Mit der Ausstellung „Demokratie, heast!“ eröffnet das Graz Museum das Jahresthema Stadt und Demokratie. Neben demokratischem Basis-Know-how und Stadtgeschichte gibt es hier die Möglichkeit, aktive Mitgestaltung gleich auszuprobieren.
Text: Lydia Bißmann
Demokratie, heast! ist die erste von insgesamt drei Ausstellungen, die das Graz Museum im 80-Jahre-Weltkriegsende-Gedenkjahr 2025 zeigen wird. Wie schon in der Vergangenheit trifft man auch hier an jeder Ecke auf die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt. Bürgerinnen, Aktivisten oder politisch aktive Personen, wie die Klubobleute der Grazer Rathausparteien, berichten hier etwa in 20 Videointerviews von ihren ganz persönlichen Erfahrungen und Begegnungen mit demokratischer Beteiligung. Darunter auch die Museumsdirektorin Sibylle Dienesch selbst, die sich das Ziel gesetzt hat, bis 2027 ein demokratisches Archiv und Museum zu entwickeln. Ein wichtiger Schritt dorthin ist unter anderem die Entscheidung, die mehr als 50 Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter gemeinsam und demokratisch über die gezeigten Themen entscheiden zu lassen. Durch unterschiedlichste Möglichkeiten der Interaktion, die teilweise sehr verspielt daherkommen, werden aber auch alle Besucherinnen und Besucher selbst Teil davon und können dabei erleben, was es in kleinen Augenblicken bedeutet, demokratisch zu denken, zu fühlen und zu handeln.

Foto: Sebastian Reiser
Fragezeichen und Appelle als Kompass
Die Ausstellung ist in zehn verschiedene Bereiche eingeteilt, an denen unterschiedliche Dinge erfahren und erledigt werden können. Acht davon sind bewusst als Fragen formuliert: „Bin ich Teil der Demokratie?“, „Was ist meine Stimme wert?“, „Werde ich von Politiker:innen vertreten?“, „Welche Spielregeln sind mir wichtig?“, „Soll ich oder sollen alle gut leben?“, „Wie viel muss ich über Demokratie wissen?“, „Wie komme ich zu meiner Meinung?“ oder „Demokratie reflektieren?“ geben einen inhaltlichen Kompass beim Erkunden des Begriffs Demokratie vor und bieten dazu Antworten mithilfe von Philosophie, Politikwissenschaft, Soziologie und Pädagogik. Eine Klammer bilden die beiden Appelle zum Schluss und am Ende. Der salopp im Jugendslang formulierte Zusatz „heast!“ deutet darauf hin, dass Demokratie besser über Zuhören als Anschreien funktioniert. Auf einem Balanceboard kann dann auch gleich körperlich ausprobiert werden, wie sich das eigene Handeln auf andere auswirkt und umgekehrt. Der letzte Raum ist mit einer kleinen, gut sortierten Bibliothek ausgestattet, die auch als eine Art Agora dienen soll, in der man mit Literatur und Diskussion noch tiefer ins Thema eintauchen kann. Statistiken, Objekte und sogar ein historisches Wahlplakat können als 3D-Tastobjekte erfühlt und die Informationen in einfacher Sprache oder Brailleschrift gelesen werden. Die Barrierefreiheit, die im Graz Museum ohnehin immer garantiert wird, erhält hier einen besonderen Touch – schließlich kann es ja keine richtige Demokratie ohne Inklusion geben.

