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Von der Oper auf den Gipfel

Wenn das Navi recht hat, sind es vom Opernhaus in Graz bis zum Schloss Trautenfels im Ennstal etwas mehr als 130 Kilometer. Die Strecke ist das Team von La Strada in den vergangenen Monaten wohl des Öfteren gefahren. Was aber führt ein Festival aus Graz überhaupt so weit hinaus aufs Land – und von dort noch weiter bis zu den Gletschern des Dachstein?

Text: Wolfgang Kühnelt

Beginnen wir im urbanen Zentrum des Geschehens. In Graz. Dort ist das Opernhaus seit 25 Jahren ein wichtiger Aufführungsort für das Internationale Festival für Straßenkunst, Figurentheater, Neuen Zirkus und Community Art. Ziemlich praktisch: In unmittelbarer Nachbarschaft ist auch das Team von La-Strada-Intendant Werner Schrempf angesiedelt. Was uns schon zur nächsten Frage bringt: Was spielt es heuer im Sommer in der Oper?

Das Publikum von La Strada darf sich auf eine poetische Sinnsuche zwischen Zirkus und Tanz mit dem Titel Qui som? freuen. Zu Deutsch: „Wer sind wir?“ Die französisch-katalanische Gruppe Baro d’Evel führt uns von 2. bis 4. August auf eine energiegeladene, farbenfrohe, aber auch nachdenkliche Reise in die Identität als Mensch, als Clown, als Akrobat:in und als Tänzer:in. Wie kann man angesichts der aktuellen Weltlage noch komische und verträumte Geschichten erzählen? Wie kann man Überreste der Konsumgesellschaft für ein Bühnenbild nutzen? Und was macht uns alle am Ende wirklich aus?

Baro D´Evel
Foto: Passerini

Die Diversität der Rollen und Individuen wird noch verstärkt durch die Auftritte von Kindern, die unsere Zukunft verkörpern. Baro d’Evel wird bei dieser Sinnsuche lokale Künstlerinnen und Künstler zur Beteiligung einladen. Auch das Opernhaus selbst wird eine Rolle spielen. So entsteht in Koproduktion mit La Strada ein Gesamtkunstwerk, das an jedem Aufführungsort verschieden ist. Die Gruppe unter der Leitung von Camille Decourtye und Blaï Mateu Trias, die in wenigen Monaten ihr 25-jähriges Bestehen feiert, begeisterte in Graz bereits mit den Programmen Bechtout, I, Le Sort du Dedans, Mazut und Bestias. Die neue,   hintergründige und wendungsreiche Produktion wurde seit September 2022 erarbeitet und geht mit 22 Menschen auf Tour. Kleiner Tipp für Ungeduldige: Der Kultursender ARTE zeigt eine Aufzeichnung der Uraufführung in Avignon am 6. Juli.

Bevor wir auf den Berg reisen, noch ein Hinweis für alle, die Zirkuskunst im Park erleben wollen: Der finnisch-französische Cirque Äital tritt im Grazer Augarten auf. Die Gruppe wird nicht nur ein Zelt aufstellen, sondern im Rahmen ihres Stücks À Ciel Ouvert einen abenteuerlich-chaotischen Spielplatz (im doppelten Wortsinn) errichten, der Elemente des Bauernhofs, des Nomadenlagers und des traditionellen Dorfes verbindet und neu interpretiert. Die Frage ist hier nicht: Wer sind wir? Sondern: Wer sind diese Menschen und was um Himmels willen machen sie hier?

Im Ennstal und im Salzkammergut, mehr als 130 Kilometer entfernt, werden ebenfalls zentrale Fragen der Menschheit mit künstlerischen Perspektiven gestellt. Man könnte in Abwandlung von Baro d’Evel sagen: „Wer und wie werden wir in Zukunft sein?“ Seit dem Auftakt von Signal vom Dachstein – einer Landschaftsoper der niederländischen Klangkünstler Strijbos & Van Rijswijk, die 2021 zur Sommersonnenwende einmalig auf dem Hallstätter Gletscher zu erleben war – bespielt das Team von La Strada den höchsten Berg der Steiermark immer wieder auf unterschiedliche Art. Es folgten wissenschaftlich begleitete Wanderungen und künstlerische Interventionen unter anderem mit dem Dichter, Denker und Hirten Bodo Hell.       

