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Moderne Ein-Wort-Ikonen im KULTUM

Der in Feldbach geborene Künstler Heribert Friedl beschäftigt sich mit dem Nicht-Sichtbaren Foto: Johannes Rauchenberger

Zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel präsentiert das KULTUM „100 Poems“ von Heribert Friedl, die Poesie und zeitgenössische Kunst mit der Tradition des christlichen Stundenbuchs und der Ikonen verbindet. Sie sind im besten Sinne „barrierefrei“.

Text: Lydia Bissmann

Manchmal kann ein Gedicht auch mit einem Wort auskommen. Heribert Friedl beweist das mit seiner aktuellen Ausstellung 100 Poems im KULTUM. Die zum ersten Mal gezeigte Schau besteht aus hundert kleinen Bildern, die eine Balance zwischen zeitgenössischer Kunst und Formen eines existenziellen Gebetes herstellen. Auf MDF-Holzplatten sind englische Minisätze wie „I am part of you“, „Tell me your story“ oder nur einzelne Worte wie „Death“, „God“, „Everything“ oder „Heart“ gemalt. Es sind Minigedichte, die schließlich mit immer weniger Begriffen auskommen. Vorausgegangen sind der Ausstellung drei intensiv gestaltete Werkblöcke von Malereien, die die Arbeitstitel Wiener Block (2022) und Hindinger Block I+II (2023) tragen. In einer „Druckwelle“ von Inspiration entstanden in dieser Zeit „Sprachverdichtungen von ungeheurer Einfachheit und Schönheit“ (Johannes Rauchenberger). Alle drei Blöcke haben eine Widmung: „Dedicated to Karl“. Der Künstler hat damit auch Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen verarbeitet. Heribert Friedl wurde 1969 in Feldbach geboren und lebt und arbeitet in Wien. Er studierte Bildhauerei an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und ist dort seit 2021 auch Dozent. Seit 1996 beschäftigte er sich mit Duftstoffen und deren Wirkungen. Reduktion, Narration und Partizipation spielen in Friedls Objekten und Installationen eine zentrale Rolle. Seine Arbeiten wurden in Europa, der Türkei und den USA ausgestellt.

100 Poems erinnert an christliche Ikonen und referiert im Ausstellungskatalog an die vergessene Kunst der Stundenbücher
Foto: Johannes Rauchenberger

Zeitgenössische Andachtsbilder für alle

Wie kleine Ikonen sind die durch Linien strukturierten Farbflächen gestaltet, die Typologie erinnert an mittelalterliche Schriften und holt das Vergangene somit in die Gegenwart. Manche Buchstaben können auch als Kreuz oder als Gender-Markierung gelesen werden. Durch die Bemalung am Rand bekommen die Arbeiten Körperlichkeit und ähneln im Format christlichen Ikonen. Verlangt die Darstellung wichtiger christlicher Symbole oder Szenerien immer ein Vorwissen, geben sich die englischen Worte barrierefrei, sind von fast allen Betrachter*innen zu verstehen. Ikonen können mit auf eine Reise genommen werden, sie dürfen geküsst, geschmückt und auch mit Düften wie Weihrauch verehrt werden. Sie ermöglichen einen kleinen Minialtar in sehr privaten Räumen, bieten Heilige zum Anfassen an, sind volksnah und bescheiden. Die Künstler*innen der Ikonen bleiben in der Regel unerwähnt. Das menschliche Antlitz hat Heribert Friedl durch Worte ersetzt, die „Heiligen“ der Gegenwart. Bei 100 Poems bekommen die Worte und ihre Bedeutungen in der Inszenierung durch den Künstler gebührenden Raum und dürfen in ihrer Schlichtheit, Stille und Größe wirken. Auf das Auge sowie auch auf die Seele.

Ausstellungsansicht 100 Poems
Foto: Johannes Rauchenberger

Mit Reduktion auf den Spuren des Unsichtbaren

Der gleichnamige Ausstellungskatalog 100 Poems, der bei der Finissage am 6. Jänner präsentiert werden wird, erinnert mit seiner sinnlichen Materialität an ein mittelalterliches Stundenbuch. Oder auch an einen Lebensratgeber von heute. Stundenbücher waren im Mittelalter aufwendig mit Verzierungen und Bildern gestaltet und boten Gebete für den privaten Gebrauch an, die den Tag strukturierten. Inzwischen haben sie keine Bedeutung mehr – auch Menschen, die aus beruflichen Gründen beten und über christliche Texte meditieren, verwenden dafür inzwischen sehr oft digitale Datenträger. Friedl holt diese Tradition des Reflektierens und der inneren Einkehr aus der digitalen Welt zurück in die analoge und ermöglicht so mit dem Besuch der Ausstellung oder dem Betrachten des Katalogs einige Momente des Innehaltens und der Ruhe. Mit dem Verfassen von Texten hat der Künstler eine neue Ausdrucksform gefunden. Ihn fasziniert die Reduktion und die Möglichkeit zu zeigen, dass dort, wo nichts da ist, die unendliche Größe durchscheint. Das Nicht-Sichtbare faszinierte ihn immer schon, seine eigene Website heißt nonvisualobjekts.com. In den späten 1990er-Jahren bekamen die Besucher*innen dort als Startbild nichts außer einer weißen Fläche zu sehen. In einer Installation im Stift Admont befestigte er 2007 weiße Platten an der Wand, die auf den ersten Blick leer waren, und durch Reiben einen bestimmten Duft freisetzen. Für die Ausstellung 1+1+1=1 Trinität (2011) steuerte Friedl eine Kupferrohrskulptur bei, die durch das Betätigen eines Blasebalgs einen bestimmten Geruch verströmte. Das Objekt ist seitdem Teil der Sammlung des KULTUMUSEUMs. Johannes Rauchenberger zitiert in seinem Begleittext zum Katalog 100 Poems eine Aussage der französischen Philosophin Simone Weil, für die man sich sofort ein eigenes Stundenbuch anlegen möchte, so schön und wichtig ist sie: „Es gibt nur eine Methode, Bilder zu verstehen – nicht versuchen, sie zu interpretieren, sondern sie so lange anzuschauen, bis das Licht hervorbricht.“                           

Die Worte auf den kleinen Bildern funktionieren auch als Minigedichte
Foto: Johannes Rauchenberger

Heribert Friedl: 100 Poems
Kurator: Johannes Rauchenberger
Bis 6.1.2024, Di–Sa 11–17 Uhr
Finissage und Katalogpräsentation: 6.1.2024, 11 Uhr

KULTUM Galerie,
Mariahilferplatz 3, 8020 Graz
tickets@kultum.at, 0316 71 11 33
www.kultum.at/heribert-friedl