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Zehn Jahre InTaKT-Festival

Theater Thikwa & hannsjana bei InTaKT im April 2025 Foto: InTaKT / Edi Haberl

Zehn Jahre gelebte Utopie: Lina Hölscher über Idealismus, Vielfalt auf der Bühne und die politische Dimension des Theaters.

Interview: Sigrun Karre

Ein Jahrzehnt InTaKT – erinnerst du dich noch, wie das alles begonnen hat?

Sehr gut sogar. Christoph Kreinbucher hatte damals im Verein IKS Inklusion mit Sport kombiniert und meinte plötzlich: „Warum gibt’s das eigentlich nicht auch in der Kunst?“ Ich hatte gerade ein Praktikum beim Theater Thikwa in Berlin gemacht: Das war mein Schlüsselmoment. Christoph kam mit der Idee, ich mit ein bisschen Erfahrung. Also haben wir einfach losgelegt. Ohne großen Plan, aber mit viel Idealismus. Die ersten Jahre waren wild. Wir haben ehrenamtlich gearbeitet, vieles war improvisiert, wir hatten das Gefühl: Wir müssen das einfach machen.

Wie hat sich das Festival seither entwickelt?

Zu Beginn unserer Arbeit, vor 10 Jahren, mussten wir überhaupt erst suchen, was es an inklusiver Kunst mit professionellem Anspruch gibt. Vieles kam aus Berlin, Zürich oder von der „Ich bin O.K. Dance Company“ aus Wien. Heute ist das anders: Wir kooperieren mit der Theaterakademie LebensGroß, mit dem Schauspielhaus Graz, mit dem Dschungel Wien. Und wir haben ein Publikum. Ein diverses, offenes Publikum. Dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Theater erleben, sich begegnen, das ist für mich der größte Erfolg.

Lina Hölscher
Foto: InTaKT / Edi Haberl

Wer waren prägende Menschen in diesen zehn Jahren?

Christoph war die Initialzündung. Zwischenzeitlich hat Anja M. Wohlfahrt die organisatorische Leitung übernommen, sie inszeniert heuer am Schauspielhaus Graz ein inklusives Projekt. Und Agnes Zenz, Poetin und Schauspielerin mit Behinderung, ist von Anfang an dabei. Ihre Entwicklung zeigt, was Kunst kann: Selbstständigkeit, Ausdruck, Selbstbewusstsein. Viele weitere Künstlerinnen und Wegbegleiter sind dazugekommen und jede einzelne Zusammenarbeit hat uns künstlerisch und menschlich weitergebracht.

Was ist dir wichtig am Festival?

Dass es nicht als „soziales Projekt“ abgestempelt wird. InTaKT ist kein Akt der Gnade, sondern Kunst mit Haltung. Ja, wir brauchen Gebärdensprachdolmetschung, barrierefreie Zugänge, Relaxed Performances: Aber nicht als Extra, sondern als Standard. Und: Es geht um mehr als zugeschriebene Behinderungen. Es geht um eine andere Vorstellung von Gesellschaft. Unser Publikum ist wie eine gesellschaftliche Utopie auf Zeit. Wer einmal da war, versteht, was gemeint ist. Es gibt Momente, in denen sich Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum auflösen. Wo nicht mehr zählt, ob jemand eine Diagnose hat, sondern was er oder sie zu sagen hat.

Was bedeutet Inklusion für dich?

Inklusion heißt nicht: Wir nehmen euch mit. Sondern: Ihr wart immer schon da. Die Strukturen müssen euch nur sehen. Oft ist die größere Hürde nicht die fehlende Rampe, sondern die fehlende Haltung: Werde ich begrüßt? Werde ich ernst genommen? Fühle ich mich willkommen? Diese Fragen entscheiden darüber, ob jemand bleibt – oder draußen bleibt. Inklusion beginnt im Kopf und endet im System. Leider oft an der falschen Stelle.

Ist InTaKT politisch?

Und wie. Inklusive Kunst ist nie neutral. Wer steht auf der Bühne? Wer wird gesehen? Wer gefördert? Das sind politische Fragen. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist kein Feigenblatt, sondern Auftrag. Trotzdem werden gerade jetzt Projekte, die sich für Inklusion, Integration und Diversität einsetzen, gekürzt.

