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Kunst als niederschwellige Grundversorgung

„Was mir sehr am Herzen liegt, ist Kunst als Lebensmittel zu sehen – und für mich ist die Steirische Kulturinitiative so etwas wie kulturelle Nahversorgung“, Nicole Pruckermayr Foto: Werner Schandor

Nicole Pruckermayr, Geschäftsführerin der Steirischen Kulturinitiative, über niederschwellige Beteiligungsformate, Stadtentwicklung durch Kunst und den Release der neuen Homepage.

Text: Wolfgang Pauker

Seit Februar leiten Sie die Steirischen Kulturinitiative. Ein erstes Resümee?

Jahr eins folgte zu einem guten Teil den Ideen meiner Vorgängerin Edith Risse. Wie im März die erste, von mir kuratierte Ausstellung Wegbrechen Aufbrechen in der Kunsthalle Feldbach. Das „Line-up“ der gezeigten Künstler*innen – Maria Legat, Zsusanna Szula, Gustav Troger und Josef Wurm – hat sich zwar stark verändert, die Idee blieb aber dieselbe: Werke zu zeigen, die sich um verborgene Welten drehen. Um Erlebnisse, die auch manchmal unsagbar sind, die wegbrechen lassen. Ganz einfach um Neuzusammensetzung nach Umbrüchen und den Aufbruch ins Ungewisse. Ein passender Start.

Eine Skulptur von Josef Wurm in der Schau Wegbrachen Aufbrechen, gezeigt Anfang des Jahres in der Kunsthalle Feldbach
Foto: Raphael Daum

Welcher Idee folgte das Symposium „Wie beteiligen wir uns? Kultureller Austausch und künstlerische Teilhabe“ im Haus der Architektur, dem ersten „eigenen“ Programmpunkt?

Ich bin der Meinung, dass es absolut notwendig ist, dass Kunst sich einmischt in verschiedenste Metiers und neue Stadtentwicklungskonzepte. Mir geht es sehr stark darum, Kunst zu den Menschen zu bringen und sie nicht nur dort zu zeigen, wo sie erwartet wird. Das ist auch etwas, was ich verstärkt in den nächsten Jahren in die Kulturinitiative einbringen möchte. Also spiegelte dieses Symposium schon eines meiner Kernthemen – nämlich Austausch anzuregen darüber, was an Kunstschaffen mit Beteiligungsformaten möglich ist. Und auch Menschen miteinzubeziehen, die von ihrer Profession nicht in erster Linie mit Kunst zu tun haben. In diesem Fall waren das neben Personen aus dem Kulturbetrieb – wie Heidrun Primas oder Werner Schrempf – etwa Amila Širbegović, Architektin und Stadtforscherin oder Alexander Daum vom ­Eigentümerboard des neuen Stadtteils Reininghaus.

Heidrun Primas und Alexander Daum im Rahmen des Symposiums im HDA

Apropos Reininghaus: Mit dem VideoLab und dem Teekesselkonzert „Pfeif uns was!“ fanden dort zwei Veranstaltungen statt. Wieso ist Ihnen die Bespielung dieses Stadtteils so wichtig?

Reininghaus ist ein neu entwickelter Stadtteil in der Größenordnung von Leibnitz – also eine Stadt in der Stadt. Ich halte es für wichtig, dass Kunst und Kultur dort präsent sind. Und zwar in einer Form, in der man selbst daran anknüpfen kann. Beim VideoLab war es beispielsweise so, dass die Entwicklung dieses Stadtteils aus einer „Miteinander-Perspektive“ im Vordergrund stand und Jugendliche sich mit den Erwartungshaltungen auseinandergesetzt haben. Die entstandenen Videos sind noch immer auf einem Monitor am Bertha-von-Suttner Platz zu sehen. Niederschwellig zur Beteiligung aufgerufen hat auch das von Renate Oblak und mir organisierte Teekesselkonzert, wo wir versucht haben, mit Kindern und Jugendlichen den Raum vor Ort zu bespielen. Beides hat unter reger Beteiligung sehr gut funktioniert.

Die Teekesselperformance im Reininghauspark spielte mit Metaphern zwischen Ausnahmezustand und feinen Tönen
Foto: Raphael Daum

Vielbeachtet war die Schau „Zwischenräume. Art Brut aus der Sammlung Hannah Rieger“. Warum haben Sie in Kooperation mit Hannah Rieger und dem LKH Graz II West als Ort die Galerie Sigmund Freud gewählt?

