Start Featureshome Dramatische Vernetzungen im Hier und Jetzt

Dramatische Vernetzungen im Hier und Jetzt

Der Autor Christian Winkler nennt sich als Regisseur Franz von Strolchen und spielt manchmal selbst in seinen Stücken mit Foto: Edi Haberl

Das Theater am Lend fördert zeitgenössische Dramatik. Mit drei jungen, international tätigen Regisseur*innen werden nun kontinuierlich Eigenproduktionen realisiert und gezeigt, welche Möglichkeiten Text und Sprache im zeitgenössischen Theater bieten können.

Text: Lydia Bißmann

„Es gab einfach zu wenig Spielstätten für die freie Szene in der Stadt“, erinnert sich Edith Draxl, die gemeinsam mit Constanze Dennig 2007 das Thea­ter am Lend (TaL) aus der Taufe gehoben hat. Gezeigt werden hier neben Gastspielen aus den Bereichen Neue Musik und OFF Theater wie die des Griessner Stadl oder des Theater Mezzanin Eigenproduktionen mit Augenmerk auf zeitgenössische Theatertexte und junge Dramatiker*innen, die sich mit Alternativen zum klassischen Dialogtheater beschäftigen. Viele davon kommen aus dem Umfeld des von Edith Draxl initiierten Drama Forums, das mit dem Dramatiker:innenfestival und dem renommierten Retzhofer Literaturpreis überregionale Strahlkraft besitzt. Textentwicklung, die Vernetzung von Dramatiker*innen mit Regisseur*innen und Theatermacher*innen sind zentrale Anliegen. Diese Kontinuität hat sich bezahlt gemacht: In den vergangenen 15 Jahren konnte sich das Theater am Lend als wichtiger Ort zeitgenössischer Dramatik im deutschsprachigen Raum etablieren. Der flexibel bespielbare und technisch voll ausgestattete Theatersaal bietet Platz für 99 Besucher*innen, das großzügige Foyer im 80er-Jahre-Ambiente ist zugleich gemütliche Bar und kann auch für Ausstellungen, Gespräche, Diskussionen oder kleinere Spielprojekte genutzt werden. Seit 2017 ist das Theater am Lend Mitglied der Theaterallianz, einer Vereinigung von freien Bühnen, zu der aktuell noch das Schauspielhaus Wien, das Theater Kosmos Bregenz, das Schauspielhaus Salzburg, das Klagenfurter Ensemble und das Theater Phönix in Linz gehören. Die Theaterallianz versteht sich als Zusammenschluss von freien Theatern aus unterschiedlichen Bundesländern und vergibt seit 2016 alle zwei Jahre einen Autor*innenpreis. Die mit 9.500 Euro dotierte Auszeichnung zählt zu den höchstdotierten Preisen für neue Dramatik im deutschsprachigen Raum.

Regie mal drei

Die Wiener Dramatikerin Anah Filou alias Effe U. Knust gewann den Preis im Vorjahr zwar nicht, das Thea­ter am Lend fand aber so viel Gefallen an ihrem eingereichten Text, dass im November Knusts kapitalismuskritisches Stück Aus Aktuellem Anlass: Delphine in Triest unter der Regie von Anja Wohlfahrt produziert und im Februar 2023 uraufgeführt wurde. Mit großem Erfolg. Die Regisseurin Anja Wohlfahrt war nach einer Tanzausbildung im Klagenfurter Ensemble, später am Grazer Schauspielhaus als Regisseurin und Choreografin tätig, wo sie zuletzt bei Hello Goodbye, der Abschiedsproduktion der Intendanz von Iris Laufenberg Regie führte. Außerdem ist sie auch organisatorische Leiterin des InTaKT Festivals und hat eine Doku über Liebe und Sexualität von Menschen mit Beeinträchtigung gedreht. Sie ist eine von jenen drei jungen Künstler*innen, die künftig jedes Jahr jeweils zumindest eine Produktion im Theater am Lend inszenieren werden. Schon im November steht mit Das gelbe Trikot eine neue Zusammenarbeit von Knust und Wohlfahrt am Spielplan, die sich mit den Themen Ballett, Leistungsdruck und Körperbild beschäftigt. Selbstgewählte Isolation als Widerstandsmoment war hingegen Thema von WUMAN ON A SOFA, einem Stück von Felix Hafner, das im Mai 2023 im Theater am Lend uraufgeführt wurde. Gemeinsam mit dem FRANZ Pop Collective verfasste Hafner den Text zur Performance, die gleichzeitig Popkonzert und queer-feministische Reflexion über das Alleinsein ist. Der 32-jährige aufstrebende Regisseur aus dem steirischen Maria Lankowitz ist an deutschsprachigen Bühnen sehr gefragt. Er inszenierte Sibylle Berg am Münchner Volkstheater, Nestroy mit Couplets von Peter Klien am Wiener Volkstheater oder Fjodor Dostojewski im Landestheater Innsbruck.

