Start Featureshome „Ich kann auch eine unberechenbare Frau sein!“

„Ich kann auch eine unberechenbare Frau sein!“

Elīna Garanča Foto: Deutsche Gramophon / Holger Hage

Die Opernproduktion „Carmen“ am 20., 22. und 23. August auf den Grazer Kasematten bringt mit Elīna Garanča einen absoluten Weltstar nach Graz. „Achtzig“ sprach mit der Sängerin im Vorfeld ihres Auftrittes am Grazer Schloßberg.

Sie haben bereits im Grazer Stefaniensaal auf Einladung des Musikvereins Steiermark gesungen. Welche Beziehung haben Sie zu Graz?

Graz ist eine sonderbare Stadt, die einen besonderen Platz in meinem Herzen hat. Die warme Atmosphäre, die Unterstützung des Publikums und die Gastfreundschaft der Menschen in Graz haben mich immer tief berührt. Graz ist für mich ein Ort voller musikalischer Erinnerungen und ich freue mich immer wieder, zurückzukehren und die bunte Schönheit dieser Stadt zu erleben.

Welche Bedeutung hat Graz aus Ihrer Sicht für die internationale Opernwelt?

Graz ist eines der mitteleuropäischen Zentren für qualitativ hochwertige, künstlerisch mutige Opernproduktionen. Schon heute verfügt die Stadt über eine reiche Musiktradition, vor allem aber bietet sie Raum für vielfältige Opernproduktionen und zieht jedes Jahr talentierte Künstler aus aller Welt an. Aufgeschlossen zu sein und den Horizont nicht aus den Augen zu verlieren, kann tatsächlich eine Herausforderung in der Welt der klassischen Musik sein, aber Graz ist und bleibt ein Hauch von frischer Luft.

Wie kam es zu Ihrem Engagement für die Carmen-Aufführung mit Erwin Schrott und Ramón Vargas diesen Sommer auf der Freilichtbühne Kasematten am Grazer Schloßberg?

Das Projekt kam durch eine Einladung des Chefs der Bühnen Graz, Bernhard Rinner, zustande. Vollkommen unerwartet hat er mich eingeladen, gemeinsam mit Erwin Schrott und Ramón Vargas an dieser sommerlichen Produktion zusammenzuarbeiten, und ich freue mich sehr darauf, mit diesen großartigen Künstlern dieselbe Bühne zu teilen und das Publikum mit unserer Darbietung und hoffentlich einer etwas anderen Version von Carmen zu begeistern. (lacht)

Die Produktion findet als Open-Air-Aufführung statt. Ist ein Auftritt unter freiem Himmel eine besondere Herausforderung für Sie?

Natürlich bringt ein Auftritt unter freiem Himmel besondere Herausforderungen mit sich, aber ich sehe es als aufregende Möglichkeit, die Oper Carmen auf eine einzigartige Art und Weise zu präsentieren. Die Verbindung zwischen der Natur, dem Himmel, den Sternen und dem Publikum schafft eine besondere Atmosphäre, die uns als Künstler inspiriert. Hoffentlich ist das Wetter gnädig mit uns, damit wir alle die Aufführungen in vollen Zügen genießen können.

Foto: Holger Hage

Sie haben die Carmen unter anderem in London am Royal Opera House und in der Metropolitan Opera in New York gegeben. Was macht für Sie den Reiz dieser Rolle aus?

Die Rolle der Carmen hatte für mich immer einen ganz besonderen Reiz, weil ich mich in gewisser Weise in ihr wiederfinde. Ich kann auch eine unberechenbare Frau sein, die ihre Freiheit liebt und gerne ihren eigenen Weg geht. Außerdem muss ich gestehen, dass ich immer ein gewisses Schmunzeln habe, wenn ich einen so kraftvollen und rebellischen Charakter wie Carmen darstelle. Es ist, als ob ich eine Art geheimes Superhelden-Doppelleben führe – tagsüber Elīna Garanča, die sich wie eine normale Person verhält, und abends auf der Bühne Carmen, die alle in ihren Bann zieht. Es ist ein Abenteuer und eine Herausforderung zugleich, diese facettenreiche Figur mit all ihren Emotionen, Leidenschaften und Verführungskünsten zum Leben zu erwecken, aber ich genieße jede einzelne Minute davon.

An einem Tag der Carmen-Aufführungen werden Sie gemeinsam mit dem jungen Solisten Neven Crnić, der am 23. August den Escamillo statt Erwin Schrott singen wird, performen. Was bedeutet es Ihnen, mit jungen Künstlerinnen und Künstlern auf der Bühne zu stehen?

Die Zusammenarbeit mit jungen Künstlern bringt eine erfrischende Dynamik und neue Perspektiven in die Aufführung. Es ist ein gegenseitiger Austausch von Inspiration und Kreativität, der das gesamte Ensemble bereichert. Junge Künstler bringen frischen Geist auf die Bühne. Das Zeugen ihres Wachstums und das Erkennen ihres Potenzials erfüllt mich mit Optimismus für die Zukunft der klassischen Musik. Gemeinsam können wir eine lebendige und blühende künstlerische Landschaft für kommende Generationen schaffen.

Sie selbst fördern seit einigen Jahren mit einem eigenen Gesangswettbewerb junge Sängerinnen und Sänger. Wie kam es dazu, dass Sie sich im Bereich der Nachwuchsförderung engagieren wollten?

