Start Kunst & Kultur KUG: Ein erträumter Klangwunsch wird Wirklichkeit

KUG: Ein erträumter Klangwunsch wird Wirklichkeit

Für Johann Sebastian Bach war Dieterich Buxtehude das musikalische Vorbild schlechthin. Dieser legte ganze 400 Kilometer von Arnstadt nach Lübeck zu Fuß zurück, um das Genie an der Orgel zu erleben. Das Institut für Kirchenmusik und Orgel der Kunstuni Graz begeht sein traditionelles Adventkonzert Ende November mit Stücken des legendären Barockmusikers. Und zwar in Kombination mit Chorwerken von Heinrich Schütz. Im Vorfeld dieses einzigartigen Konzertereignisses traf „Achtzig“ Institutsvorstand Gunther Rost und den Dirigenten des Grazer Domchors Josef Döller. Ein Gespräch über die instrumentale Seele der Kirchenmusik und die Emanzipation der Orgel.

Der 29. November ist für Freunde der Kirchenmusik bereits rot im Kalender eingetragen. Ihr Institut spielt das traditionelle Adventkonzert. Was stand bei der Programmierung eigentlich im Vordergrund: religiöse Themen oder die musikalische Herausforderung?

Rost: Es war nicht primär der Wunsch ein klassisch evangelisches Vorweihnachtskonzert zu setzen, da wir ja ohnehin überkonfessionell sind, was die Programmatik der letzten Jahre betrifft. Für mich steht hinter dem Konzert mehr ein lange erträumter Klangwunsch: Diese beiden eher nordischen Komponisten Schütz und Buxtehude, mit ihren noch herben, barocken Werken, einmal zusammenzubringen. Ich bin davon überzeugt, dass die Musik der beiden sehr gut zusammenpasst – sie war für die nächsten Jahrhunderte ja auch prägend.

Döller: In der Vergangenheit hatten wir schon ganz große Orgelsymphonien zu diesem Anlass gespielt. Heuer sind wir mit sparsameren Mitteln unterwegs und präsentieren alleine Orgel und Chor. Es wird eine ganz besondere Stimmung werden, die ihre Faszination auch ohne religiösen Hintergrund ausstrahlen kann.

Josef Döller und Gunther Rost
Josef Döller und Gunther Rost

Somit wird es auch ein Abend für Musikliebhaber ohne religiösen Zugang?

Döller: Auch wenn die Texte der Chorwerke religiös sind, können sie Hörern, denen der religiöse Zugang fehlt, nahegehen. Vielfach geht es z.B. in Psalmtexten um psychologische Fragen, die den Menschen im Innersten betreffen. Es gibt Psalmen-Texte, die einem Menschen fast so viel helfen können, wie eine Sitzung beim Arzt. Es gibt Menschen, die mit dem Wiederholen bestimmter Texte eine Art Selbstheilung finden. Man wird bei unserem Konzert wunderbare Texte hören, die großartig in Musik umgesetzt sind.

Die Thematik des heurigen Adventkonzerts hat evangelischen Charakter. Bewusst als solche gewählt?

Döller: Nein. Gerade die Musik eignet sich nicht für eine Trennung zwischen evangelischer und katholischer Anschauung. Aus diesem Grund umfasst unser Institut auch beide Konfessionen. Die Orgelliteratur und Vokalliteratur haben in beiden ihre Gültigkeit. Das Ideologische war nicht ausschlaggebend für die Programmwahl.

„Heute finden die großen Orgelkonzerte in Konzertsälen und nicht in Kirchen statt.“ Josef Döller
„Heute finden die großen Orgelkonzerte in Konzertsälen und nicht in Kirchen statt.“
Josef Döller

Wohl kaum ein zweites Instrument ist so wie die Orgel dermaßen eng mit dem Begriff der Kirchenmusik verbunden. Wie sieht die Gegenwart aus? Findet die Orgel auch außerhalb eines religiösen Umfelds Platz? Sie ist doch auch für sich ein faszinierendes Instrument.