Regiesseurin Anja Wohlfahrt
Foto: Edi Haberl

Identität und Fiktion als Spielball

„Realität ist Fiktion, Fiktion ist Realität“, behauptet der Regisseur Franz von Strolchen. Der Dramatiker Christian Winkler dürfte das sehr ähnlich sehen, ist er doch sein Alter Ego und zugleich Erfinder des fiktiven Blaublütlers mit Geburtsort in der Bukowina, einem Herzogtum, das längst nicht mehr existiert. Vor 17 Jahren – im Jahr der Theater-am-Lend-Gründung – gewann Christian Winkler für das Stück Operation Kurczak and the Art of Camouflage den Retzhofer Literaturpreis, viele weitere Bühnentexte und Auszeichnungen folgten. Mehrsprachigkeit und eine Öffnung für unterschiedliche Kunstformen ziehen sich als roter Faden durch von Strolchens Produktionen. Er scheint sich in seiner Arbeit weder formal noch inhaltlich einzuschränken, sondern sucht – dem Eindruck nach mehr aus persönlicher Neugier denn aus Sendungsbewusstsein – immer wieder nach unbekanntem Terrain. Zwar treiben ihn die zahlreichen gesellschaftlichen Probleme um, als Weltverbesserer oder aktivistischen Regisseur à la Milo Rau sieht er sich jedoch nicht. Als Künstler möchte er keine Lösungen anbieten, sondern Verborgenes sichtbar machen.

Hundemania und Bootsrettung

Dramatisches von Franz von Strolchen ist am TaL-Spielplan gerade ganz aktuell präsent: Mit der Produktion Boji eröffnete der Regisseur das News­OFFstyria Festival, beim steirischen herbst ist sein in Hamburg beim Krass Kultur Crash Festival 2023 als Werkstattinszenierung gezeigtes Stück Das Schiff des Theseus zu sehen. Beiden sehr unterschiedlich angelegten Produktionen ist eine dokumentarische Arbeitsweise gemeinsam. Boji ist ein Stück aus der Perspektive eines herrenlosen Hundes, der von politischen Parteien für Propagandazwecke benutzt wurde. Für die Ausführung ließ von Strolchen ein riesengroßes Regal errichten, das mit komplizierter Technik den Hundemonolog optisch untermalt. Beim „Theseus“ ging er so weit, gemeinsam mit seinem Bühnenprota­gonisten Bernhard Perl jenes Feuerwehrboot ausfindig zu machen und als dramatisches Restaurationsprojekt im wahrsten Sinne auf die Bühne zu hieven, welches Bernhards Urgroßmutter 1938 nicht gerettet hat. Verzweifelt über die Repression durch die Nazis hat sich die Romni am Tag des österreichischen Anschlusses an Hitler-Deutschland in der Mur ertränkt.

Foto: Edi Haberl

Das gelbe Trikot
von Effe U. Knust, Regie: Anja M. Wohlfahrt, Uraufführung
Premiere: 9.11.2023. Vorstellungen: 10., 11., 23., 24., 25.11.2023, 20 Uhr

Boji
installative Performance von Franz von Strolchen. 6., 7., 14., 15., 16.12.23, 20 Uhr

Theater am Lend TAL, Wiener Straße 58a, 8020 Graz

www.theateramlend.at