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„Oper ist kein museales Ding“

In Formaten wie Bühne frei! lädt die Oper Graz das Publikum zur Interaktion ein

Ulrich Lenz, geschäftsführender Intendant und Katharina John, Chefdramaturgin der Oper Graz über ein Opernhaus für alle, was ein Spielplan mit Tetris zu tun hat und das Eröffnungsfest am 6. September.

Interview: Stefan Zavernik

Für die kommende Spielzeit haben Sie sich wieder vorgenommen, die Oper Graz als offenes Haus zu präsentieren. Welche Rolle spielen in diesem Hinblick die Begegnun-gen mit dem Publikum abseits der Bühne?

Ulrich Lenz: Für uns ist die Oper ein Haus der Begegnung, des Austauschs und des Ge-sprächs – auch und gerade abseits der Aufführungen. Überspitzt formuliert sind die Aufführungen ja nur ein Anlass, um sich zu treffen. Ein für uns natürlich ganz wichtiger Anlass. Uns ist es ein großes Anliegen, dass das Publikum miteinander spricht und dass auch wir mit dem Publikum in Austausch treten.
Katharina John: Wir betrachten das ganze Haus als Vermittlungsabteilung – und das weit über Angebote wie unser Eröffnungsfest oder Oper Aktiv! hinaus. Wir setzen auf eine Entwicklung weg von der klassischen Theaterpädagogik hin zu einem viel breite-ren und auch künstlerisch geprägten Spektrum. Hierfür bieten wir Einführungsveran-staltungen, aber auch sehr viele Formate, in denen man sinnlich etwas erleben kann. Zum Beispiel Workshops für Kinder oder Tanzveranstaltungen für Publikum 55+, um sich auf einer körperlichen und auch intellektuellen Ebene nähern zu können. Es geht darum, bewusst zu machen, dass es viele Möglichkeiten gibt, die Oper als Bereicherung des eigenen Lebens wahrzunehmen: sei es über die Schönheit der Stimmen, das sinnli-che Spektakel aus Licht, Bühne und Spiel oder die Musik, die die Grenzen von Sprache sprengt.

Ulrich Lenz, geschäftsführender Intendant der Oper Graz
Foto: Marija Kanizaj

Wie viel muss man grundsätzlich über ein Stück wissen, um die Opernaufführung ge-nießen zu können?

Ulrich Lenz: Im Idealfall gar nichts. Man setzt sich hinein, liest die Übertitel mit, folgt der Handlung und kann die Bilder emotional verstehen. In unserem Programmheft kann man sich auch ganz kompakt das Wichtigste zu den Stücken erlesen, um die Augen ge-öffnet zu bekommen, was uns als Hintergrund wichtig ist. Ich glaube aber dennoch, dass es auch ohne dieses Wissen sehr gut funktioniert und man unmittelbar gefangen genommen wird.
Katharina John: Für Interessierte bieten wir auch eine kurze Audioeinführung mit dem Musikkabarettisten Michael Großschädl an, der auf seine humorvolle Weise die wich-tigsten Hinweise zum Stück gibt.

Lässt sich das Konzept „Ein Haus für alle“ auch dramaturgisch umsetzen?

Katharina John: Die Vielfalt des Spielplans ist für uns sehr wichtig, wobei sich dessen Konzeption wie ein großes Puzzle gestaltet, um die ganze Bandbreite an Stilistiken ab-zubilden. Weiters sind durch die Kombination von arrivierten Regisseurinnen und Re-gisseuren und aufstrebenden Talenten viele unterschiedliche Handschriften vertreten. Ich denke, dass wir einen sehr breiten Zugang schaffen.
Ulrich Lenz: Im Idealfall findet jeder im Programm das, was am besten zu ihm passt. Hierfür haben wir vom Musical, Ballett, Operette, Barockoper bis zu zeitgenössischen Werken, von der romantischen italienischen Oper bis zum deutschen Fach alles im An-gebot.

Katharina John, Chefdramaturgin der Oper Graz
Foto: Marija Kanizaj

Wie komplex ist der Entstehungsprozess eines Spielplans?

Ulrich Lenz: Das ist tatsächlich ein bisschen wie Tetris, wo alles zusammenpassen muss. Es sollen unterschiedliche Genres, Epochen und Stile einfließen. Auch hängt viel von unterschiedlichen Regisseurinnen und Regisseuren ab und wann diese auch terminlich verfügbar sind. Dann wollen wir unser Ensemble gut beschäftigen und zwar so, dass alle glücklich sind und tolle Partien singen. Das gilt auch für den Chor und das Orches-ter. Da gibt es also einiges zu bedenken und zu planen. Und finanzierbar sollte es natür-lich auch sein. Wir planen deshalb auch immer mehrere Spielzeiten im Voraus.

