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Woher wissen wir? Wohin wollen wir?

Zurück von den Träumen war auch im Parallel-Programm des steirischen herbst 22 Foto: HNS

Die soziale Wirklichkeit, und nichts als sie, steht im Fokus der Kulturinitiative. Ihre künstlerischen Ziele sind vielfältig: Fremdes akzeptieren, Bedrängnisse und Diktatoren kenntlich machen, Armut bekämpfen, Räume frei machen – aber da wartet noch viel.

Mit einer neuen Geschäftsführerin begann das Jahr, knapp sechs Monate später wurde Dr. Edith Risse von einer schweren Krankheit blockiert. Der Vorgänger wurde zum (interimistischen) Nachfolger. Karl Heinz Herper als Vorsitzender und sein Stellvertreter Antony Scholz halfen mit, das Schiff auf Kurs zu halten. Nach 29 Jahren Programmarbeit und Kulturentwicklung in dieser Konstellation ist Neues am Zug. Die hier dokumentierten Projekte des Kulturinitiative-Jahres 2022 öffneten bereits diese Möglichkeitsform.

TanzTheater – Positionen

Die lange anhaltende künstlerische Verwandlung der Ende der 1950er Jahre aus Japan kommenden und weltweit weiterentwickelten Butoh-Körperkunst wurde an zwei Abenden nachgezeichnet: evoziert von gesellschaftlichen Brüchen der japanischen Uralt-Traditionen, von den bislang einzigen kriegerischen Atombombenabwürfen und von der anschließenden US-Coca-Cola-Kultur der 1950er und 60er Jahre in Japan entwuchsen dessen künstlerische Quellen (u. a. auch der sogenannte Deutsche Ausdruckstanz und weltweiter, auch Wiener, Aktionismus) in eine neue Tanzwelt. Damit beschäftigt sich die Steirische Kulturinitiative seit fast 30 Jahren. 2022 kulminierte das in einem von Herbert Nichols-Schweiger kuratierten Mini-Festival mit vier sehr unterschiedlichen Positionen von Stephanie Tietz (Wien), Ken Mai (Japan/Helsinki), DaniMayu (Wien) und Yuko Kaseki (Japan/Berlin).

Yuko Kaseki
Foto: HNS

Literarischer Salon Extended

Hannes Pointner, der Erfinder des in Rottenmann vor langem gestarteten ­KultUrviech, verstand sich immer schon als Lenker von Aufmerksamkeiten: neue Zugänge zu ermöglichen kann er einfach. So auch die Auffrischung der Spielart „Literarischer Salon“: Wirtsstuben, Werkstätten und Fabrikationsorte sind nur die äußeren Veränderungen eines damit einhergehenden Verständnismodells für zeitgenössische Literatur. Nava Ebrahimi, im Iran geborene Bachmann-Preisträgerin des Vorjahrs, war die von der KI gewidmete Autorin.

Nava Ebrahimi

Gerhard Dienes’ großer Horizont

Die über Jahrhunderte gespannte Stafette vom persischen Dichter Hafis über den k.u.k Diplomaten und Übersetzer Hammer-Purgstall zum Dichterfürsten Goethe blitzte mit der seltenen Fähigkeit des leider viel zu früh verstorbenen Gerhard Dienes auf, historische Erkenntnis in der dialogisch und musikalisch pointierten Literaturform Essay zu binden. Hannes Galter, Gerhard Balluch und Peter Kunsek stützten dieses Gedächtnis. Für die Steirische Kulturinitiative ist es Auftrag für eine Sammlung und Herausgabe der Hinterlassenschaft von Dienes.

Gerhard Dienes
Foto: HNS

Expanded Cinema

Installationen und Filmprojektionen aus dem Bereich Expanded Cinema von Stefanie Weberhofer im ausstellungserprobten Kulturquartier Leoben verlangten den anderen Blick. Kein Räkeln im gediegenen Kinostuhl. Vielmehr ebenso scharfsichtig wie scharfsinnig zeigt die in Schladming und Wien arbeitende Experimentalfilmerin Landschaftsportraits und Naturschutzgebiete in visuellen Gegenübern von Licht und Natur. So als ob die Künstlerin „die Spuren von etwas bereits Verschwundenem entdecken lasse“.

Zurück von den Träumen

Zeitlos elegante Metallarchitekturen an einigen Beispielen in Graz, Slowenien und Kärnten sind auf die Brücken- und Stahlbau-Firma Ignaz Gridl um die vorvorhergehende Jahrhundertwende zurückzuführen. studio Asynchrome (Marlen Leitner & Michael Schitnig): „Mit der Arbeit Fusion werden Fragen nach Verschmelzungen in einer Zeit der gesellschaftlichen Transformation gestellt. Fusion entwickelt sich im Zwischenraum der Verglasungen entlang der Eingangsfassade des historischen Gewächshauses im Grazer Botanischen Garten.“ Im Kunstraum Villach wurde diese Arbeitsweise unabhängig von diesem Ausgangspunkt erweitert. Während des Entwicklungsprozesses verstarb Co-Kurator Alex Samyi, sodass nur sein poetischer Titel das Ausstellungsprojekt begleiten konnte.

Eilfried Huth – der Architekt als Maler

Nur wenige große Architekten verstanden wie Huth, ihre baukünstlerische Fähigkeit in den Dienst der Benutzer*innen zu stellen. Viele öffentliche Stellen haben diese soziale Kraft nicht einmal bemerkt, geschweige denn zur Maxime öffentlicher Bauaufträge werden lassen. Parallel dazu (nicht daneben) schuf der nun über 90-jährige Eilfried Huth ein beachtliches malerisches Werk. Dieses aus dem Schatten zu holen ist Heidrun Primas zu danken und das wurde von Karl Heinz Herper (KI-Vorsitzender seit über 20 Jahren) in den ziemlich dramatischen historischen Rahmen von Huths Leben gerückt.

Beate Engelhorn (HDA) und Eilfried Huth
Foto: HNS

Tito: Diktator auf Wiesen und Hügeln

Das ablaufende Jahr wird – und zwar fürchterlich – von einem Diktator geprägt. Der Namenszug des in den frühen 1980er Jahren gestorbenen Tito ruht auf Wiesen und Hügeln der Teilrepubliken seines mit ihm verflossenen Jugoslawiens. Diese bis heute gepflegte Erinnerungsarbeit an das (höflich formuliert) ambivalente Wirken des weltweit aktiven Staatschefs bekommt in der von Helene Thümmel in einem ehemaligen Geschäft gestalteten Dokumentation einen bizarren Anstoß zu neuen Überlegungen und ideologischen Ernüchterungen.

Helene Thümmel
Foto: HNS

Angelika Fink und Lisa D., Fulfillment

Am anderen „Ende“ von Mode steigt dieses Projekt ein: die weltweite Versand- und Retourenlogistik von Kleidung entlässt deren phantasievolles Entstehen in ein ökologisches und ökonomisches Desaster. Wie Detektive verfolgen die beiden Künstlerinnen mit ihrem dramaturgischen Mastermind Wilfried Prantner die Kontinente umspannende Sinnlosspirale des Bestellens, Lieferns und Rücktausches.

Angelika Fink und Lisa D. im Kunsthaus Graz
Foto: HNS