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„Es sind starke Beiträge zu sehen“

Bettina Rheims La maison de Nazareth, avril 1997, Ville Evrard, 1997 (A House of Nazareth, April 1997, Ville Evrard), 1997 aus der Serie: "Bettina Rheims/Serges Bramly: I.N.R.I."

Das KULTUM eröffnet in diesem Herbst mit „Gott hat kein Museum“ das größte Ausstellungsprojekt seit seinem Bestehen. Wir sprachen mit Kurator Johannes Rauchenberger über das Spannungsfeld zwischen Kunst und Religion.

Interview: Stefan Zavernik

Was steckt hinter der provokanten Feststellung „Gott hat kein Museum“ – und warum kann gerade das Fehlen eines „Museums für Gott“ ein produktiver Ausgangspunkt für zeitgenössische Kunst sein?

Gott und mit ihm sakrale Kunst hatten lange den Geruch des Vergangenen. Das KULTUM hält dieser Ansicht nun schon seit einem halben Jahrhundert dagegen. Dass wir uns diesbezüglich so lange gehalten haben, ist doch beachtlich (schmunzelt). 50 Jahre sind also ein Anlass, eine klare Markierung zu setzen … Zunächst heißt das also: In zeitgenössischen Museen gibt es keinen Fokus auf Gott. Das mag eine schlichte Unterlassung sein. Eine Möglichkeit wäre auch, dass er nicht vorkommt. Oder vielleicht auch, dass er woandershin gegangen ist. Oder: Dass ein Museum ihn auch niemals fassen würde. Vor zehn Jahren habe ich erstmals ein „Buchmuseum“ mit dem gleichen Titel publiziert. Drei Bände, 1.200 Seiten. Es war die Vision einer Kunsthalle mit Werken, die wir ausgestellt hatten, sub specie aeternitatis, aus dem Blickwinkel der Ewigkeit, sozusagen. Es hatte eine sehr starke Resonanz im deutschsprachigen Raum. Es ist schon lange vergriffen.

Johannes Rauchenberger
Foto: Gerd Neuhold

Sie sprechen davon, dass Religion in der Gegenwartskunst seit 25 Jahren ein Leitmotiv Ihrer Arbeit ist. Wie hat sich der Blick der Kunstschaffenden auf religiöse Fragen in dieser Zeit verändert – von den 1990er-Jahren bis heute? Sie haben unzählige von ihnen in ihrem Schaffen über die Jahrzehnte mitverfolgt und begleitet.

Lange waren Blasphemie oder ein fernes Zitat die Aufhänger von Kunst und Religion. Dahinter stand die lange Geschichte von Macht und Herrschaft. Der Rest erschien entleert und ausgemalt. Ein „post-säkularer Blick“ hat Bildwelten der Religion dann aber auch jenseits klassischer Religionskritik wahrgenommen. Auch das Potenzial für Widerstand durch Religion und die schlichte Übersättigung eines am Nutzen orientierten Gebrauchsdenkens und Weltgefühls wurden künstlerisch zum Thema.

In der Sektion zu Fundamentalismus verweisen Sie auf die politische Instrumentalisierung von Religion, vom Römischen Reich bis zur Gegenwart. Was kann Kunst hier leisten – Aufklärung, Widerstand, oder nur Spiegelung?

Im täglichen Nachrichtengefüge kehrte Religion in den letzten Jahren vor allem im Gewand von Angst, Fundamentalismus und Missbrauch zurück: 9/11, der „Karikaturenstreit“, die erneute Inanspruchnahme von Religion für den Krieg, das Wiedererstarken der religiösen Rechte, das Wiederaufflammen von Antisemitismus, die Angst vor dem Islam. Schließlich haben die Enthüllungen um sexuellen und geistlichen Missbrauch äußerst dunkle Seiten von Religion offen gelegt und ihr Bild schwerst beschädigt. Kunst kann hier radikal den Finger in die Wunde legen oder auch sehr subtil die Bildwelten, die Religion diesbezüglich transportiert, sichtbar machen – und im besten Sinne vielleicht verändern.

Nina Kovachevas „Biblical stories“

Die Ausstellung ist in zehn thematische Abteilungen gegliedert: von Leib und Seele bis zu Wundern und Widersprüchen. Welche Überlegung hat diese Struktur geleitet?

Unsere neuen Räume, die Durchbrüche, Stiegen, bis hinauf zum Dachboden, den ich erstmals miteinbeziehe, sind der Resonanzraum für die Werke. Dabei definiere ich mit diesen Abteilungen eine immanente „Erzählung“, die ich natürlich, der Tradition des KULTUM entsprechend, möglichst weit ansetze, mit Mut zur Verletzlichkeit, Selbstkritik und einem klaren kritischen Blick. Pure Affirmation ist mir fremd.

Wo sehen Sie die stärkste Spannung zwischen Religion und zeitgenössischer Kunst?

Um ehrlich zu sein: Die Spannungen haben meiner Wahrnehmung nach deutlich abgenommen. Man ist sich längst so fremd, dass man kaum Berührungsängste mehr hat. Die Kirche baut sich bei uns derzeit radikal um. Dieses Zeitfenster nutze ich. Die Form des amerikanischen religiösen Fundamentalismus sehe ich bei uns zum Glück noch nicht ganz angekommen. Papst Franziskus hat das öffentliche Bild von Religion in ihrer Sorge für Migranten und in Not Geratene und für die vom Klimawandel bedrohte Erde neu definiert. Das wird bleiben, selbst wenn die religiöse Rechte wieder erstarkt.

Ikonen von Judith Zillich und drei Lederkörper von Anneliese Schrenk

Können Sie ein Beispiel aus der Ausstellung nennen, die diese Ent-Spannung sichtbar macht?

Man stelle sich allein den Beitrag von verschweißten Sargkreuzen auf unseren Museumswänden vor, die Hermann Glettler 2015 als Künstler bei uns installiert hat. Der Mann ist Bischof geworden! Nun hat er diese „crossfit-Serie“, die sich mittlerweile auch in der neu gestalteten St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin befindet, erneut installiert. Es sind schon ganz starke Beiträge in der Ausstellung zu sehen. Aber zu Ihrer Frage: Ja, ich sehe auch neue Spannungen, etwa wenn die mediale Inanspruchnahme religiöser Bildwelten so explizit codiert inszeniert wird. Dazu tragen leider die KI und ihre produzierten Bilder des Kitsches viel bei.

Einige Abteilungen kreisen um den „heiligen Raum“ und das „heilige Bild“. Angesichts einer säkularisierten Gesellschaft: Kann die Kunst noch Formen von Transzendenz erfahrbar machen, die über rein ästhetische Kategorien hinausgehen?

„Noch“ ist falsch. Meinen Beitrag sehe ich darin, dass die Kunst vor allem Transzendenz erfahrbar macht. Ich stelle jedenfalls nur eine derartige aus. Ich betone dazu: Eine Glaubenspraxis, die diese Ebene nicht erreicht, erreicht mich jedenfalls nicht.                 

Bischof Hermann Glettler baut seine crossfit-Serie auf
Foto: Rauchenberger

Gott hat kein Museum. Aspekte von Religion in Kunst der Gegenwart.
Die Sammlung KULTUMUSEUM Graz
Kurator: Johannes Rauchenberger
In Kooperation mit steirischer herbst 25
Eröffnung: Fr, 26.9.2025, 17 Uhr, mit Bischof Hermann Glettler
Artist Talk: Sa, 27.9.2025, 10 Uhr
Alle Infos und Themenführungen: www.kultum.at