Start Kunst & Kultur Widerstand aus Buchstaben und Papier: Die 150. Ausgabe der LICHTUNGEN

Widerstand aus Buchstaben und Papier: Die 150. Ausgabe der LICHTUNGEN

Andrea Stift-Laube

Am 7. Juni feierten die LICHTUNGEN im Literaturhaus Graz ihre 150. Ausgabe. Bei der Präsentation des Heftes blickte die Zeitschrift für ­Literatur, Kunst und Zeitkritik auf fast vierzig bewegte Jahre zurück. Mit namhaften Gästen wurde über den Stellenwert der Literatur in ­digitalen Zeiten diskutiert.

In der Straßenbahn greifen wir lieber zum Smartphone, als durch ein Buch zu blättern. Das Schreiben eines Gedichtes kostet viel Zeit, während sich Twittermeldungen in Sekundenschnelle um die Welt schicken lassen. Zweifellos hat das Internet unser Lesen verändert und wird es auch zukünftig tun. Kann eine Literaturzeitschrift im digitalen Zeitalter noch bestehen? Anlässlich ihrer 150. Ausgabe gingen die LICHTUNGEN auf Antwortsuche. Am Abend des 7. Juni wurde die Jubiläumsausgabe mit einer Veranstaltung im Literaturhaus gebührend gefeiert. Zur Eröffnung gab das Herausgeberteam, bestehend aus Markus Jaroschka, Helwig Brunner, Georg Petz, Andrea Stift-Laube und Astrid Kury, Einblicke in die Geschichte der Zeitschrift sowie Ausblicke in deren Zukunft. Vom Bürgermeister bis zum Kulturstadtrat kamen auch namhafte Vertreter aus der Politik zu Wort. Anschließend wurden literarische Beiträge aus den von der Wirtschaftskrise betroffenen Ländern Spanien, Portugal und Italien verlesen. Bei der Podiumsdiskussion stand schließlich die Rolle der Literatur angesichts der Digitalisierung unserer Gesellschaft zur Debatte. „Immer wieder wird Literaturzeitschriften das Ende vorhergesagt“, schreibt Valerie Fritsch im aktuellen Heft. Die LICHTUNGEN sind für sie Widerstand aus Buchstaben und Papier. Junge Autoren brauchen einen Ort, um entdeckt zu werden, und auch der Leser würde von einem guten Überblick profitieren: „Man entdeckt immer Neues und alte Bekannte. Namen, von denen man hofft, noch viel zu hören.“ Neue Namen gehen niemals aus

Die Förderung des literarischen Nachwuchses stellt auch eine der wichtigsten Aufgaben der LICHTUNGEN dar. Seit 1996 gibt es in jeder Ausgabe eine Rubrik der „Neuen Namen“. Rund 80 % der neuen literarischen Szene in der Steiermark wurde in den letzten 15 Jahren durch die LICHTUNGEN aufgebaut. Wie Thomas Glavinic, Robert Wolf, Clemens Setz und etliche andere namhafte Autoren hatte auch Fritsch ihr Debüt in den LICHTUNGEN. Setz führt sein Autorendasein gar auf die Existenz der LICHTUNGEN zurück. „Hätte es keine Literaturzeitschrift gegeben, hätte ich nicht gewusst, wem ich die Texte zeigen soll. Und hätte vermutlich irgendwann aufgehört, an Veröffentlichungen zu denken.“ Die Erfahrung des Akzeptiert-Werdens durch eine Institution sei eben nicht einfach so ersetzbar.

Clemens Setz: „Hätte es keine Literaturzeitschrift gegeben, hätte ich nicht gewusst, wem ich die Texte zeigen soll. Und hätte vermutlich irgendwann aufgehört, an Veröffentlichungen zu denken.“
Foto: Bibi Stift

