In Erinnerung an das Ende von Krieg und NS-Diktatur in Österreich vor genau 80 Jahren veranstaltete die Kunstuni Graz am 7. Mai 2025 einen Gedenktag: Ein Kammermusikkonzert rückte fast vergessene musikalische Stimmen ermordeter und emigrierter Komponistinnen und Komponisten in den Fokus. Um die Wiederentdeckung solcher Künstlerinnen und Künstler bemühte sich bereits in den 1950ern der Intellektuelle und KUG-Professor Harald Kaufmann (1927–1970), dem am 7. Mai ein Symposium gewidmet war. Kaufmann wird zudem zum Namenspatron des bisherigen Kleinen Saals im Palais Meran.
Ilse Weber, 1903 als Ilse Herlinger im heutigen Tschechien geboren, war eine deutschsprachige Dichterin und Komponistin, die als Jüdin 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Ihr berühmtestes Werk, das Schlaflied Wiegala, entstand im KZ Theresienstadt, wo sie in der Kinderkrankenstube arbeiten musste. Mit anderen ihrer Arbeiten wurde es von Ilse und ihrem Mann Willi vor Ort eingemauert. Willi Weber, der den Holocaust als Zwangsarbeiter überlebte, konnte es dort nach Kriegsende für die Nachwelt bergen.
Fast vergessene musikalische Stimmen
Eine Instrumentalfassung von Wiegala stand im Zentrum des KUG-Konzerts am 7. Mai 2025. Eröffnet wurde dieses mit einem Streichtrio des tschechisch-jüdischen Komponisten und Klaviervirtuosen Gideon Klein, der 1944 – kurz nach Vollendung dieser Komposition – im Auschwitz-Außenlager Fürstengrube starb. Den Abschluss des Programms bildete das im Lager Görlitz komponierte und 1941 uraufgeführte Quatuor pour la fin du temps von Olivier Messiaen.
Harald Kaufmann und sein unveröffentlichtes Buchprojekt Geist aus dem Ghetto
Das Bemühen um die Wiederentdeckung von Komponist*innen und anderen Künstler*innen, die durch das verbrecherische NS-Regime ermordet oder vertrieben worden waren, zählt zu den zahleichen Verdiensten Harald Kaufmanns. Der KUG-Professor und Gründer des heutigen Instituts für Musikästhetik beschäftigte sich bereits in den 1950er Jahren intensiv mit der von den Nationalsozialisten systematisch zerstörten jüdischen Kultur in Österreich. Über zehn Jahre lang arbeitete er an einem Buch, das den Titel Geist aus dem Ghetto tragen sollte und unveröffentlicht blieb. Diesen Pioniergeist würdigte die KUG am 7. Mai 2025 mit einem Symposium und einem Festakt, bei dem die Journalistin Danielle Spera, KUG-Professor Andreas Dorschel, Kaufmann-Experte Gottfried Krieger, Werner Grünzweig (Musikarchiv der Akademie der Künste in Berlin), Gerald Lamprecht (Universität Graz) und Herwig Hösele (Zukunftsfond der Republik Österreich) sprachen. Zudem benannte Rektor Georg Schulz den bisherigen Kleinen Saal im Palais Meran nach Harald Kaufmann, den es als eine der prägenden Persönlichkeiten in der jüngeren Geschichte der KUG wiederzuentdecken und in Erinnerung zu behalten gilt.

Foto: Akademie der Künste Berlin / Harald Kaufmann Archiv
Eine zentrale Figur für Graz als Forum der Avantgarde
Harald Kaufmann studierte in Graz Philosophie sowie Musikwissenschaft und dissertierte 1948 bei dem Alexius-Meinong-Schüler Ferdinand Weinhandl. Seit 1947 war Kaufmann als Musikkritiker, von 1961 an als Kulturredakteur der Tageszeitung Neue Zeit tätig. In österreichischen, deutschen und schwedischen Zeitungen wirkte Kaufmann als Publizist, für den Österreichischen Rundfunk sowie für deutsche Rundfunkanstalten (u. a. WDR, NDR, Bayerischer Rundfunk, RIAS Berlin) verfasste er regelmäßig Sendereihen. Als Musikkritiker setzte er sich nicht nur mit zeitgenössischen Kompositionen der Kunstmusik, sondern auch mit Jazz auseinander. Bereits in den Monaten nach Ende des Zweiten Weltkriegs beteiligte sich Kaufmann am Wiederaufbau der Urania für Steiermark. Kaufmann war ein wichtiger Wegbereiter des musikprotokoll im Rahmen des seit 1968 stattfindenden Festivals steirischer herbst, er sprach beim Europäischen Forum Alpbach und in Darmstadt. Ihm kam ein beachtliches Verdienst zu, Graz zu einem Forum für zeitgenössische und avantgardistische Musik zu machen.
Austausch mit Adorno, Brendel, Cerha, Freundschaft mit Ligeti
1967 wurde Kaufmann zum Vorstand des neu gegründeten Instituts für Wertungsforschung an der Grazer Musikakademie (heute Institut für Musikästhetik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz) ernannt und 1970, kurz vor seinem Tod, als ordentlicher Professor berufen. Die inhaltliche und methodische Konzeption des Instituts ging dabei auf Kaufmann selbst zurück. Am ersten Symposion des Instituts war unter anderem Theodor W. Adorno beteiligt, der auch zu den von Kaufmann herausgegebenen Studien zur Wertungsforschung Beiträge lieferte. Kaufmann war zudem ein enger Freund György Ligetis und hatte Briefkontakte zu weiteren Persönlichkeiten des Musiklebens – u. a. zu Alfred Brendel, Friedrich Cerha, Luigi Dallapiccola, Herbert Eimert, Ernst Krenek und der Witwe Alban Bergs, Helene Berg.