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Avantgarde im Arbeiterviertel

Dienstag bis Donnerstag ist das Café Wolf in der Annenstraße als Platz für Avantgarde geöffnet Foto: Ina Högler

Hidden Space mit Anspruch: Die ehemalige Espresso-Bar Café Wolf in der Annenstraße hat sich in den letzten Jahren als international gefragte Lieblingslocation der Musiker*innen etabliert. Der sicher kleinste Konzertsaal der Stadt besticht mit guten Getränken, erstklassigem Programm und jeder Menge Charme.

Text: Lydia Bissmann

Kleine Beisl, Cafés und Kneipen sind nicht erst seit den Filmen Vienna Calling (2022) oder Voodoo Jürgens’ ­Rickerl (2024) Sehnsuchtsorte, die allerdings vom Aussterben bedroht sind. Was in Wien noch an vielen Ecken als Schmauswaberl, Café Einstein oder Café Stadtbahn existiert, muss man in Graz schon mit der Lupe suchen. Fündig wird man hier in der Annenstraße. Seit über sieben Jahren betreiben Michael Stoiser und Thomas Maitz das Café Wolf am Roseggerhaus. An drei Tagen in der Woche werden hier Konzerte, Lesungen, Poetry-Slams, Impro-Sessions, DJ-Abende und vieles mehr veranstaltet. Möglich macht die gelungene Verbindung von sorgfältig gehegtem Retro-Charme und zeitgenössischer Musik ein dichtes Netz an Beziehungen mit der freien Szene, ein international erstklassiger Ruf als entspannte Mini-Location mit Anspruch und sehr viel Herzblut und unbezahltes Engagement der beiden Betreiber.

Aufsperren, damit es nicht zusperrt

„Ich wollte eigentlich nur nicht, dass das hier aufhört. Wie das funktionieren soll, darüber haben wir nicht so richtig nachgedacht“, erzählt Thomas Maitz, der im Café Wolf nicht nur einen großen Teil seiner Schulzeit verschwänzt hat. Als Inhaber eines Kindermöbel-Ladens in der Kernstockgasse suchte er auch als Erwachsener im Café Wolf Entspannung und Muße. Gemeinsam mit dem Architekten Michael Stoiser, mit dem er in den frühen Neunzigern in der Band „Plazma” gespielt hat, sprang er ins kalte Wasser und entschied sich spontan zur Übernahme. Der Dritte im Bunde ist Walter Wolf, der Sohn des Gründers der ersten Espresso-Bar in Graz, der hier mit einer nagelneuen Kaffeemaschine 1931 aufsperren und jahrzehntelang erstklassigen italienischen Kaffee neben Fernseher und Juke Box servierte. „Im Kopf hatten wir so eine Idee von einem virtuellen Ort für gute Musik – wenn es sein muss, auch ohne Publikum“, erklären die beiden​​, die das Café Wolf neben ihren Vollzeitjobs am Leben erhalten. Diese Befürchtung bewahrheitete sich zum Glück nicht. Schon der erste Tag war ein Riesenerfolg mit vollem Haus, was sich auch die nächsten Monate nicht veränderte. Inzwischen sind aus einem Spieltag drei geworden. Dienstag, Mittwoch und Donnerstag gibt es nun Konzerte mit freiwilliger Spende, hochwertige Getränke zu akzeptablen Preisen und nicht zuletzt eine angenehme Atmosphäre, in der sich jede und jeder wohlfühlen kann. Das bunt gemischte Publikum besteht aus Nachbarn, Kunstschaffenden und ihren Freunden und auch Touristen. „Viele kommen aus dem B & B Hotel beim Bahnhof. Die sind oft aus Berlin oder Hamburg und total begeistert von uns, weil bei ihnen daheim alles schon so verhipstert ist.“

Thomas Maitz und Michael Stoiser betreiben das Café Wolf neben ihren Vollzeitjobs
Foto: Ina Högler

