Zerbrechliches, Verpacktes und länger Verborgenes gibt es in den neu sanierten und erweiterten Räumlichkeiten des KULTUM bei einer großzügig angelegten Einzelausstellung der finnischen Künstlerin Maaria Wirkkala zu sehen.
Text: Lydia Bißmann
Das Kulturzentrum bei den Minoriten verbindet seit 50 Jahren zeitgenössische Kunst mit Religion. Dass das für alle interessant sein kann und es sehr viele Schnittstellen jenseits von Konfessionen gibt, zeigt unter anderem die aktuelle Ausstellung NUN MEHR – MEANTIME von Maaria Wirkkala. Die sinnlich-träumerischen Arbeiten der Künstlerin, die bereits dreimal an der Biennale in Venedig (1995, 2001 und 2007, zuletzt als Vertreterin Finnlands), an der Yokohama Triennale in Japan (2005) sowie an der Istanbul Biennale (1995 und 1997) teilgenommen hat, bekommen hier ausreichend Platz zum Atmen und Wirken. Neben der Ausstellung ist im Cubus eine Werkschau der Künstlerin mit Dias zu sehen.

Foto: Adnan Babahmetovic
Poesie und Alltag
Luftig und spektakulär geht es in der großen Ausstellungshalle zu. Wait to be fetched besteht aus einer Videoarbeit, für die Maaria Wirkkala einen sehr kostbaren historischen Wagen mit einem Kran durch die Luft transportieren ließ. Die Videoarbeit stammt aus einer Ausstellung über den Tod (2010, There is a time for us all) im Lahti Historical Museum in Finnland. Ein kleiner Kontrapunkt dazu ist die Arbeit So What (2011), die ein kleines Spielzeugzebra zeigt, um dessen Bauch ein roter Heliumluftballon hängt. Sie steht für die luftige, humorvolle und leicht fassbare Spiritualität, die allen Kunstwerken von Maaria Wirkkala anhaftet. Sie arbeitet in ihren Installationen und Skulpturen mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen, denen sie einen kostbaren Anstrich gibt oder die sie aufwendig inszeniert, ohne den Ausgangsgegenstand zu sehr zu verfremden. Quer durch die Ausstellung tauchen immer wieder Kunstpostkarten auf, die durch kleine Interventionen von ihr bearbeitet wurden. Die Postkarten stammen meist aus Venedig und Florenz und zeigen Gemälde der Frührenaissance. Als kleine Mitbringsel aus dem Museumsshop erlauben sie uns, die Energie der wundervollen Bilder mit nach Hause zu nehmen oder sie per Post an andere zu senden. 2011 wurden Teile ihrer Postkartenkunst (SHARING) in eine der Zellen im KULTUM eingemauert und legten so den Grundstein zur permanenten Sammlung im KULTUM, die damals noch nicht existierte. Zur Eröffnung von NUN MEHR – MEANTIME wurde dieses Kunstwerk im Rahmen einer Performance freigelegt, wovon noch Lehm- und Sandspuren am Boden zeugen.

Foto: Adnan Babahmetovic
Zuflucht und Schutz
Eine gläserne Leiter hängt in Beyond this point (2020) über einer roten Sandfläche, die an einen Tennisplatz erinnert. Den gläsernen Leitern begegnet man noch öfter. In der Chapel for Something Else (2023) ruht sie etwa auf zwei Stapeln aus kostbaren Büchern mit Goldschnitt. Erst bei genauerem Hinsehen und durch das Spiel mit Licht und Schatten bemerkt man, dass ein Stück aus der Leiter herausgebrochen ist. Wer diese benutzen möchte, darf kaum mehr Gewicht haben als einer der Schmetterlinge, die einen der Buchdeckel zieren und daneben auch in präparierter Form in einer historischen Zigarettenbox zu sehen sind. Durch die Tür zum Turmzimmer kann man einen Blick auf eine nachtblau-goldene Tapete werfen, die als Muster eine Kinderzeichnung der damals vierjährigen Künstlerin trägt. Es sind kleine Engel, zu denen alle Tiere flüchten dürfen. Die Tapete „Enkeli“ (Engel), die tatsächlich produziert und als solche verkauft wird, steht hier für alle Flüchtenden der Welt. Gold findet sich auch auf der allerersten Stufe am Eingang zur Ausstellung. Hier wurde die erste Stufe aus Holz mit Blattgold veredelt, und ein Sprung in der Treppe gleich einbezogen. Das gibt der steinernen Narbe einen kostbaren Anstrich und stellt eine liebevolle Versöhnung mit der Verletzung dar. Vergoldet sind auch die Flugskier, die in den Gängen zum großen Ausstellungsraum hängen. Der edle Firnis und die Position machen aus dem Sportgerät ein elegant-verspieltes Objekt der Sehnsucht. „Ich bringe Elemente meines visuellen Vokabulars, um Räume zu definieren. Wenn die Objekte und Elemente an verschiedenen Orten installiert werden, verändern sie ihren Charakter – je nachdem, wo und wie sie dort eingerichtet werden“, so Maaria Wirkkala.

Foto: Adnan Babahmetovic
Zwischen den Zeiten im Jetzt
Im oberen Trakt begegnet man der angebrochenen Leiter in einem sicheren Environment. Unter dem Stichwort Depot finden sich hier etwa ein vergoldeter Stuhl, ein rotes Stück Stoff, eine mystische Glaskugel oder ein bronzener Kreis, der vergoldet als Heiligenschein gedeutet werden kann. Sie sind sorgfältig in geflammte Kisten gepackt. Fragile lautet der Übertitel für diese Arbeiten, die zwischen 2021 und 2024 entstanden sind. Damit verbindet die Künstlerin Vergangenes mit Gegenwärtigem, Kostbares mit Profanem und spielt so mit dem Blick auf das Verborgene und das Sichtbare. Mit der Gegenwart und dem, was war, setzt sie sich auch in der Installation Unaccompanied Luggage (1995) auseinander. Vor dem Foto einer alten Zisterne in Istanbul sind die roten Kinderstiefel ihrer Tochter aufgestellt, daneben die letzten Schuhe ihres Vaters. Maaria Wirkkala wurde 1954 in Helsinki, Finnland, geboren und lebt und arbeitet in Espoo, Finnland. Sie studierte an der University of Art and Design in Helsinki sowie an der École des Beaux-Arts in Aix-en-Provence. Seit den 1980er-Jahren schafft sie vorwiegend ortsspezifische Installationen. Im KULTUM wurde Wirkkala bereits in der Ausstellung Maaria Wirkkala: SHARING (2011) sowie in den Gruppenausstellungen HIMMELSCHWER. Transformationen der Schwerkraft (2003), MITLEID | compassion (2012), reliqte, reloaded: Zum Erbe christlicher Bildwelten heute (2015/16) und VULGATA. 77 Zugriffe auf die Bibel (2017) gezeigt.

Foto: Adnan Babahmetovic
Maaria Wirkkala: NUN MEHR – MEANTIME
Bis 20. Juli 2025
Di–Sa 11–17 Uhr, So 15–18 Uhr
KULTUMMUSEUM
Mariahilferplatz 3, 8020 Graz (Kurator: Johannes Rauchenberger)
Kuratorenführungen: 19.7., 11.15 Uhr