Baro d’Evel
Foto: Salvador Sunyer

Das Signal vom Dachstein wird nun von 1. Juni bis 3. November 2024 all diese Zugänge bündeln und sowohl auf den Gipfel als auch ins Tal bringen. Ein wesentlicher Schau-Platz ist wiederum der Gletscher als Archiv für Natur- und Kulturgeschichte, der unter unserer angeblichen Zivilisation sichtbar leidet. Es wird daher auch ein Signal für Artenvielfalt zu hören sein. Themen wie Wald und Weide, Geologie, Meteorologie, Glaziologie und die Frage der touristischen Nutzung eines einmaligen Naturraums werden nunmehr vertiefend bei Veranstaltungen gemeinsam mit Künstler:innen und Wissenschafter:innen diskutiert.

Fünf heimische Künstlerinnen und Künstler sind besonders in das Geschehen involviert. Marie-Theres Härtel, Christoph Huber, Katharina Pfennich, Christoph Szalay und Stefanie Weber-hofer setzen sich auf Einladung von La Strada seit 2021 mit der Landschaft auseinander. Sie sind in der Region aufgewachsen und bemerken deutlich, wie sich das Klima ändert – und damit sind nicht nur die steigenden Temperaturen gemeint. Ihnen zur Seite stehen Mentorinnen und Mentoren: Toni Burger, Barbara Frischmuth, Peter Gruber, Bodo Hell und Ernst Huber.
Allesamt auch in enger künstlerischer Beziehung zur Region. Die Dänin Nana-Francisca Schottländer erweitert das Projekt mit Recherchen am Berg und einer Residency. Ihre Arbeit in der Region wird bei La Strada 2025 ihren Abschluss finden.

Signal vom Dachstein
Foto: Susanne Posegga

Zurück in die unmittelbare Zukunft: Im Marmorsaal des Schlosses Trautenfels findet das „Signal“ von 1. Juni bis Anfang November 2024 einen Ort der Manifestation. Eine audiovisuelle Installation, die in Kooperation mit dem Universalmuseum Joanneum entsteht, zeigt künstlerische Positionen, aber auch Video- und Soundaufnahmen vom Gletscher. Am 2. Juni wird in der Türlwandhütte in der Ramsau der Dachsteinklang, eine Auftragskomposition von Marie-Theres Härtel, mit ihrem Ensemble uraufgeführt. Bei der Diskussion zuvor zum Thema Meteorologie und Klima wird unter anderem Klima-Aktivist und Ex-Skiprofi Julian Schütter zu Wort kommen. Nach diesem Auftakt gibt es Kulturveranstaltungen und eine Diskussionsreihe, die sich durch die gesamte Region ziehen. Auf der Seewiese in Altaussee geht es am 29. Juni um die Artenvielfalt. Am 6. Juli folgt ein Workshop samt Diskussion in Weißenbach bei Haus. An jedem der Signal-Abende fließen Elemente wie Musik und Literatur in das Programm ein. Den vorläufigen Abschluss findet die Reihe am 2. November in der Bergstation Hunerkogel mit Beiträgen von Barbara Frischmuth, dem Musiker Paul Plut und Christoph Szalay. Ob Sie nun lieber auf knapp 3.000 Metern über die Zukunft nachdenken oder in der Oper über die eigene Identität, auf der Website lastrada.at und in unserer Infobox finden Sie alle nützlichen Informationen. Gute Reise!

Terminübersicht „Signal vom Dachstein“

Eröffnung der Ausstellung im Schloss Trautenfels
Zur Eröffnung der audiovisuellen Installation „Signal vom Dachstein“ im Schloss Trautenfels präsentiert Marie-
Theres Härtel mit ihrem Ensemble Auszüge aus ihrer im Rahmen des Projektes entstandenen Komposition „Dachsteinklang“. Gemeinsam mit den Künstler:innen wird auf das Projekt und die damit verbundenen Fragestellungen reflektiert.

Ein Projekt in Kooperation mit dem Universalmuseum Joanneum begleitend zur aktuellen Ausstellung des Schloss Trautenfels „Mensch, Welt und Ding – Eine Region erzählt“

Eröffnung: 1.6., 11 Uhr
täglich bis 3.11.2024, 10–17 Uhr
Schloss Trautenfels

Cirque Äital
Foto: Mario del Curto

Meteorologie und Klima
Marie-Theres Härtel präsentiert mit ihrem Ensemble zum ersten Mal ihre Komposition „Dachsteinklang“ in einem vollständigen Konzert. Zuvor gibt ihr Mentor, der in Gröbming geborene Literat Peter Gruber einen literarischen Impuls und diskutiert mit dem Klimaforscher Reinhard Steurer (Boku Wien), dem Meteorologen Albert Sudy sowie dem Klimaschutzaktivisten Julian Schütter.

