Start Featureshome Ein Vierteljahrhundert Diagonale in Graz

Ein Vierteljahrhundert Diagonale in Graz

Die Diagonale, so wie wir sie heute kennen, fand erstmals 1998 unter der Intendanz von Christine Dollhofer und Constantin Wulff in Graz statt. Foto: Diagonale

Vom 5. bis 10. April wird die Diagonale, das Festival des österreichischen Films, die Stadt wieder in einen pulsierenden Ausnahmezustand versetzen, in dem das Leben auf der Leinwand im Mittelpunkt steht.

Text: Lydia Bißmann

Kaum ein Kulturgenre ist so breit aufgestellt wie der Film. Der Film fesselt seine Zuseher im Kino für ein bis zwei Stunden in einen abgedunkelten Saal und erlaubt keine anderen Ablenkungen neben sich. Eine Diktion, die sich sonst kaum jemand so bereitwillig gefallen lässt. Seit 25 Jahren gibt es das Festival des österreichischen Films in Graz, das hier nach Stationen in Velden, Wels, der verblühten Industriehochburg Kapfenberg und der Festspielstadt Salzburg Ende der 90er-Jahre eine fixe Heimat gefunden hat.

Improvisation und Durchsetzungskraft

Niemand ist eine Insel und auch das Festival muss auf äußere Einflüsse und Krisen reagieren. Groß war die Freude im Vorjahr, als die Menschen nach einer Lockdown-Pause endlich wieder in die Kinos und sich im kleinen Rahmen wieder versammeln und austauschen durften. Die sehr kurzfristige Absage im ersten Corona-Jahr 2020 war für das Festival aber kein Grund, die Zeit untätig verstreichen zu lassen – die „Unvollendete“ wanderte in einer sehr erfolgreichen Kooperation mit mehreren Streaming-Anbietern kurzerhand ins Netz ab – die Preise wurden dennoch vergeben.

Im Zentrum des Festivals Diagonale stehen hochdotierte Preise
Foto: Miriam Raneburger

Solidarische Kooperationen mit anderen Institutionen wie dem Musikverein Graz sorgten dafür, dass Filme über das Jahr verteilt bei anderen Veranstaltungen gezeigt werden konnten, auch bei der Steiermark Schau fand das Festival Unterschlupf. Unterkriegen lässt sich die Diagonale nicht so schnell, wie es das Festival in seiner Geschichte schon öfter bewiesen hatte. 2004 war bis knapp vor der Eröffnung nicht klar, wie es weitergehen würde. Der damalige Kulturstaatssekretär Franz Morak setzte die Festivalleitung ungefragt ab und eine neue Leitung, die seiner politischen Fasson besser zu Gesicht stand, dem Festival vor die Nase. Niemand wusste genau, ob die Diagonale im 7. Jahr in dieser Form weitergehen oder ob sich der regierungskritische Teil zu einem eigenen Festival abspalten würde. Morak musste einlenken und verließ die politische Bühne nur wenige Jahre später.

Sebastian Höglinger, Kurdwin Ayub und Peter Schernhuber (v. l.)
Foto: Elsa Okazaki

Lebensraum Film

Anspruchsvolles Kino ist kritisch, vor allem der moderne Film in Österreich, der seit den 80er-Jahren nach einer langen Durststrecke wieder zu viel mehr Selbstbewusstsein und mit Pro­tagonisten wie Ulrich Seidl, Götz Spielmann oder dem verstorbenen Michael Glawogger wieder zu neuem Glanz gekommen ist. Aber Film ist auch teuer. Der Spagat zwischen Selbstverwirklichung und Kulturförderung ist kein leichter in diesem Land, in dem die verfügbaren Mittel mehr als überschaubar sind. Um so wichtiger ist die Existenz des Festivals Diagonale, das mit seinem Programm nicht nur die „Breiten und Spitzen“ der heimischen Filmlandschaft abbilden möchte, man will auch Raum und Gelegenheiten zum intellektuellen und fachlichen Austausch und Netzwerken bieten. Neben den rund 110 Filmen ermöglichen das Talks, Ausstellungen, Fachgespräche und Workshops. Serien, Spiel- und Dokumentarfilme, Filmrestaurierung sowie Avantgarde- und Experimentalfilme finden hier genauso Platz wie Fernsehproduktionen oder Kurzfilmprogramme.

Branko Samarovski bekommt den großen Diagonale Schauspielpreis 22
Foto: Lisi Lehner

Das Rahmenprogramm mit Partys und Konzerten bietet Möglichkeiten zum Austausch, Beschnuppern und Netzwerken in entspannter Umgebung. Im Zentrum des Festival stehen die Preise, die den Filmschaffenden und Darstellern Respekt zollen und ihr Bemühen und Schaffen in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken. Im Laufe der Zeit wurden die Auszeichnungen immer zahlreicher und differenzierter. Neben Spiel-, Dokumentar-, Kurz- und Avantgardefilm wird inzwischen unter anderem auch das beste Filmdesign (Ausstattung) und der beste Ton (Sounddesign) mit Preisen ausgezeichnet. Neben den Haupttrophäen („Die Großen Diagonale-Preise“) werden zahlreiche weitere Preise im Rahmen des Festivals verliehen. Den großen Diagonale-Schauspielpreis 2022, der heuer zum 15. Mal überreicht wird, darf am 5. April der Theater-, Film- und Fernsehschauspieler Branko Samarovski entgegennehmen. Egal wie klein oder groß seine Rollen auch sein mögen – Samarovski verleiht seinen Figuren Tiefe und Glanz, ohne die „der österreichische Film um viele Farben ärmer wäre“, so die Begründung der Jury.

Vor Corona kamen fast jedes Jahr mehr Menschen in die Festivalkinos
Foto: Sebastian Reiser

Junges Team

Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber übernahmen 2016 erstmals die Intendanz. Bis 2009 leiteten beide das Jugendfilmfestival YOUKI in Wels und das Vorhaben der beiden, dem Festival „eine Frischzellenkur zu verpassen“, ging auf. Das Festival verzeichnete gleich im ersten Jahr einen Besuchsrekord, der – bis Corona – auch die nächsten Jahre weiter anstieg. Wie das gelingt, ist vielleicht am heurigen Eröffnungsfilm abzulesen. SONNE von der jungen Regisseurin Kurdwin Ayub lief bei der Berlinale als Weltpremiere in der neuen Kategorie Encounters, einer Reihe, die beim Berliner Festival nach 70 Jahren wieder für Spannung und Innovation sorgen soll. „Für bestehende Fans von Kurdwin Ayub ist SONNE wohl ein erstes Best-of, für Neugierige die Einladung, eine neue Handschrift im österreichischen Film kennenzulernen, und für die Diagonale der beste Eröffnungsfilm, um nach 25 Jahren Diagonale in Graz in die Zukunft zu blicken“, begründen Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber ihre Entscheidung für den Eröffnungsfilm.

Eröffnungsfilm Sonne von Kurdwin Ayub
Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion

Rausch als Programm Rauschend wird im April das Jubiläum in Graz begangen. In einer Zeit, in der die berauschte Flucht vor den Zumutungen des Alltags samt ihren Höhen, Tiefen und Abgründen beinahe gänzlich aus der Öffentlichkeit verdrängt wurde, lohnt der Blick ins narkotische Kino gleich mehrfach. „Ein Programm, das sich den Rausch weder schöntrinken noch von Moralinsäure ungenießbar machen lassen möchte. Ein Vorschlag zum Taumel. Immer an der Kippe zum Abgrund“, so die Festivalleitung.