Döller: Zweifellos blickt die Orgel auf eine mehrere Jahrhunderte lange Tradition in der Kirchenmusik zurück. Dennoch emanzipiert sie sich heute auch immer mehr als eigenständiges Instrument. Heute finden die großen Orgelkonzerte in Konzertsälen und nicht in Kirchen statt. Die großen Werke für Orchester und Orgel werden nicht in der Messe gespielt. Für den Gottesdienst und das Sakralkonzert gibt es ein großes Repertoire an Orgelmusik, das auf dem Boden und aus dem Bedarf der gottesdienstlichen Praxis entstanden ist und zum Besten gehört, was es auf diesem Gebiet gibt. Bach etwa ist nicht nur Musiker , sondern auch predigender Theologe

Rost: Für mich befindet sich die Orgel in einem Emanzipierungsprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Dies gilt sicher auch noch für die nächsten Jahrzehnte. Aber genau das macht die Sache spannend, auch brisant, und es stellen sich grundlegende Fragen. Ich denke in diesem Zusammenhang: Glaubt man Kirchenmusik oder religiöse Musik als Sonderform oder Gegenpol zu Musik, kommt man mehr oder weniger ins Abseits. Was religiöse Musik von angeblich religiös ungebundener Musik unterscheidet, das ist eine bisher noch kaum geklärte Frage, der sich die Musikwelt noch zu stellen hat. Es ist eine große Chance, sich damit auseinandersetzen. Wichtig ist mir, das eine nicht gegen das andere auszuspielen, wir wissen ja eben noch nicht, was das eine und das andere genau ist und was es, falls überhaupt, tatsächlich unterscheidet.

20141130-DSC_9533_Foto_KUG_Wenzel (Medium)Inwieweit verändert sich das Orgelspiel im Laufe der von Ihnen angesprochenen Emanzipation?

Rost: Solange man die Orgel als Begleiterin einer Liturgie versteht, ist das Instrument dieser natürlich unterworfen. Wenn man sie aber auf die Bühne stellt, muss man auf andere Gestaltungsmittel zurückgreifen, wenn man nicht blass wirken will. Denken wir an Folgendes: Wenn Sie eine Lesung in der Kirche rezitieren, mit einem über Jahre erworbenen Verständnis für den Kultus, dann ist dies eine Disziplin. Wenn Sie denselben Text auf der Theaterbühne lesen, dort die alleinige Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen, dann muss der Text auf eine andere Weise vorgetragen werden, es handelt sich also um eine andere Disziplin. In diesem Prozess befindet sich die Orgel.

Wer studiert heute Orgel? Sind die Studierenden aus dem theologischen Umfeld? Sind sie religiös?

Döller: Nein. Es ist eher selten, dass jemand neben dem Musikstudium auch noch ein theologisches Studium betreibt. Unsere Studenten haben einfach Interesse daran Kirchenmusik, Orgelspiel und Chorarbeit miteinander zu verbinden. Einige setzen ihren Schwerpunkt auf den Chor, andere vertiefen sich in das Orgelspiel. Aber ehrlich gesagt, fragen wir nicht nach, wie religiöse jemand ist, der bei uns studieren möchte. Die Faszination für die Musik und ihre Interpretation stehen im Vordergrund, natürlich setzt man sich auch intensiv mit dem spirituellen Hintergrund auseinander.

Wie sieht die Schwerpunktsetzung im Institut aus? Setzen die Studierenden auf Kirchenmusik oder Orgel?

Rost: Das ist sehr schwer zu sagen. Wir haben in etwa ein Drittel KirchenmusikerInnen und zwei Drittel Konzertfach- und Instrumentalpädagogikstudierende.

Als Laie gefragt: Wie schwierig ist es, Orgel zu lernen? Im Vergleich zu Violine oder Klavier?

Rost: Am Anfang ist es – im Vergleich zur Violine – unglaublich leicht. Denn Sie drücken eine Taste und es kommt sofort ein steter Ton aus dem Instrument. Um diese Stetigkeit bei der Violine oder auch der Trompete zu erreichen, braucht es Jahre, auf der Orgel klappt es gleich. Das Schwierige bei der Orgel ist aber, aus diesen armen, kalten Ton-Pixeln – die Aufgabe gleicht in gewisser Weise einem Grafikprogramm, bei dem ohne ergonomische Tools eine Linie gezeichnet werden muss – eine lebendige Melodie zu erschaffen: Das ist extrem schwierig.

Bleibt somit nur mehr das Tempo um seine persönliche Note einzubringen?

Rost: Bisher im Prinzip ja. Es ist das Verhältnis Ton-Pause-Ton, dann die Tempoentwicklung Ton für Ton und all dies für jede Stimme möglichst unabhängig. Einfacher gesagt: Ein langer Ton wirkt eher laut, ein kurzer eher leise und sobald ich den Ton loslasse, übergebe ich ihn der Raumakustik. Die Pfeifenorgel ist in dieser Hinsicht ein karges Instrument, sie kann nicht Tonbeginn und -ende flexibel sanft gestalten – wir sind aber gerade dabei dies mit neuen Techniken zu ändern.

 

Text: Stefan Zavernik