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Veränderte Lesart für eine ungewöhnliche Zeitkapsel

Künstler Franz Konrad hat die komplexen Verstrickungen der Inszenierung einer Heimat-schutzkleidung in seinem Wandbild künstlerisch gebrochen Foto: J.J. Kucek

Das Volkskundemuseum am Paulustor rückt den „Trachtensaal“ – ein unbequemes Erbe aus den späten 1930er-Jahren – in ein neues Licht.

Der „Trachtensaal“ ist ein vielschichtiger volkskundlicher Wissens- und Erfahrungsraum, dessen Geschichte auf Viktor Geramb (1884–1958) – Museumsleiter, Volkskundler und „Heimatschützer“ – zurückgeht. 1936 begann er mit der musealen Inszenierung und führte damit die Arbeit von Konrad Mautner (1884–1924) – Sohn einer österreichisch-jüdischen Industriellenfamilie und jung verstorbener Sammler von Volksliedern und Trachten – weiter. Im Sommer 1938, wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen in Österreich, begleitete Geramb die ersten Besucher*innen durch die „Trachtenschau“, an welcher zumindest bis 1939/40 noch gearbeitet wurde. Erstmals verändert wurde der Trachtensaal erst in den 1980er-Jahren durch eine damalige Wissenschaftlerin im Haus. 2003 wurde die Inszenierung der 1940er-Jahre weitgehend wiederhergestellt und zum „Museum im Museum“ erklärt, temporäre Interventionen folgten. Deponiert hat den Trachtensaal trotz seiner Verankerung zwischen Austrofaschismus und Nationalsozialismus noch niemand. Stellt sich also die Frage, was der Raum heute vermitteln kann?

Von den 42 Zirbenholz-Figurinen stammen die meisten von Alexander Silveri, vermutlich vier von Hans Mauracher, Mitbegründer der Grazer Session, der ab 1939 die NS-Reichskunstkammer im Gau Steiermark leitete
Foto: J.J. Kucek

Verschiebungen & Inszenierungen

Die Antwort: Über Kleidungsstücke und Figurinen, über deren Anordnung in den Vitrinen und im Raum lassen sich volkskundliche Sichtweisen, Methoden und Interpretationen im Kontext ihrer Zeit verständlich machen. Die Suche nach dem „Unverfälschten“ und „Primitiven“ in Zeiten einer rasant fortschreitenden Moderne ist ebenso Thema wie die Konstruktion des „Eigenen“ respektive „Steirischen“ oder die Frage, wozu Tracht in den 1930er-Jahren, also in Zeiten weitreichender ökonomischer, gesellschaftlicher und politischer Krisen, diente. Heute wie früher greift dieser Raum Bezüge zur Welt jenseits des Museums auf, was in der von Birgit Johler kuratierten Neufassung nun mehrfach sichtbar wird. Schicht um Schicht hat der Künstler Franz Konrad für die Bildbearbeitung des Trachtensaals die komplexen Verstrickungen der Inszenierung einer „Heimatschutzkleidung“ abgewickelt, sie in seinem Wandbild künstlerisch gebrochen und in neuen Kontexten wieder aufgetragen. Auch ein mehrteiliges Video von Masoud Razavy Pour thematisiert vielschichtig, welche Faszination Tracht in ihrer Farbigkeit, Materialität und Produktion heute ausübt und welche Formen des Zeigens und Tragens sichtbar sind. Denn Tracht ist beides: Kleidung zur Weitertragung traditioneller Identitätskategorien, aber auch Ausdruck gesellschaftlicher Wandlungsprozesse.    

Foto: J.J. Kucek

Trachtensaal
Di–So, Feiertag: 10–18 Uhr
Volkskundemuseum am Paulustor
Paulustorgasse 11–13a, 8010 Graz

www.volkskundemuseum-graz.at