Internationale Schwerpunkte  

Ein weiteres Anliegen der LICHTUNGEN ist die Präsentation von Literatur aus mehrsprachigen Sprach- und Kulturräumen. Zwei große Projekte ermöglichten den Aufbau eines internationalen Literaturnetzes. Das Projekt „transLOKAL“ verknüpfte 25 europäische Städte miteinander, indem verschiedene Regionen in ihrer literarischen Eigenart und Vielfalt vorgestellt wurden. Dazu kamen Autoren aus aller Welt nach Graz und die LICHTUNGEN machten sich selbst auf eine Städtereise – von Amsterdam bis nach Zagreb. Bei ­„Poetik der Grenze“ kamen unter der Ägide des damaligen Stadtschreibers Dževad Karahasan und von Markus Jaroschka im Rahmen von „Graz 2003“ AutorInnen aus ganz Europa (u. a. Herta Müller) für 4 Wochen nach Graz, um über das Thema „Grenze“ zu schreiben. „Kunst und Kultur sind die einzigen geistigen Mittel gegen Inhumanität. Auch und vor allem die Literatur kann ein sehr wichtiges Mittel für Weltöffnung sein“, erklärt Herausgeber Markus Jaroschka die Wichtigkeit der internationalen Orientierung.

Die Leitung der Zeitschrift obliegt seit 1990 Markus Jaroschka.
Foto: Andrea Stift-Laube

Bildende Kunst

Abgesehen von literarischen Beiträgen streben die LICHTUNGEN Übersetzungsversuche zwischen Literatur und bildender Kunst an. Ein eigener Kunstteil innerhalb der Zeitschrift bietet jungen Künstlern eine erste Plattform für ihre Arbeiten. ­Astrid Kury von der Akademie Graz ist als Kuratorin für den Kunst-Literatur-Dialog verantwortlich.

38 Jahre bewegte Geschichte

Die Leitung der Zeitschrift obliegt seit 1990 Markus Jaroschka. Vier Meter zeitgenössische Literatur, nebeneinander aufgereiht, sind bis heute entstanden. Geboren wurden die LICHTUNGEN jedoch schon etwas früher. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges standen Österreichs Literaten vor einem Trümmerhaufen; der Steirische Schriftstellerbund war die einzig relevante Autorenvereinigung hierzulande. Im Jahr 1974 hatte Otto Eggenreich, damaliger Geschäftsführer, die Idee für eine vereins­übergreifende Literaturzeitschrift. 1981 stieß Markus Jaroschka hinzu und wurde nach Auflösung des Schriftstellerbundes alleiniger Herausgeber. Unter seinem Einfluss wurden die LICHTUNGEN zu einer weltoffenen Literatur- und Kunstzeitschrift. Der Lyriker ist überzeugt davon, dass Literatur etwas bewirken kann: „Eine Literaturzeitschrift vermag vielleicht ein wenig dazu beitragen, mit geschärftem Sinn das Wissen um eine humanere Welt weiterzutragen.“

Volles Literaturhaus bei der Präsentation der 150. Ausgabe der LICHTUNGEN.
Foto: Literaturhaus Graz

Literatur zur Debatte

Interessante Erkenntnisse kamen bei der Podiumsdiskussion zutage. Dass die Literatur in der Krise ist, sei auch ein Ergebnis unserer Gesprächskultur, stellte der bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan fest. Denn der Leser sei nicht nur als Konsument, sondern auch als Gesprächspartner wahrzunehmen. Klaus Kastberger, Leiter des Franz-­Nabl-Instituts für Literaturforschung, warnte davor, neue Möglichkeiten durch eine Nostalgie des Gewesenen zu übersehen. Für die Schweizer Autorin Ilma Rakusa stellt Lesen ein Gegenprogramm zur Simplifizierung dar. Gerade in Zeiten medialer Überforderung würde es unsere Wahrnehmung stärken. Andrea Schurian, Standard-Journalistin, empfindet Lesen als etwas Magisches. „Zwischen den beiden Buchdeckeln sind Leser und Autor alleine. Diesen Moment würde es im Internet nie geben“, erklärte sie. Clemens Setz hingegen meinte, dass es solche erleuchtenden Momente weiterhin geben werde. „Wenn man die Literatur nicht ernst nimmt, gehen gesellschaftspolitische Themen unter.“ Mit diesen Statements ging ein erkenntnisreicher Abend zu Ende.

Ninja Reichert

Die Jubiläumsausgabe der LICHTUNGEN ist im gut sortierten Buchhandel oder über die Homepage www.LICHTUNGEN.at erhältlich.