Foto Sebastian Reiser
Lustvolle Wissensvermittlung für alle
Demokratie ist ein komplexer, viel bemühter und oft mit viel Sorge aufgeladener Begriff. Es ist (noch) kein flächendeckendes Unterrichtsfach in Österreich – das allgemeine Wissen darüber muss man sich eigentlich selbst und ständig im Alltag aneignen. Dem Team des Graz Museums ist es mit viel Einfühlungsvermögen, Sorgfalt und klug eingesetzter Didaktik gelungen, Demokratie, heast! als Ausstellung zu gestalten, die weder von oben herab Information serviert noch den Finger auf Bildungslücken legt oder gar in simple Vereinfachung abdriftet. Die Kuratorinnen Catalin Betz, Angela Fink und ihr Team (Projektleitung: Vanessa Bednarek, kuratorische Assistenz: Ogül Büber-Ottitsch, Fachexpertise Philosophie: Robert Tendl) wollten die Besucherinnen und Besucher auf mehreren Ebenen abholen, ansprechen und stimulieren. Fachliche Beratung erfolgte extern durch die Philosophin Christine Abbt und die Politologin Tamara Ehs. Unaufgeregte Interventionen und sachliche Information sind für alle Altersgruppen spannend, stellen neues Wissen bereit, frischen altes Wissen auf und regen zum Nachdenken, Nachrecherchieren und Diskutieren an. Statements aus der Politikwissenschaft von Chantal Mouffe und Philip Manow oder der Journalistin Ingrid Brodnig sind auf DIN-A4-großen Papptäfelchen angebracht und müssen manchmal öfter hintereinander gelesen werden, um verstanden zu werden. Aber dafür sind sie auch gedacht – Demokratie ist manchmal eben kompliziert und braucht Aufmerksamkeit. Viel schneller und einfacher formuliert sind ansprechend gestaltete Glossarkärtchen (MOOI Design mit Clemens Bauder), die in der Nähe der Infoboards in Griffweite Erklärungen zu Stichworten wie Republik, Extremismus, Gewaltenteilung oder auch Stufenbau der Rechtsordnung liefern. Alle erklärten Begriffe sind in den Texten farblich markiert – das beruhigt und fühlt sich fast so an, als ob man sich dreidimensional im Internet bewegen würde. In einem scheinbar unerschöpflichen Wissensuniversum, in dem alles miteinander vernetzt ist, und wo es vor allem um eines geht: den Austausch und das Gespräch mit anderen.

Foto Presse-Foto Marko (Alfred Marko, ab 1980 Gerald Marko), Sammlung Kubinsky
Information durch Interaktion
Immer wieder gibt es Gelegenheiten, Demokratie-Aktionen sofort umzusetzen. Bunte Sticker und Zettel laden einen dazu ein, seine Meinung abzugeben und in einer demokratischen Kernhandlung selbst – der Wahl – den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen. Das ist nicht immer ganz einfach: In einer originalgetreu nachgebauten Wahlkabine kann man sich auf einem Wahlzettel zwischen besserem Essen in der Schule oder der Abschaffung der Schulnoten entscheiden. Bei einer weiteren Wahlkarte muss man zwischen konkreterer Klimapolitik, verbesserter Bildungs- oder Kulturpolitik wählen. Man kann sich überlegen, ob man dafür ist, dass die Stimmen von jungen Menschen, Familien mit Kindern oder politisch kundigen Menschen mehr zählen sollen als die von Menschen im Strafvollzug, Millionären oder Demenzkranken. An einer anderen Station darf man mit seinen Klebepunkten ausdrücken, was man von einem Gender- oder Verbrennermotorenverbot hält, und kann gleich daneben auch kundtun, was man selbst im Alltag unternimmt, wenn einem etwas nicht passt. Ob man auf eine Demo geht, sich bei jeder Gelegenheit darüber aufregt oder selbst politisch aktiv wird. Neben historischen Wahlplakaten aus der Steiermark kann man vor einem Spiegel, mit dem passenden Hintergrundvorhang und Magnetslogans, seine eigene Polit-Kampagne basteln. Dazwischen erfährt man auf übersichtlich gestalteten und gut formulierten Infoboards und Grafiken oder Taststatistiken, seit wann Menschen mit Behinderungen in Österreich uneingeschränkt wählen dürfen (seit 1987!), dass es in Luxemburg eine Wahlpflicht gibt oder dass etwa 12 Prozent der Grazer Bevölkerung aufgrund ihres Reisepasses von Wahlen ausgeschlossen sind. Objekte wie eine schon etwas schiefe Wahlurne, die Allegorie der Wissenschaft, die sonst auf der Rathausfassade nur von unten zu sehen ist, oder eine blattvergoldete Uhr aus dem Gemeinderatssitzungssaal sorgen für einen dezenten, historischen Anstrich. Bewusst wurde der Fokus auf das aktuelle Geschehen gelegt. Eine intensivere Beschäftigung mit der Geschichte gibt es ab Mai bei Die letzten Europäer. Jüdische Perspektiven auf die Krisen einer Idee in der Gotischen Halle und ab Ende Juni bei der Ausstellung Ins Ungewisse. Graz 1945–1965 im zweiten Stock zu sehen.

Foto: Sebastian Reiser
Demokratie, heast!
bis 30.8.2026, täglich 10–18 UhrGraz Museum, Sackstraße 18, 8010 Graz, 19.5.2025: freier Eintritt am Internationalen Museumstag
Infos zu Veranstaltungen und Führungen: www.grazmuseum.at