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Von der Transzendierung von Zeit und Raum

Maaria Wirkkala, Wait to be fetched, 2010; Video (Lahti Historical Museum Finnland), Courtesy die Künstlerin.

Die finnische Künstlerin Maaria Wirkkala thematisiert in der Schau „NUN MEHR – MEANTIME“ im KULTUM mit praller Schönheit die Abgründe unserer Existenz und der derzeitigen Welt.

In der Ausstellung Himmelschwer (Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas) hat sie Graz mit ihren vier goldenen Leitern (u. a. über dem Landhaus und der Burg) verzaubert, nach dem Umbau 2011 bestritt sie mit der Ausstellung Sharing die erste Einzelausstellung in den damals neuen Räumen des KULTUM: Die finnische Künstlerin Maaria Wirkkala. Ein Zug von Tieren balancierte damals in schwindelnder Höhe über den Klosterhof. In den damals neuen Lehmwänden hatte sie eine „Permanent Collection“ eingelassen: Bilder aus der Frührenaissance – Fragmente von Postkarten – befinden sich immer noch hinter der vernarbten Wand. „Das war der Anfang der Museumsidee für Gegenwartskunst und Religion, die nun, mit der jüngsten Erweiterung zum 50. Geburtstag des KULTUM, Wirklichkeit wird“, so Johannes Rauchenberger, Leiter des Kulturzentrums bei den Minoriten. Aus diesem Grund wurde Wirkkala – bevor die Sammlung im steirischen herbst das erste Mal gezeigt wird – nun erneut eingeladen und gebeten, die nun ganz neu gerichteten und miteinander verbundenen Museumsräume mit einer großen Ausstellung mit der ganzen Poesie ihrer Arbeit zu bespielen. Die NUN MEHR – MEANTIME betitelte Schau handelt von der Transzendierung von Zeit und Raum und erzählt von der Verbindung unterschiedlicher Weltanschauungen, ja Kontinente. Wirkkala setzt damit mit Ästhetik einen Kontrapunkt gegen Hass und Spaltung. „Sie macht die Würde von Orten sichtbar und lässt uns dabei eine andere Gegenwart durch Kunst erahnen“, so Rauchenberger, der die Schau kuratiert.

Maaria Wirkkalas Installation SO WHAT im Kreuzgang des Grazer Minoritenklosters 2011

NUN MEHR – MEANTIME

„Der Ausstellungstitel beharrt auf die Leerstelle: Nicht ein penetrantes ‚NUNMEHR‘, sondern eine kühne Behauptung: NUN MEHR! Man mag das ‚Meer‘ dabei hören. Mehr noch das existenziell unersättliche ‚Mehr‘, das im Lateinischen das ‚Magis‘ meint“, so Rauchenberger. Den Beginn der Ausstellung markiert erneut der Klosterhof, dessen Kreuzgang aus dem beginnenden 17. Jahrhundert mit seinen toskanischen Säulen 2020/21 umfassend saniert wurde. Doch eines wurde dabei vergessen – bis heute: Die erste Stufe ist noch immer ein Provisorium eines Pfostens. Maaria Wirkkala macht nun einen klaren Anfang für dieses neue Museum: Sie ersetzt die erste Stufe mit einer massiven Eichenstufe und vergoldet die Höhe zur Trittfläche. „Eine kleine Geste nur. Doch sie lässt dieses Treppenhaus nunmehr nicht einfach eine Stiege sein, um ins nächste Geschoß zu kommen. NUN MEHR! An Kunst“, erklärt Rauchenberger. Jeder der Räume erhält in der Ausstellung seine ganz eigene, ganz sinnliche und ästhetische Evidenz. So wird die Permanent Collection wieder geöffnet und eine Chapel for Something Else wird eingerichtet. Dabei ist der Schatten realer als die Wirklichkeit. Aus dem alten Turm strömen Steine, in ihm zu sehen ist jene Kinderzeichnung der damals vierjährigen Maaria mit ihren „Enkeli“ (Engel), die noch heute reproduziert wird und zu der 2011 die Tiere über dem Klosterhof flüchteten. Eine Metapher für die Flüchtenden weltweit. 

Maaria Wirkkala legt 2011 ihre Permanent Collection frei

Nachdenken über den Tod

Ein großes Foto holt Istanbul in die Ausstellung hinein: Unaccompanied Luggage transzendiert in einer alten Säulenhalle Verlorenheit und Würde, die Angst vor Bomben im Gebäck. Es wurde in der Yerebatan-Zisterne, einer antiken Wasserzisterne in Istanbul aufgenommen. In den leeren Gängen hallen Schritte und konzentrieren dieses alte Gebäude auf den nächsten Ort der Kontemplation. Geflammte Lagerboxen bergen das Volumen eines Menschen, einen goldenen Ring, eine zerbrochene Leiter, eine Kugel aus Glas, einen vergoldeten Stuhl. Und Wasser tropft von der Decke in ein großes Gefäß. Einen Stock tiefer, im großen Ausstellungsraum, ist ein Breitbandvideo zu sehen, das eine alte Kutsche ins Bild kommen lässt, die in den Lüften schwebt. Ihr Ziel ist ihr Auftrag: Wait to be fetched. Das Nachdenken über den Tod ist Teil der Schau. Doch davor, am Eingang, empfängt ein roter Luftballon, der zart ein kleines Zebra führt, das am Boden grast, das Publikum.  

Maaria Wirkkala, Permanent Collection, 2011

Zu sehen bis 20.7.2025
(Di–Sa 11–17 Uhr, So 15–18 Uhr)

Kuratorenführungen:  Sa, 21.6., 5.7, 19.7.; jeweils 11.15 Uhr

Maaria Wirkkala, Unaccompanied Luggage, 1995
Foto: Murat Germen

KULTUM – Zentrum für Gegenwart, Kunst und Religion in Graz
Kulturzentrum bei den Minoriten
Mariahilferplatz 3, 8020 Graz

www.kultum.at