Zeit über wie ein Archäologe dabei, eine Schicht nach der anderen freizulegen.“ Sie selbst beschäftigen sich schon seit Jahren mit den Lehren Sigmund Freuds. Ist der Beruf einer Regisseurin jenem einer Psychologin in mancherlei Hinsicht recht ähnlich?

Ja, das könnte man so sehen. Das würde ich zunächst einmal auf meine konkrete Arbeit an den Figuren gemeinsam mit den Sängern und Sängerinnen beziehen. Hier geht es mir immer darum, so komplex und vielschichtig wie möglich Portraits von Menschen zu entwerfen. Und – ähnlich vielleicht einem Psychologen – keine Urteile zu fällen, sondern zu studieren, zu analysieren und mikroskopisch genau zu beobachten. Erst daraus entsteht das Bild eines vollständigen Menschen, der immer auch Widersprüche und Dunkelzonen in sich trägt.

Maurice Maeterlinck, einer der führenden Köpfe der französischen Symbolisten, schrieb das Libretto zu Ariane et Barbe-Bleue. Der Symbolismus enthält viele Metaphern und Symbole. Wie übersetzte Paul Dukas die „Rätselhaftigkeit“ dieser literarischen Richtung in die Ton­sprache seiner Oper?

Dukas war fasziniert von Maeterlincks Text, der von Beginn an als ein Opern­libretto konzipiert war, und er hat in seiner Komposition einen musikalischen Kosmos geschaffen, der auf Leitmotiven, einer Fülle von verschiedenen Klangwelten und harmonischen Farbskalen basiert und so eine musikalische Sprache entstehen lässt, die auf ideale Weise mit der symbolischen Größe von Maeterlincks Text korrespondiert.

Im Frühjahr 2009 legten Sie mit der Inszenierung von Monteverdis letzter Oper „L‘incoronazione di Poppea“ Ihre praktische Diplomprüfung ab. Zu Ihren Lieblingskomponisten zählen Verdi und Puccini. Inwiefern unterscheidet sich die französische von der italienischen Oper?

Das kann ich in wenigen Sätzen gar nicht beantworten. Unabhängig von Gattung und Sprache kann ich aber sagen, dass jedes Werk meiner Meinung nach eine ganz spezifische Herangehensweise und Lesart erfordert.

Ariane et Barbe-Bleue von Paul Dukas: Oper in drei Akten, Libretto von Maurice Maeterlinck, in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Termine: Mittwoch, 21. März, Freitag, 6. April sowie Freitag, 13. April um 19.30 Uhr. Letzte Vorstellung: Sonntag, 22. April, 15 Uhr

Kostenlose Stückeinführung jeweils 30 ­Minuten vor Beginn im Galeriefoyer