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Humans and Demons

Vom 21. September bis 15. Oktober findet in diesem Jahr der steirische herbst statt. Das Festival wird sich Menschen und Dämonen widmen.

„Wird der Ukraine-Krieg ewig dauern? Schickt uns ein nächstes Virus in den Lockdown? Wird künstliche Intelligenz die Menschheit ersetzen oder erwischt uns der Klimawandel zuerst? Es gibt keine einfachen Antworten auf die vielen Krisen der Gegenwart. Wir bewegen uns aktuell durch Grauzonen, in denen die dämonischsten Seiten der Menschheit zum Vorschein kommen. Solche heiklen moralischen Situationen kennt man schon aus dem gewalttätigen 20. Jahrhundert. Aber das Böse nimmt heutzutage auch neue, verführerische Formen an. Umso wichtiger ist es, wie Primo Levi sagt, die Linie zu ziehen, die die bloß Schwachen von den tatsächlich Bösen trennt“, so Intendantin Ekaterina Degot zur heurigen Ausgabe des Festivals. Schon vor der ­detaillierten Programmpräsentation kündigte das Festival erste Schwerpunkte und Neuerungen an. Unter dem Titel „Humans and Demons“ widmet sich der steirische herbst den dämonischen Seiten der Menschheit. Die über vierzig Arbeiten des Programms, von denen ein Großteil neue Auftragswerke sind, bieten Anknüpfungspunkte, um Graz und seine Welt neu zu entdecken – und dabei den scheinbar unbedeutenden, unheimlichen und manchmal merkwürdig optimistischen Geschichten der Stadt zu lauschen.

Performances zur Festivaleröffnung

Eröffnet wird das Festival mit verschiedenen Performances. Lulu Obermayer widmet sich mit ihrer Performance einem kryptofaschistischen Soldatendenkmal am Schloßberg (in Kooperation mit der Oper Graz). Weitere Eröffnungsperformances von Adrienn Hód / HODWORKS und Michael Portnoy befassen sich mit den Zwängen und Verlockungen von Gehorsam und Social Engineering. Giacomo Veronesi untersucht geopolitische Grauzonen, Mateja Bučar beschäftigt sich mit der Auslöschung des jüdischen Graz in der Annenstraße (in Kooperation mit dem Verein CLIO).

Lulu Obermayer wird eine der Eröffnungsperformances realisieren

Ausstellungen des Festivals

Fest steht bereits, dass es vier zentrale Ausstellung an teils ungewöhnlichen Orten in dieser Ausgabe des Festivals geben wird. Der erste Ausstellungsort ist ein Leerstand im noblen Mariagrün. Ein verlassenes Callcenter mit seiner genormten Architektur und seinem markanten Funkturm wird zur Heimat von Demon Radio, durch das Dr. Jazz, auch bekannt als Dietrich Schulz-Köhn, geistert. Schulz-Köhn war ein überzeugter Nazi und Offizier der Luftwaffe, aber auch ein Fan und Sammler der von seiner eigenen Partei verbotenen Jazzmusik. Nach dem Krieg wurde er zu einem erfolgreichen Radiomoderator und stiftete seinen Nachlass dem Grazer Institut für Jazzforschung. Ausgehend von seiner Geschichte beschäftigen sich die hier versammelten Werke unterschiedlicher Künstler*innen mit widersprüchlichen Botschaften und Besessenheit.

Der zweite Ausstellungsort ist ein Langzeitpartner der Festivals: das Forum Stadtpark. Für den steirischen herbst ’23 wird es zur Villa Perpetuum Mobile, dem fiktiven Heim von Stefan Marinov, einem Dissidenten an mehreren Fronten. Der Physiker opponierte nicht nur gegen das kommunistische Regime in seiner Heimat Bulgarien, sondern glaubte in seinem Grazer Exil auch ein Perpetuum Mobile erfinden zu können. Als seine Experimente scheiterten, beging er Selbstmord. Die Beiträge in dieser Ausstellung stammen von verschiedenen Künstler*innen und sind Objekte eines imaginären Interieurs, in dem Marinov gelebt haben könnte; sie zeigen verschiedene Facetten seiner Suche nach Freier Energie.

Bekannt ist auch der dritte Ausstellungsort: Seit den 1960er-Jahren bringt das Minoritenkloster am rechten Murufer Religion und moderne Kunst zusammen. Eine der ersten dort ausgestellten Künstlerinnen war Mira Schendel. In eine katholische Schweizer Familie jüdischer Herkunft geboren, verbrachte Schendel den Zweiten Weltkrieg in Italien und Jugoslawien und erhielt 1944 in Graz einen kroatischen Pass. 1949 ging sie nach Brasilien, wo sie mit ihrer neo-konkreten Kunst berühmt wurde. Inspiriert von ihrer Geschichte verwandelt sich das Kloster für das Festival in die Church of Ruined Modernity. Diese steht für den Kontinent, den Schendel zurückgelassen hat, und reflektiert die Gewalt der Moderne – mit Werken von Pavel Brăila, Andrea Büttner, Cyprien Gaillard, Dana Kavelina, Maria Loboda, Eteri Nozadze, Andreas Fogarasi und Meg Stuart.

Intendantin Ekaterina Degot
Foto: Wildberger

Als letzter Ort wird ein weiterer Leerstand belebt – direkt am Griesplatz. Ein ehemaliger Supermarkt, hinter dem sich ein ehemaliger Tanzsaal verbirgt, wird zur Zeitkapsel Submarine Frieda. Von hier aus kann man das Treiben im Bezirk beobachten – mit Werken von Lucile Desamory, Georg Haberler und Shimabuku. Aber wer ist Frieda? Eine zufällige, fiktive Heldin, die entstand, als Pazifist*innen in der Zwischenkriegszeit aus Angst vor den Nazis das Wort „Friede“ auf dem Foto einer Demonstration veränderten. Frieda steht für all die anonymen Held*innen der Vergangenheit, die durch den Mahlstrom der Unterdrückung schwammen.

Neue herbstbars

Zusätzlich gibt es heuer erstmals gleich vier herbstbars mit unterschiedlichen Angeboten, um nahe an den meisten Festival-Locations zu fast jeder Tages- und Nachtzeit zusammenkommen zu können. herbst-Specials gibt es dieses Jahr neben dem Feinkost Mild auch im Café Centraal, dem Contra Punto und der Beate. Zudem kehrt die Clubreihe des Festivals mit vier herbstclub-Veranstaltungen zurück.       

Das vollständige Programm wird am 15. August veröffentlicht. An diesem Tag beginnt auch der Online-Ticketverkauf, www.steirischerherbst.at