Wenn es um die Programmierung des Spielplans geht: Wie schwierig ist der Spagat zwischen einem „schönen Abend“ mit Opernklassikern und der Auseinandersetzung mit zeitkritischen Themen?

Ulrich Lenz: Das ergibt sich ein bisschen aus den erwähnten Faktoren, aber eigentlich ist Theater immer zeitkritisch. So verstehen wir es jedenfalls. Es ist eben kein museales Ding, sondern spricht durch die Inszenierungen automatisch zu uns und setzt sich mit zeitgenössischen und zeitlosen Themen auseinander.
Katharina John: Es stellt sich natürlich auch die Frage, was man als „schönen Abend“ empfindet. Da werden die Meinungen auseinandergehen. Ich zum Beispiel finde die Auseinandersetzung mit der Fragilität des Menschen „schön“. Das ist ein sehr breites Thema und ich glaube, dass man in der konfliktvollen Auseinandersetzung der Werke des Musiktheaters gut mit sich selbst in Dialog treten kann. Resonanz zu finden auf die eigene Fragilität empfinde ich als etwas sehr Schönes.
Eines der großen Highlights der neuen Spielzeit wird das 75-Jahr-Jubiläum der Grazer Philharmoniker. Was ist geplant?
Ulrich Lenz: Wir möchten diesen für uns so prägenden Klangkörper noch einmal be-sonders aufs Podium heben. Hierfür versuchen wir auch die Konzerte in unserem Haus mit denen im Musikverein zu verbinden und gerade unser Eröffnungskonzert Heroes! ist da sicherlich ein Highlight. Das Besondere an diesem Orchester ist diese enorme Bandbreite, die es spielen kann.
Katharina John: Das Eröffnungskonzert wird ein Festkonzert mit heroischer Thematik, die aber auch den Antihelden Till Eulenspiegel präsentiert. Es geht um Fragen von Identität in Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Nicht zufällig ist für den Auftakt ein Stück von Richard Strauss gewählt. Mit Bariton Johannes Martin Kränzle haben wir au-ßerdem einen hervorragenden Solisten von Weltformat.

Beim Eröffnungsfest am 6. September wird vielfältiges Programm geboten
Foto: Oliver Wolf

Welche Rolle spielen Gastspiele in der neuen Spielzeit?

Ulrich Lenz: Gastspiele sind sehr interessant, weil wir damit nochmals neues Publikum ansprechen und neue Reize setzen können. Es soll aber keine Beliebigkeit entstehen, weshalb wir uns alle Gastspiele hier am Haus sehr genau anschauen. Im Rahmen des Aufsteirern-Festivals wird beispielsweise Herbert Pixner zu Gast sein. Wir unterschei-den weder zwischen Hochkultur und Volkskultur, noch empfinden wir uns als elitäres Institut. Hierfür bieten Gastspiele wie das angesprochene eine wunderbare Möglichkeit, um allen die Gelegenheit zu bieten, die Oper als ihr Haus zu empfinden.

Die Oper Graz ist ein Ort, an dem junge Musiker im Opernstudio ihre Chance erhalten. Was möchten Sie mit dieser Initiative langfristig bewirken?

Ulrich Lenz: Wir müssen unseren Nachwuchs heranführen und können nicht darauf warten, dass er von selbst wächst. Die Ausbildung an der Hochschule ist wichtig und richtig, aber wie bei den meisten Berufen auch, lernt man ihn erst durch das Tun. Wir möchten in vielfältiger Weise die Möglichkeit geben, in den Betrieb hineinzuwachsen. Man darf sich hier durchaus auch Fehler erlauben, weil man getragen wird von dem Ensemble und dem ganzen Apparat drumherum.

Was erwartet das Publikum beim Eröffnungsfest der neuen Saison am 6. September?

Katharina John: Wir haben das traditionelle Eröffnungsfest, an dem überall im und um das Haus Programmpunkte stattfinden – mit Workshops für Kinder und Familien. Man kann mit dem Chor singen, auf einen Kaffee mit dem Intendanten gehen, Requisiten ersteigern oder an einem Opernquiz teilnehmen. Das Orchester gibt musikalische Ein-drücke und natürlich wird auch kulinarisch etwas geboten werden.