2.6.
17 Uhr: Diskussionsveranstaltung mit Künstler:innen und Wissenschafter:innen
19 Uhr: Uraufführung „Dachsteinklang“ von Marie-Theres Härtel
Türlwandhütte, Ramsau

Artenvielfalt
Mit künstlerischem Input von Stefanie Weberhofer und Bodo Hell sowie dem Wissen von Thomas Kranabitl (Revierleiter der Bundesforste und Experte für Artenvielfalt in der Region) und dem Biodiversitätsforscher Franz Essl (Universität Wien) nähern wir uns in Altaussee Fragen rund um das Thema Artenvielfalt. Im Anschluss an die Diskussion zeigt Stefanie Weberhofer erstmals ihr Filmprogramm zum Projekt „In Bewegung – Super8 Filmprojektionen“.

29.6., 19 Uhr, Seewiese Altaussee

Geologie – Woher kommt der Dachstein?
Die dänische Choreografin und Tänzerin Nana-Francisca Schottländer teilt ihre Erfahrungen im Dachsteingebiet und diskutiert gemeinsam mit Susanne Posegga (Wanderführerin, Fotografin und Künstlerin), Geologe Ingomar Fritz (Universalmuseum Joanneum) und Geograf und Gletscherforscher Gerhard Lieb (Universität Graz). Mit musikalischer Begleitung von Celia Moosbrugger dreht sich der Abend rund ums Thema „Geologie“.

6.7., 11 Uhr
Künstlerischer Workshop mit Nana-Francisca Schottländer (DK)
Weißenbach bei Haus

6.7., 19 Uhr
Diskussionsveranstaltung mit Künstler:innen und Expert:innen
Weißenbach bei Haus, Schwabenstall

Glaziologie

Mit Musik von Toni Burger, klanglich-künstlerischen Beiträgen von Katharina Pfennich aus dem Inneren des Gletschers und des Berges und der Glaziologin Giulia Bertolotti (Österreichische Akademie der Wissenschaften), die sich täglich mit dem Abschmelzen der Gletscher in Österreich und darüber hinaus beschäftigt, wird auf der Seethalerhütte diskutiert.

15.9., 11 Uhr, Seethalerhütte

Wald und Weide

Christoph Huber präsentiert erstmals sein bebildertes Hörspiel „Gestern hat’s grengt – Geschichten aus dem Königreich“. Mit Ernst Huber (Musiker & Mastermind Broadlahn) und Christoph Huber leisten neben Franz Titschenbacher (Präsident der Landwirtschaftskammer) und Andreas Pircher (Revierleiter Kemetgebirge der Bundesforste) zwei Künstler einen Beitrag zur Diskussion rund um das Thema Wald und Weide. Einen interdisziplinären Zugang zum Thema bringt Klimaforscher Holger Hoff (Wegener Center, Universität Graz) mit in die Runde.

20.9., 19 Uhr, Schloss Trautenfels

Tourismus und Infrastruktur

In der neu gestalteten Bergstation findet die abschließende Diskussion mit künstlerischen Beiträgen der Literaten Christoph Szalay und Barbara Frischmuth und fachlichem Input von Klimaforscher Douglas Maraun (Wegener Center, Universität Graz) sowie Georg Bliem als Experte für Tourismus eine besonders spannende Verortung. Paul Plut kreiert für diesen Abschlussabend ein eigenes musikalisches Programm, das nachhaltig in den Köpfen der Besucher:innen widerhallen wird.

2.11., 16.30 Uhr, Bergstation Dachstein-Südwandbahn

LA STRADA-VERANSTALTUNGSTIPPS

Baro d’Evel „Qui Som?“
2.–4.8., 19.30 Uhr, Oper Graz
Dauer: 120 min

Cirque Äital „À Ciel Ouvert“
27.7–3.8., 20 Uhr, Augarten
Dauer: 60 min

Marie Therese Härtel

Weitere Informationen zum Programm: www.lastrada.at