Schwerpunkt der Ausstellung waren Arbeiten aus Gugging – dem österreichischen Art-Brut Modell – mit Werken von Johann Hauser bis Laila Bachtiar, ergänzt um internationale Positionen u. a. von Misleidys Castillo Pedroso. Die Art Brut liegt immer noch etwas außerhalb des Mainstream-Kunst-Spannungsbogens. Deshalb passt sie wunderbar an einen Ort, an den Menschen kommen, die sich durch das Auseinandersetzen mit ihr vielleicht weiterentwickeln können. Zu sehen, was alles möglich ist, auch wenn man dieses oder jenes Handicap hat. Die Ausstellung hat auf verschiedenen Ebenen sehr gut funktioniert – auch im Sinne des Zusammenbringens von Personen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen – von der Politik über Verwaltung, Ärzt*innen bis zu Patient*innen oder einfach Interessierten.

Nicole Pruckermayr, Künstlerin Laila Bachtiar, die aktuell im Zentrum der großen Sonderausstellung des Museums Gugging steht, und Sammlerin Hannah Rieger
Foto: Nikolaos Zachariadis

Woran arbeitet die Kulturinitiative aktuell?

Der 2020 verstorbene Historiker, Autor und Kurator Gerhard M. Dienes, mit dem die Steirische Kulturinitiative oft kooperierte, hat ein umfangreiches Archiv hinterlassen. Wir sind gerade dabei zu sondieren, wie man die darin enthaltenen unterschiedlichsten Materialien der Öffentlichkeit zugänglich machen kann. Der Text „Warum Krieg?“, den er mit Peter Kunsek geschrieben hat, wird am 12. November im Museum für Geschichte von Kunsek und Kammerschauspieler Gerhard Balluch interpretiert werden. Dabei wird auch der aktuelle Krieg in der Ukraine und der Konflikt in Israel thematisiert werden. Das gesamte aufgearbeitete Archiv wird nächstes Jahr präsentiert.

Am 12. November, dem Tag als in Österreich die Erste Republik ausgerufen wurde, werden im Museum für Geschichte Peter Kunsek und Gerhard Balluch den Text Warum Krieg? aus dem Nachlass des Historikers und Literaten Gerhard M. Dienes lesen
Foto: Matthias Pöschl

Ebenfalls aufgearbeitet und initiiert von Edith Risse wird die Arbeit eines Vorgängers als Geschäftsführer der Steirischen Kulturinitiative: Herbert ­Nichols-Schweiger.

Auf Nichols-Schweigers Initiative sind in den letzten 50 Jahren unzählige Formate in Graz, der Steiermark und weit darüber hinaus realisiert worden, die auch den Fokus hatten, Themen, und Kunstschaffenden ein Forum zu bieten, die im Mainstream noch keinen Platz hatten. Viele dieser Initiativen haben dazu geführt, dass diese Kunstschaffenden Karrieren starten konnten oder dass Themen präsenter wurden. Eine hierfür in Arbeit befindliche Publikation mit dem Titel bewegt bleiben. 50 Jahre Ideen und Impulse für Kunst und Kultur in der Steiermark von Herbert Nichols-Schweiger wird demnächst präsentierbar.

Was steht 2024 am Programm?

Beispielsweise der zweite ­„Literarische Sparverein“ im Raum ­Rottenmann/Admont/Liezen mit Hannes ­Pointner und Ferdinand Schmalz oder eine Ausstellung von Christina Helena Romirer zum Thema Recycling im skulpturalen Re-Use Zusammenhang. Es wird auch ein großes Projekt mit Lisa D umgesetzt werden. Auch eine umfangreiche Personale von Lotte Schreiber ist geplant, die Raum und Architektur mit ihren filmischen Untersuchungen konkreter Orte durch kinematografische Vermessungen spürbar werden lässt. Im September findet eine umfangreiche Ausstellung zu feministischer Kunst in Kärnten und der Steiermark mit dem Titel Ein Zimmer für mich statt. Und ganz wichtig: Wir werden noch heuer unsere Homepage (www.kulturinitiative.at) online stellen, in der wir nicht nur das aktuelle Programm, sondern auch sukzessive das Archiv der Steirischen Kulturinitiative abbilden werden.              

Lesung mit Musik: „Warum Krieg?“
Text von Gerhard M. Dienes und ­Peter Kunsek
Interpretation von Peter Kunsek und Gerhard Balluch
So, 12.11., 11 Uhr
Museum für Geschichte, Universalmuseum Joanneum
Sackstraße 16, 8010 Graz