Intensivbetreuung und Frauenquote

Grund für die wohlwollenden Gäste ist das erstklassige Programm, das sich quer über alle Genres erstreckt. „Es muss immer Avantgarde sein und Mut zum Provozieren haben.“ Jazz, Indie, Punk, Doom, Deathmetal, aber auch Volksmusik und sogar eine Operetten-Uraufführung hat das Café Wolf schon gesehen. Obwohl es sehr, sehr kleine Gagen gibt, die hauptsächlich aus der freiwilligen Spende und dem Getränkeumsatz bestritten werden, kommen bis zu fünf Konzertanfragen pro Tag. Von den Musiker*innen selbst, nicht von den Agenturen. „Mehr oder weniger füllen wir eine Lücke aus – einerseits als Location, die mit 46 Sitzplätzen zwischen Club und Café liegt, aber auch als Lücke im Konzertkalender. Manche spielen bei uns zwischen Gigs in Wien und Zagreb, wenn sie einen Tag Pause haben.“ Umsichtige Betreuung ist Pflicht im Café Wolf und lohnt sich auch. „Wir denken, der Schlüssel zu unserem Erfolg bei den Künstler*innen ist, dass wir einfach Super-Hosts sind. Wir haben eine grandiose Akustik hier, kümmern uns gut und gerne um unsere Artists, verbringen Zeit mit ihnen und schenken ihnen Café-Wolf-Leiberln, wenn sie durchgeschwitzt sind oder auf ihrer Tournee nichts Frisches mehr zum Anziehen haben.“ Das ist kein Verlust, da die hochwertigen T-Shirts aus fair produzierter Bio-Baumwolle gerne bei Video-Interviews getragen werden. Übernachten dürfen die Künstler*innen immer im Lend Hotel, was durch eine Kooperation möglich ist. „Voriges Jahr hat etwa Ted Milton von Blurt bei uns gespielt. Der 80-Jährige ist seit 60 Jahren Punk und hat gemeint, er hätte noch nie in seinem Leben in einem so schönen Hotel geschlafen.“ Großer Wert wird beim Booking auch auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis gelegt. Die Frauenquote liegt bei über 50 Prozent. Beim Live-Programm und auch auf dem Café-Wolf-Sampler, der 2020 mit engagierter Unterstützung von Rostfest-Mitorganisator Uwe Gallaun als echte Platte produziert wurde. Hier finden sich Nummern von Moet, Bernhard Lang, Fritz Ostermayer, Lothar Lässer, Petra und der Wolf oder Anna Anderluh.

Beziehungsarbeit

Beim Filmfestival Diagonale wird das Café Wolf gerne für Premierenfeiern benutzt, das Elevate bucht es gerne als Hidden Space, das musikprotokoll im Herbst ist jährlicher Fixpunkt im Kalender. Kooperationen gibt es u. a. mit der Kunstuni Graz, verschiedenen Einrichtungen des Joanneum, lokalen Vereinen (Grrrls, Werk02 …) und Verlagen (z. B. Droschl). Feministische Texte von Christine Nöstlinger performte kürzlich das Trio Schülande Engaling im Café Wolf. Einmal im Monat ist der Institute 16 Archive Pleasure Social Club mit seinem immensen Archiv an Vinyl zu Gast, mit dem Grazer Impro Klub GIK und electronic playground wird an zwei Abenden im Monat regelmäßig improvisiert. Voodoo Jürgens oder Titus Probst geben hier gerne in passender Kulisse Interviews, der Musiker und Slam-Poet Estragon 8020 drehte hier sein Video für den Track „Vodka Makava“. Damit der Bezug zur heimischen Szene nicht verloren geht, ist ein Tag in der Woche den Grazern vorbehalten. Geplant wird der Mittwoch von Rainer Binder-Krieglstein, der schon von Anfang an dem Café Wolf seine musikalische Expertise und seine Kontakte zur Szene zur Verfügung gestellt hat.

Konservieren und weiterentwickeln

Hinter dieser scheinbaren Nonchalance steckt aber viel Arbeit und Konsequenz. Auch der charmante Raum selbst hat seine Ansprüche. In den vergangenen Jahren mussten Toiletten saniert, neue Leitungen verlegt, der Boden ausgetauscht oder die Bänke neu überzogen werden. Bei der Renovierung wird die gleiche Sorgfältigkeit an den Tag gelegt wie beim Booking. „Wir wollen konservieren, aber trotzdem weiterentwickeln, so wie man es eben machen sollte“, betont Michael Stoiser, der als Architekt dafür bestens gerüstet ist. Geht etwa ein Original-Lampenschirm in Brüche, wird er mühevoll geklebt oder es werden Stunden darauf verwendet, einen entsprechenden Ersatz zu finden. Damit den Künstler*innen etwas mehr Gage gezahlt werden kann, dringend benötigte Ausbesserungen vorgenommen oder mehr kuratorische Arbeit entlohnt werden können, wurde ein Verein gegründet, mit dem um Programm- oder Standortförderungen angesucht werden kann. „Alle, die sich und ihre Ressourcen gerne einbringen möchten, sind herzlich eingeladen, bei uns mitzumachen. Egal, wie alt – unser Verein heißt schließlich ‚Generationen Arbeiten Zusammen‘.“ Neben angesuchten Förderungen stehen noch eine dringend benötigte Genehmigung für einen Gastgarten und unbedingt mehr Lokale in der Annenstraße, wo in den vergangenen 20 Jahren mehr zugesperrt als neu eröffnet wurde, auf dem Wunschzettel. Überhaupt nichts ändern will man an den Öffnungszeiten. Am Wochenende bleibt das Café Wolf zu. Schließlich wollen Michael Stoiser und Thomas Maitz selbst auch einmal ausgehen.           

Café Wolf
Annenstraße 18, 8020 Graz
Di–Do: 18–2 Uhr
www.cafewolf.at