Was braucht es, damit Inklusion nicht nur auf der Bühne stattfindet, sondern auch in den Strukturen?

Haltung. Und Konsequenz. Eigentlich sollte Inklusion auf der Bühne nicht extra benannt werden müssen, denn wenn Strukturen wirklich inklusiv wären, wäre sie selbstverständlich. Es beginnt bei Aufführungs- und Probenzeiten, die Menschen mit Assistenzbedarf möglich sind. Bei barrierefreien Bühnen und Garderoben. Geschultem Personal. Nicht die Menschen, die Rollstühle nutzen, müssen sich anpassen, sondern die Strukturen. Es braucht kulturpolitische Standards und die Bereitschaft, die Gegebenheiten in der eigenen Institution zu hinterfragen und zu verändern. Wie immer braucht es auch finanzielle Ressourcen. Außerdem braucht es auch ein bisschen Mut. Für inklusive Kulturarbeit gibt es in Österreich häufig noch nicht viele Erfahrungswerte, da muss man manchmal einfach mutig sein und etwas Neues ausprobieren. Auch das ist Teil des Prozesses.

Mezzanin Theater bei InTaKT 2019
Foto: InTaKT / Edi Haberl

Gibt es Gegenwind? Kritik?

Manche fragen, ob Vielfalt auf der Bühne den künstlerischen Anspruch schmälern könnte. Ich sehe das Gegenteil: Andere Körper und andere Erfahrungen stellen keine Einschränkung dar, das ist Reichtum. Ganz ehrlich: Ich kann die Mittelblond-mittelalt-mittelschlank-Männer auf der Bühne kaum noch auseinanderhalten. Warum ist das Theater nicht Abbild der Gesellschaft? Wenn immer dieselben sprechen, hören wir auch immer dieselben Geschichten. Inklusives Theater ist nicht netter, es ist notwendiger. Es erzählt mehr, weil es mehr kennt.

Was hast du in diesen zehn Jahren gelernt?

Dass Kunst Empowerment ist. Dass Begegnung alles verändert. Und dass es sich lohnt, nicht lockerzulassen. Auch wenn’s kräftezehrend ist. InTaKT ist für viele ein Ort, an dem sie sich zum ersten Mal zeigen können: auf der Bühne und im Dialog. Das ist nicht selbstverständlich. Aber es ist möglich. Ich will keine Kunst für Premierenlogen. Ich will Kunst, die niemanden fragt, ob er dazugehört. Und ich will Räume, in denen Vielfalt nicht toleriert, sondern gefeiert wird. Das ist meine Vision.           

Mag. Lina Hölscher, MMA studierte Theaterwissenschaft, Pädagogik und Psychologie in München sowie Performance Making in London und Sozialpädagogik in Graz, wo sie ihre Masterarbeit zum Thema „Kulturelle Teilhabe für Menschen mit Behinderung“ verfasste. Seit 2012 lebt sie in Graz, arbeitet als Kulturmanagerin, Regisseurin und Dramaturgin und leitet das inklusive Festival InTaKT sowie die Theaterakademie von LebensGroß, die erstmals eine Ausbildung für Bühnendarsteller*innen mit Behinderung in Graz anbietet.

InTaKT – Festival für inklusive Kunst

Seit zehn Jahren bringt InTaKT in Graz Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderung auf die Bühne und bietet ein vielfältiges Programm aus Theater, Tanz, Musik und Workshops.

Jubiläumsprogramm 2025

Der zweite Teil des 10. Jubiläumsfestivals findet von 13.–16. November statt. Zur Eröffnung zeigt das Schauspielhaus Graz „Leck mich am Arsch, amore Mio“ (Regie: Anja Wohlfahrt, mit Ensemble & Theaterakademie ­LebensGroß). Begleitet wird das Festival von der neuen InTaKT-Redaktion, in der Menschen mit Behinderungen über Kulturveranstaltungen berichten. Das ganze Programm erscheint im Oktober.

www.intakt-festival.at