Mir und meinem Mann, mit dem wir die ZukunftsStimmen-Initiative ins Leben gerufen haben, ist es eine Herzensangelegenheit, den Sängernachwuchs zu unterstützen, sie unter die Fittiche zu nehmen und sie beruflich wachsen zu sehen. Heutzutage kann man Hunderte von Sängern mit perfekter Technik und fabelhaftem Aussehen sehen und hören. Aber genau das wird in genau 10 Minuten langweilig. Deshalb ist es wichtiger, authentisch zu bleiben, über den Inhalt nachzudenken und sich zu fragen: Habe ich diesen Menschen etwas zu sagen? Ich wünschte, ich hätte eine Kristallkugel und könnte voraussagen, über wen wir in Zukunft viel hören werden, aber so funktioniert es leider nicht. Aber aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass harte Arbeit, ein offener Geist und ein mutiges Herz einen immer näher an die Sterne bringen können, und ich möchte an ihrer Seite sein, um sie strahlen zu sehen.

Sie zählen zu den größten Opernstars der Gegenwart. Wann sind Sie mit einem Auftritt zufrieden?

Ich muss gestehen, dass ich selten vollständig zufrieden mit einem Auftritt bin. Als Perfektionistin strebe ich immer nach höchster Qualität und Weiterentwicklung. Dennoch ist es für mich das Wichtigste, dass ich das Publikum mit der Musik und den Emotionen berühre. Wenn ich spüre, dass meine Darbietung eine Verbindung schafft und die Herzen der Zuhörer erreicht, erfüllt mich das mit großer Freude und Erfüllung. Es ist ein kontinuierlicher Prozess der Verbesserung, aber letztendlich ist die emotionale Resonanz mit dem Publikum das, was mich am meisten erfüllt.

Welche Rolle spielt das Publikum für eine gelungene Aufführung?

Eine entscheidende Rolle! Es ist die lebendige Energie, die von den Zuschauern ausgeht, die den Auftritt zum Leben erweckt. Die Reaktionen und die Energie des Publikums sind für uns Künstler eine Quelle der Inspiration und Motivation. Ihre Begeisterung und ihre Aufmerksamkeit schaffen eine Atmosphäre der Verbundenheit und des gemeinsamen Erlebens. Je mehr Ohren die Musik mit Liebe hören, desto lieber singe ich für sie.

Wie bereiten Sie sich auf ein Konzert oder eine Opernaufführung vor, sowohl körperlich als auch mental?

So oft ich kann, versuche ich, nicht an die Aufführung zu denken, und ich beschäftige meinen Körper und meinen Geist mit einfachen und sich wiederholenden Tätigkeiten. Ich bügle oder stricke gerne, manchmal mache ich einen Nachmittagsspaziergang oder wenn ich wirklich erschöpft bin, versuche ich, ein Nickerchen zu machen. Aber am liebsten verbringe ich vor dem Konzert Zeit mit meinen Töchtern und spiele mit ihnen, wenn möglich. Das nimmt mir jedes Mal den Nerv und außerdem haben Kinder eine phänomenale Kraft, die einem in Sekundenbruchteilen die Prioritäten im Leben klar vor Augen führt.

Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Rollen aus?

Es gibt viele Faktoren, die das Repertoire eines Sängers bestimmen, und man kann es nur bis zu einem gewissen Grad kontrollieren. Je besser man sich selbst und seine Stimme kennt, wie viel man zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Leben auf sich nehmen kann, ohne seine Stimmbänder zu ruinieren, ob man geistig reif genug ist, diese bestimmte Rolle zu singen und all das emotionale Gepäck, das sie mit sich bringt – wie Eifersucht, Sehnsucht, Machtspielchen, unerwiderte Liebe –, authentisch auszudrücken, desto leichter wird es. Langfristig spielt auch das Theater eine ganz besondere Rolle in der Entwicklung eines Sängers. Man braucht ein Theater, das Vertrauen in den eigenen Charakter und die eigenen Fähigkeiten hat, das den Wunsch nach neuen Rollen oder nach einer Karriere in einem neuen Repertoire anerkennt. Die Stimme selbst ist unser Instrument, aber wenn Sie erwarten, dass Sie jederzeit die volle Kontrolle über sie haben, sollten Sie lieber etwas anderes tun.

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit anderen Sängern, Dirigenten und Orchestern für Sie?

Es ist ein dynamisches Zusammenspiel, das uns ermöglicht, gemeinsam künstlerische Höhen zu erreichen. Durch den Austausch von Ideen und Interpretationen entstehen einzigartige und inspirierende Darbietungen. Es ist ein gegenseitiges Lernen und Wachsen, das zu außergewöhnlichen und unvergesslichen Aufführungen führt.

Warum, denken Sie, sind Opern-Stars auch bei Menschen bekannt und beliebt, die gar nicht oder nur sehr selten in die Oper gehen?

Es passiert, dass selbst diejenigen, die nicht mal wissen, wie man eine Note von der anderen unterscheidet, höchstwahrscheinlich von uns gehört haben. Wahrscheinlich wegen unserer atemberaubenden Bühnenoutfits, unserem Drama-Game oder der starken Präsenz in den heutigen Medien. Letztendlich sind wir auch nur Menschen, und wir alle wollen wissen, was im „Haushalt“ der anderen vor sich geht, und ohne Gerüchte gäbe es kein Drama, und ohne Drama gäbe es keine Oper. (lacht)            

Carmen von Georges Bizet
Mit Elīna Garanča, Erwin Schrott, Ramón Vargas u.a.
20., 22., 23.8.2023, 19 Uhr
Schloßbergbühne Kasematten
Ticktes erhältlich im Ticketzentrum der Bühnen Graz, Kaiser-Josef-Platz 10, 8010 Graz